Neue Grundsicherung
Beschäftigte gegen Arbeitslose?
Kaum hat die Bundesregierung mit Ach und Krach ihre Renten"reform" beschlossen, zerrt sie mit der Grundsicherung die nächste Kuh aufs Eis. Den Gesetzentwurf haben das Kanzleramt und Friedrich Merz persönlich mit Arbeitsministerin Bärbel Bas ausgehandelt.
Trotzdem legen jetzt Wirtschaftsministerin Reiche und Innenminister Dobrindt erst mal ein Veto ein. Während sie sich also noch streiten, ob sie heute überhaupt wollen, was sie gestern ausgehandelt haben, lohnt ein genauerer Blick auf die gesellschaftliche Debatte und den Gesetzesentwurf.
Feindbild Bürgergeldempfänger
Wenn es darum geht, gegen benachteiligte Gruppen Stimmung zu machen, schaffen es Bürgergeldempfänger auf Platz zwei, direkt hinter den Migranten. Getoppt natürlich nur noch durch Migranten im Bürgergeld. Wenn es nach Merz und Co. geht, soll, wer noch Arbeit hat mitfiebern, wenn es den angeblichen Faulenzern jetzt endlich ans Geld geht. Die bürgerliche Presse läuft heiß: „Für den Steuerzahler, der den Sozialstaat mitfinanziert, ist das ein Gebot der Fairness. Beim Bürgergeld hat der Staat inzwischen völlig die Kontrolle verloren: über die Kosten und die offensichtlichen Möglichkeiten zum Missbrauch. Immer mehr hart arbeitende Menschen sehen, wie das System aus den Fugen geraten ist, vor allem wenn sie die Höhe der Leistungen mit ihren Lohnzetteln vergleichen.“ (1)
Im Bundestagswahlkampf nahm die Union den Mund sehr voll. 5 Milliarden Euro würde die Reform des bisherigen Bürgergelds einsparen, sagte Friedrich Merz. Nein, 10 Milliarden Euro, sagte Jens Spahn. Nein, 30 Milliarden Euro sagte Thorsten Frei. Jetzt wo es konkret wird, spricht der Gesetzentwurf von Einsparungen von Sage und Schreibe 86 Millionen Euro für 2026 und Mehrausgaben ab 2028. Die Regierung schreibt selbst kleinlaut: „Allein aufgrund der Maßnahmen des Gesetzesentwurfes ergeben sich keine nennenswerten Einsparungen.“ (2)
Der schlimmste unter den Bürgergeldempfängern ist natürlich der „Totalverweigerer“. CDU-Scharfmacher Carsten Linnemann spricht von mindestens 100.000 Menschen, die also Bürgergeld empfangen und sich einfach weigern, arbeiten zu gehen, obwohl sie könnten. Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung sagt in ihrer Studie „Totalverweigerer: Viel Lärm um Nichts?“, dass es sich um ein „mediales Konstrukt“ handelt. Etwa 16.000 Menschen in ganz Deutschland werden pro Jahr bisher sanktioniert, weil sie Jobangebote ablehnen. Dabei ist nicht mal unterschieden ob einmal oder mehrmals. Das heißt von „Totalverweigerern“ kann man bei auf jeden Fall weniger als 16.000 Menschen sprechen! Ein „Kontrollverlust“ sieht wahrlich anders aus.
Aber um Fakten geht es in dieser Debatte nicht. Es ging auch nie darum, irgendetwas für die „hart arbeitenden Menschen“ zu verbessern. Sonst hätte man ja z.B. etwas für die 800.000 Menschen tun müssen, die trotz Vollzeitarbeit so wenig verdienen, dass sie ihren Lohn mit Bürgergeld aufgestockt bekommen.
Die wachsende Unzufriedenheit einer Masse von Menschen soll schlicht von den wahren Verursachern der kapitalistischen Krisen abgelenkt werden. Statt nach dem Blick auf den Lohnzettel den Kampf um höhere Löhne anzupacken, sollen wir uns über Bürgergeldempfänger aufregen. Eine üble Masche! Was soll nun also die ganze Reform, wenn sie kein Geld einspart und man die bösen "Totalverweigerer" mit der Lupe suchen muss?
Verschärfte Sanktionen
Kern der Reform sind verschärfte Sanktionen. Juristisch geht es dabei um die sogenannte „Mitwirkungspflicht“. Bürgergeldempfänger sind verpflichtet, Bewerbungen zu schreiben, ggf. an Schulungen teilzunehmen oder Jobangebote anzunehmen. Bisher können beim ersten Verstoß 10 Prozent des Bürgergelds für einen Monat gestrichen werden. Bei einem zweiten Verstoß können 20 Prozent für zwei Monate gestrichen werden. Maximal kann das Bürgergeld um 30 Prozent für drei Monate gekürzt werden. Zu Erinnerung: Das Bürgergeld entschärfte Regelungen des vorherigen Hartz IV, weil das Bundesverfassungsgericht 2019 Kürzungen über 30 Prozent in der Regel für verfassungswidrig erklärt hatte. Und das zu Recht. Worauf soll es hinaus laufen, eine Zahlung noch zu kürzen, die bereits als „Existenzminimum“ berechnet wird? Unter anderem zu Obdachlosigkeit, stellte das Bundesverfassungsgericht fest.
Der aktuelle Gesetzentwurf sieht vor: 30 Prozent Kürzung für drei Monate direkt beim ersten Verstoß gegen die Mitwirkungspflicht. Außerdem soll wer zwei Termine beim Jobcenter verpasst sofort 30 Prozent Grundsicherung für einen Monat gestrichen bekommen. Beim dritten verpassten Termin sollen die Leistungen komplett gestrichen werden. Mietzahlungen gehen dann direkt an den Vermieter. Wer sich im Folgemonat beim Jobcenter vorstellt, bekommt das Geld nachträglich ausgezahlt. Wer das nicht tut, dem droht die Einstellung aller Zahlungen, auch der Miete!
Auch wer ein einziges Jobangebot ausschlägt, soll künftig ein bis zwei Monate gar kein Geld mehr bekommen. Dankenswerter Weise kann sich die Regierung dabei auf eine „gesetzliche Lösung“ stützen, die die Ampel-Regierung noch 2024 geschaffen hatte, um trotz Bundesverfassungsgerichtsurteil die Zahlungen ganz einstellen zu dürfen. Das Soziale wird dabei aber natürlich nicht vergessen. „Die Sanktionen sollen … keine Auswirkungen auf Familienangehörige haben, insbesondere Kinder sollen keine Nachteile erfahren. Werden einem Erwerbslosen die Leistungen gestrichen, gilt das nicht für die Angehörigen des gemeinsamen Haushaltes.“3 Da sind offenbar Menschen am Werk, die nah am Leben normaler Familien dran sind. Was stört es schon die Kinder, wenn 506 Euro des Familieneinkommens im Monat fehlen?!
Verschärft werden auch die Regelungen zum Schonvermögen und zur Zahlung von laut Jobcenter „zu hohen“ Mieten.
Arbeiter und Arbeitslose gemeinsam
Ein großer Trugschluss ist, dass einen diese Gesetze nichts angehen, wenn man noch Arbeit hat. Allein durch die Androhung der Sanktionen und die gesellschaftliche Debatte sollen Erwerbslose zur Annahme von Jobs gedrängt werden, auch wenn Arbeitsbedingungen und Bezahlung unterirdisch sind. Die bürgerliche Forschung nennt das zwar sehr schön „Ex-ante Effekt“, es bleibt aber schlicht Erpressung. All das übt Druck auf das Lohnniveau und erkämpfte Rechte auf. Die Macher dieser Politik trommeln nicht zufällig gleichzeitig für eine Verlängerung der Arbeitszeit und ähnliche Grausamkeiten. Es gilt, die üble Spaltung zwischen Arbeitern und Arbeitslosen zurückzuweisen und gemeinsam zu kämpfen. Gegen das Gesetz zur neuen Grundsicherung. Gegen die Angriffe auf erkämpfte Arbeitsbedingungen und Löhne. Für eine Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich! Stärken wir die Bewegung der Montagsdemonstrationen. Sie haben sich 2004 gegen die Hartz-Gesetze gegründet und werden jetzt in diesem Kampf gebraucht.