Interview mit Prof. Dr. Oliver Rump
Werner Seelenbinder ist für Jugendliche und Kinder auch heute ein Vorbild
Vom 18. bis zum 31. Oktober zeigt das Willi-Dickhut-Museum in Gelsenkirchen eine Ausstellung über den in den 1920er und 1930er Jahren weltberühmten Ringer Werner Seelenbinder (1904-1944). Professor Dr. Oliver Rump hat diese Ausstellung gemeinsam mit seinen Studentinnen und Studenten an der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Berlin erstellt. Sie wurde 13 Mal überwiegend im Osten Deutschlands präsentiert. Professor Dr. Rump freut sich, dass sie jetzt auch erstmals in Westdeutschland zu sehen ist. Bei der Vernissage am 18. Oktober konnte Peter Weispfenning mit ihm ein Interview für Rote Fahne News führen.
Rote Fahne News: Was macht Werner Seelenbinder auch heute noch so bedeutsam, vor allem für die Jugend?
Prof. Dr. Rump: Ich denke, Kinder und Jugendliche suchen ja Orientierung und brauchen vielleicht auch ein Vorbild und wollen sehen, wie man in der schwierigen Situation, die ja jetzt auch Kinder und Jugendliche durchaus so empfinden, wie man da reagieren kann und was es für Möglichkeiten gibt. Und Werner Seelenbinder lebte in einer sehr schwierigen Zeit des Hitlerfaschismus und war seiner Sache immer treu. Das ist vielleicht eine Botschaft, die für Kinder und Jugendliche interessant ist. Und Sport ist natürlich auch etwas sehr spannendes. Wo man merkt, dass man mit dem Arbeitersport - heute heißt es oft ja nicht mehr Arbeitersport - in gewissen Sportarten zur Gemeinschaft findet. Und über den Sport Gleichgesinnte kennenlernt und was erreichen kann. Zu den Ausstellungen kommen auch viele junge Leute, das war heute auch schön. Wir machen in Berlin eine Gedenkveranstaltung am Grab. Und dort gibt es immer eine Vorführung mit jungen Menschen, die wissen, wer Werner Seelenbinder ist und in seinem Erbe auch Ringkampf betreiben.
Was macht den Lebensweg von Werner Seelenbinder aus? Was kann man da als Jugendlicher mitnehmen?
Ich denke, man kann mitnehmen, dass Werner Seelenbinder nie blind aggressiv wurde, dass er immer ein guter Mensch war, der aber überzeugt war von einer Sache, also dass man mit sich selber im Reinen sein muss. Das ist seine Rolle und für die steht er ein in seinem Leben. Und natürlich auch, dass man trotz Widerstands auch guter Sportler sein und bleiben kann. Werner Seelenbinder wurde ja von den Nazis nicht besonders unterstützt, bekam nicht einmal einen Trainer vor dem Wettkampf. Er hat dann trotzdem mit seinen eigenen Arbeitskollegen zusammen auf der Matte trainiert und es zur Bestform auf dem Platz geschafft. Er kommt aus einfachem Zuhause ohne großen intellektuellen Hintergrund, aus einer einfachen Familie. Er war Spitzensportler, aber er hat auch immer gearbeitet. Es war ja eine schwierige Zeit, sogar für ihn. In der Weltwirtschaftskrise hat er im Hotel als Page gearbeitet, hat als Hilfsarbeiter gearbeitet und es später geschafft, auch eine Ausbildung zu bekommen.
Und er hat sein Leben auch dem Kampf gegen den Faschismus und für den Sozialismus gewidmet.
Ja, genau. Also er hatte ein Schlüsselerlebnis, dass er den Sozialismus in der damaligen UdSSR wirklich erlebt hat, als er zweimal auf Sportlerreisen in der Sowjetunion war. Da hat er erlebt, was Sozialismus bedeutet und was man machen kann. Die Rolle der Frau beispielsweise, die er dort erlebt hat, die Rolle der Arbeiter, die er erlebt hat, die das geschafft haben, in den Betrieben das Sagen zu haben, Räte, die er erlebt hat und ja, und auch eine bessere Lebenssituation. Es war eine aufstrebende Gesellschaft, wo es immer besser wurde in ganz schnellen, kurzen Jahren.
Am Ende wurde er von den Hitlerfaschisten hingerichtet. Sie sagen, er hat aber trotz Folter nie jemanden verraten. Das war ja auch nicht selbstverständlich ...
Er war seiner Sache wirklich treu und hatte einen guten Charakter. Er ist nicht verdorben worden. Er ist nicht zum Schläger geworden oder zum Aggressiven, der sonst was tut, sondern er hat es geschafft, durch seine listige, vernünftige Art illegales Material im Faschismus zu schmuggeln, oder er organisierte Schutz gegen die Faschisten. Also dass sich die Kommunistische Partei oder Angehörige sich treffen konnten im Untergrund und so abgesichert waren, dass nicht Fremde dazu kamen. Das hat er gemacht und auch Flugblätter verteilt, im Geheimen, und Wohnungen als konspirative Unterkünfte organisiert und solche Dinge.
Welche Rolle spielte Werner Seelenbinder bei den Kindern und Jugendlichen in der DDR?
Werner Seelenbinder war bei Kindern und Jugendlichen dadurch bekannt, dass ganz viele Wettkämpfe oder Turniere nach ihm benannt wurden. Und das Schöne ist, dass heute auch wieder immer mehr Turniere nach ihm benannt werden. Dieser Name steht für etwas und die Kinder und Jugendlichen fragen dann: Wer war das eigentlich? Und ja, das ist eine Ehre, wenn man eine Urkunde oder einen Pokal mit Bezug auf Werner Seelenbinder bekommt, als nur einfach Gold oder Bronze zu bekommen.
Sie haben 13 Mal in Ostdeutschland die Ausstellung schon organisieren, aber jetzt das erste Mal in Westdeutschland, wieso ist das in Westdeutschland so schwierig?
Das ist eine sehr gute Frage. Ich komme ja selber aus Westdeutschland aus Hamburg. Ich war sieben Jahre Museumsdirektor in Hamburg und zehn Jahre Vorsitzender des Hamburger Museumsverbandes. Dass dieses Thema in Westdeutschland so wenig Anerkennung findet, das ist schon fragwürdig. Man könnte ja auch denken, die müsste es viel mehr interessieren, weil das was Neues ist. Anders als in der ehemaligen DDR, wo das Thema schon viele vorher kannten. Im Westen überwiegt anscheinend bei potentiellen Veranstaltern die Angst und Unkenntnis gegenüber der Neugierde.
Sie stellen aber auch verschiedene Mythen in Frage. Das halte ich auch für wichtig bei Kindern und Jugendlichen. Man muss ja jemanden als Menschen sehen, und wenn man ihn idealisiert, dann kann man selbst wenig lernen.
Das ist eine schwierige Frage. Man kann auch jemanden überfordern, indem man keine klare Antwort gibt und keine klare Antwort geben kann. Man muss auch klare Antworten geben. Aber man muss auch lernen, dass es auf gewisse Sachen keine klare Antwort gibt, weil die Faktenlage das einfach nicht hergibt. Man kann Mythenbildung auch enttarnen. Also warum erzählt jemand das eine und vermutet das eine oder vermutet das andere? Es gibt auch üble Nachrede, so haben schon Leute gesagt, er sei ein Feigling, weil er kurz vor seinem Tod ein Gnadengesuch gestellt hat. Das ist aber falsch, wenn man das so darstellt. Meines Erachtens ringt jeder Mensch, der kurz vor dem Tode steht, natürlich um sein Leben. Das ist ja nichts Verwerfliches an sich. Er hat bis zum Schluss gehofft, dass die Rote Armee kommt und ihn befreit. Und da ist ein Gnadengesuch ist ja auch eine Methode, um Zeit zu gewinnen.
Sie hatten selber auch mit Anfeindungen der AfD zu tun im Zusammenhang mit Ihrer Arbeit. Aber Sie haben Zivilcourage gezeigt ...
Man auch versucht und mir Dinge unterstellt und dazu Dinge im Internet verbreitet, die falsch waren und auch meine Familie damit verletzt. Und ja, genau da musste ich auch Rückgrat zeigen.
Sie haben im Veranstaltungstitel auch auf das Stigma Seelenbinders als „Staatsfeind“ Bezug genommen. Wie haben Sie das gemeint?
Heute bezeichnen viele Menschen und auch die Gesellschaft meist Kommunisten pauschal als Staatsfeinde. Hier wirkt, glaube ich, der Antikommunismus, der ganz gefährlich ist. Die gesellschaftliche Gefahr droht nicht von der linken Seite, sondern aus der faschistischen Seite.
Wurde Werner Seelenbinder nach dem verbrecherischen Todesurteil des Volksgerichtshof jemals in Westdeutschland rehabilitiert?
Werner Seelenbinder ist rehabilitiert insofern, als dass er sogar von unserem ehemaligen Bundespräsidenten Horst Köhler in die Hall of Fame des deutschen Sports aufgenommen wurde. Er wurde als Kommunist und als Widerstandskämpfer gewürdigt. Das ist für mich schon eine Rehabilitation. Seelenbinder ist eine der wenigen Persönlichkeiten, die in der DDR sehr geschätzt wurden ist und die nach der Wende teils mehr geschätzt wurde als vorher. Er war immer geradlinig, bodenständig und seiner gerechten Sache treu.
Vielen Dank für das Gespräch!
Prof. Dr. Rump war auch an der Choreographie im Leipziger Stadion für Seelenbinder beteiligt. Das Foto haben wir schon mehrfach auf Rote Fahne News gezeigt. Die Ausstellung ist vom 18. bis 31. Oktober im Bistro im Kulturssaal der Horster Mitte zu sehen, Schmalhorststraße 1, 45899 Gelsenkirchen-Horst. Öffnungszeiten: Montag, Dienstag und Donnerstag 13 bis 15:00 Uhr, Mittwoch 15 bis 19:00 Uhr, Freitag ab 17:00 Uhr - und nach Vereinbarung. Finissage als abendfüllende Abschlussveranstaltung: Freitag, 31. Oktober 18:00 Uhr (Saalöffnung 17:30 Uhr): mit Fingerfood, Vortrag von Professor Rump, Vorführungen von Kampfsportgruppen, antifaschistischen Liedern mit dem Ruhrchor. Der Eintritt ist jeweils frei. Um Spenden zur Finanzierung der Kosten wird gebeten.
www.willi-dickhut-museum.de