Chemnitz
Gedenken an einen roten Grenzgänger
Am 15. Oktober wäre Dietmar Springer 70 Jahre alt geworden. Wenn er nicht am 8. April 2022 gestorben wäre. Für Freunde, Genossinnen und Genossen sowie seine Schwester Evi ein Grund, in kleiner Runde zusammenzukommen.
Bei ekligem nasskaltem Nieselregen brachten wir Dietmar Kerzen an sein Grab in Chemnitz. Dann ging es ins Warme. Dietmar war einer der Genossen, die 1986 beim Tribunal gegen den Verrat am Sozialismus als Zeuge aussagte.
Er erlebte als junger Arbeiter und FDJ Mitglied die DDR. Als er mit Freunden eine Vergiftung von Beschäftigten und der Umwelt durch Abwassereinleitung anprangerte, wurden die jungen Genossen von der angeblich sozialistischen Betriebsleitung abgewimmelt. Weil sie nicht klein beigaben und 1977 ein Flugblatt in der Auflage von sage und schreibe 300 Exemplaren verbreiteten, landete Dietmar und zwei Freunde für über zweieinhalb Jahre im Zuchthaus. Er schilderte menschenunwürdige Haftbedingungen.
Nachzulesen ist diese beeindruckende Zeugenaussage in der Dokumentation "Angeklagt – 30 Jahre Verrat und Sozialismus" ab Seite 141. Ältere Genossinnen und Genossen werden sie noch im Schrank stehen haben, jüngere können sie bei der Mediengruppe Neuer Weg oder im Antiquariat günstig erstehen.
Weil auch nach der Entlassung fortgesetzte Schikanen und Maßregelungen zu erwarten waren, ließ er sich von der BRD frei kaufen. Versuchen der CDU, ihn antikommunistisch zu instrumentalisieren, konnte er sich entziehen. Denn er blieb seiner kommunistischen Überzeugung treu. Echter Sozialismus ist möglich - so orientierte sich Dietmar an den Ideen Mao Zedongs, lernte die MLPD kennen und schloss sich der Partei in Oberhausen (NRW) an. Nach der Wiedervereinigung versuchte er, wieder in Chemnitz Fuß zu fassen. Die berüchtigten "blühenden Landschaften" fand er aber weder hüben noch drüben. Als Trödelhandler musste sich der gelernte Bauarbeiter durchschlagen. Noch Wochen vor seinem Tod transportierte er Wahlplakate der MLPD vom Ruhrgebiet nach Chemnitz und half sie aufzuhängen.
Unser schöner Abend kam auf Initiative seine Schwester zustande. Nicht nur politische, sondern auch viele persönliche und familiäre Erinnerungen und Anekdoten bereicherten den Abend. Dietmar hätte es gefallen. Anbei ein Foto vom Grab. Von Dietmar haben wir leider keines.