Gespräch mit einem Genossen der UPML
Die politische Krise in Frankreich geht sehr tief
Am 5. Oktober konnte Peter Weispfenning von der MLPD in Berlin ein Gespräch mit Marc Cefallo aus Frankreich führen. Marc ist Mitglied der Union Prolétarienne Marxiste Léniniste und hat diese maßgeblich mit aufgebaut. Die UPML ist Mitglied der revolutionären Weltorganisation ICOR.
Peter: Worin liegt die Ursache der offenen politischen Krise in Frankreich und welche Bedeutung misst du ihr bei?
Marc: Vor dem Hintergrund der Weltwirtsschaftskrise, die auch Frankreich stark erfasst, plant Präsident Macron, große Kürzungen bei der Rente, Angriffe im Gesundheitswesen, gegen Arbeitende (Präkaritât, Flexibiltät) und gegen Arbeitslose durchzusetzen. Er schränkt die Rechte der Gewerkschaften oder die Pressefreiheit ein, das Demonstrationsrecht und insgesamt die bürgerlich-demokratischen Rechte und Freiheiten. Entlassungen nehmen zu, Macron fährt Attacken gegen Migranten und besonders gegen Araber. Diese Politik wird von der Mehrheit der Menschen im Land abgelehnt. 84% der Bevölkerung haben laut Umfragen kein Vertrauen mehr in Macron!
Die politische Krise hat alle Ebenen erfasst, geht herunter bis zu den Kommunen. Wir erleben in den letzten Jahren einen massiven Rückgang der Wahlbeteiligung auf 30-40%. Das Vertrauen in die parlamentarischen Parteien zerfällt. Die sogenannte Kommunistische Partei hatte früher in manchen Bezirken 90 % der Stimmen bekommen und jetzt sind es oft nur noch 5 %; auch die Sozialisten sind abgesackt, genauso wie alle etablierten bürgerlichen Parteien. Stattdessen wächst die linke Sammlungsbewegung La France Insoumise, aber auch der faschistische Rassemblement National. Die Kräfte in den Parlamenten sind heute so, dass sich die Herrschenden sehr schwertun, überhaupt zu regierungsfähigen Mehrheiten zu kommen. Präsident Macron regiert sehr stark durch Dekrete, die er zum Beispiel auf den Paragrafen 49.3 der Verfassung stützt. Damit schwächt er das Parlament und den Parlamentarismus als bürgerliche Institution. Das schürt die Unzufriedenheit im Land und führt zu einer politischen Krise, die weit größer ist als eine Regierungskrise.
Peter: Wie entwickeln sich die Arbeiter- und Volksproteste und worin siehst du die Unterschiede zu den Gelbwesten-Protesten vor einiger Zeit?
Marc: Die internationale Situation mit dem Ukrainekrieg und dem Völkermord in Gaza bewegt viele Menschen vor allem auch die in Frankreich zahlreichen arabischen, die auch unter Rassismus leiden. In den Gewerkschaften stärkt und radikalisiert sich die kämpferische Strömung. Die Massenbewegung „Alles blockieren“ prägt aktuell das Bild. wächst. Sie war mit die Grundlage für die letzten landesweiten Streiktage, an denen sich 500.000 bis eine Millionen Menschen an mindestens 400 Aktionen beteiligten. An der Bewegung beteiligen sich Gewerkschafter, kämpferische Sozialisten, Migranten, Trotzkisten, Anarchisten oder Marxisten-Leninisten. Es ist auch eine Bewegung der Jugend und etwa 70% der Beteiligten sind jung,
Bedeutend sind die „generellen Zusammenkünfte“ oder auch "Generalversammlungen", die regelmäßig an den Orten organisiert werden, in den Stadtteilen. Im ganzen Land gibt es davon über 100, die sich regelmäßig öffentlich versammeln, demokratisch diskutieren und Mehrheitsentscheidungen treffen. Sie funktionieren nach dem Prinzip der direkten Demokratie, was gelernt sein will. Manchmal ist das Organisieren schwierig. Es geht also um eine v.a. spontane, aber nicht um eine spontaneistische Bewegung. Sie hat als erstes Ziel, dass die Regierung und Präsident Macron zurücktreten. Zwei Regierungen sind ja tatsächlich bereits unter diesem Einfluss zurückgetreten. Weitere Forderungen sind die Rücknahme der reaktionären Rentenreform, der Entlassungen im Staatsdienst und der Kürzungen bei der Arbeitslosenunterstützung, mehr Geld für die Gesundheitsversorgung - und kein Geld für Krieg. Weitere Anliegen sind mehr Umweltschutz.
Die Gelbwestenbewegung hatte eine andere soziale Basis, es waren v.a. Kleinbürger vom Land und Kleinstädten, auch Bauern, durchaus auch Arbeiter und Arbeitslose. Hier standen aber besondere Anliegenden der Teilnehmenden im Zentrum. Jetzt ist es eine landesweite und politischere Bewegung, wo es um grundlegende Fragen und die ganze Politik im Land geht. Es ist eine gegen das Finanzkapital gerichtete Bewegung, aus der Arbeiterklasse, der Jugend und der Migranten. Dagegen wird der faschistische Rassemblement National v.a. von Händlern, Bauern, kleineren und mittleren Kapitalisten und Reichen unterstützt. Die linke, sozialistische Tradition ist in der Bewegung stark verankert im Gegensatz zur politisch verschwommeneren Gelbwestenbewegung. Vorne dran steht jetzt die kämpferische Jugend, auch bei den Volksversammlungen, und weicht auch vor der Polizei nicht zurück.
Die UPML verankert sich in Verbindung mit den Kämpfen. Es gibt eine große Offenheit für den Sozialismus, und auch mehr Leute unterstützen unsere Arbeit. Aber es gibt auch noch viele Illusionen zum Kapitalismus und recht viel Individualismus und ist nicht so leicht, die Leute für eine Mitgliedschaft bei zu gewinnen.