Reaktionäre Wende

Reaktionäre Wende

Die Angst der Herrschenden vor Streiks

Man sagt ja normalerweise zu Recht, dass Angst ein schlechter Ratgeber ist. Das gilt aber nicht für die Angst des Klassenfeindes.

Von fh
Die Angst der Herrschenden vor Streiks
Protestierende ZF-Kolleginnen und -Kollegen in Saarbrücken (rf-foto)

Heute früh ist in Frankreich der Premierminister Sebastien Lecornu nach nur 27 Tagen im Amt zurückgetreten – ein neuer negativer Rekord. Woran ist er gescheitert? Am Massenwiderstand gegen die reaktionären Pläne zum weiteren Abbau sozialer Errungenschaften - genauso wie sein Vorgänger vor knapp vier Wochen. In diesen letzten vier Wochen gab es drei große landesweite Aktions- und Streiktage in Frankreich am 10.9., 18.9. und am 2.10., zuletzt mit über einer halben Million Beteiligten. 

 

Auch in Deutschland grassiert bei der Regierung und den Monopolverbänden die Angst vor Streiks. Die „Wirtschaftsberater“ von der „Haufe-Online-Redaktion“ geben bereits Tipps für Personalverantwortliche, wie sie am besten auf Streikankündigungen reagieren sollten (1). Dabei gibt es im Gegensatz zu Frankreich nur ein sehr eingeschränktes Streikrecht, das noch nicht einmal gesetzlich abgesichert ist. Es gibt lediglich eine Rechtsprechung, die Streiks von Gewerkschaften in dem engen Rahmen von Tarifverhandlungen zulässt. Politische Streiks oder selbständige Streiks gegen Arbeitsplatzvernichtung sind in Deutschland nicht legal. Deshalb fordern die MLPD bzw. die Vorläuferorganisation KABD bereits seit 50 Jahren ein vollständiges und allseitiges gesetzliches Streikrecht.

Woher kommt das deutsche „Streikrecht“?

Welche politische Brisanz der Kampf um das Streikrecht hat, sieht man auch daran, dass das heutige kastrierte Streikrecht stark von dem faschistischen Juristen Hans Carl Nipperdey geprägt wurde. Er war unter Hitler ein Anhänger des faschistischen Arbeitsrechts, wonach der Kapitalist zum „Betriebsführer“ mit absoluter Befehlsgewalt wurde und die „Gefolgschaft“ zu unbedingtem Gehorsam verpflichtet war. Nach dem Krieg wurde Nipperdey zum ersten Präsidenten des Bundesarbeitsgerichts. Da es kein gesetzliches Streikrecht gab und gibt, konnte dieser Richter durch seine Urteile das Streikrecht in Westdeutschland maßgeblich prägen und einschränken.

Vorauseilende Angst

Trotz dieser sehr eingeschränkten Rechte wächst auch in Deutschland die Streikbereitschaft unter den Arbeitern – und die Angst davor auf der anderen Seite. Bundeskanzler Friedrich Merz traut sich schon gar nicht, seine Pläne für einen massiven Abbau sozialer Errungenschaften offen zu legen. Er beeilt sich zu beteuern, dass er die Sozialsysteme nicht zerschlagen, sondern angeblich nur "sicher" machen wolle. Manche erinnern sich an die Geschichte solcher Sicherungen seit Norbert Blüm vor Jahrzehnten versichert hatte, die Rente sei sicher. Heraus kamen immer Rückschritte und Unsicherheit für die Massen.

 

Er weiß auch, dass die Arbeiterinnen und Arbeiter, die Angestellten und Arbeitslosen und ihre Gewerkschaften auf keinen Fall längere Arbeitszeiten, einen späteren Rentenbeginn oder Kürzungen bei der Pflege akzeptieren wollen. Aber genau das sind Maßnahmen, die Merz plant, um die Kosten für die Militarisierung sowie für die Subventionen für die Monopole abzuwälzen.

 

Um die Arbeitenden gegen Arbeitslose aufzuhetzen, fängt die Regierung beim Bürgergeld an. Dann wird Stimmung gegen die „Baby-Boomer“ gemacht, die die Chuzpe hatten, in den 1960er-Jahren auf die Welt zu kommen und deshalb jetzt in Rente gehen wollen oder gar pflegebedürftig zu werden drohen. Schon kommen Pläne an die Öffentlichkeit, den Pflegegrad 1 komplett zu streichen. 

 

Dagegen ist für Merz die Besteuerung der Superreichen ein absolutes Tabu. Wenn Deutschland nur die Vermögenssteuer der Schweiz einführen würde (das ist auch ein imperialistisches Land), hätte der Staat allein dadurch 73 Milliarden Euro mehr in der Kasse. (2) Wer nicht einmal zu solchen kleinen Reförmchen in der Lage ist, braucht vom „Herbst der Reformen“ gar nicht anfangen. Denn in Wahrheit geht es um eine reaktionäre Wende gegen die ein Herbst des Massenwiderstands nötig ist. Und dem folgen notwendig weitere Jahreszeiten des Kampfes der Massen gegen kapitalistische Ausbeutung und Unterdrückung, und zwar so lange bis der Kapitalismus Geschichte ist.

 

Der Kurs auf Kriegsvorbereitung und Kriegswirtschaft bedeutet auch eine weitgehende Zerschlagung sozialer Errungenschaften sowie erkämpfter demokratischer Rechte und Freiheiten. Bei dem Manöver „Red Storm Bravo“ in Hamburg wurde vor wenigen Tagen geprobt, wie die Arbeitsagentur zum Instrument für die Beschaffung von Arbeitskräften für die Kriegswirtschaft gemacht wird.

Gegen politische Unterdrückung!

Der vielleicht deutlichste Beleg für die zutiefst unsozialen Pläne der Herrschenden und ihre Angst vor dem organisierten Kampf der Arbeiter ist die Unterdrückung kritischer Stimmen in den Betrieben:

 

  • Bei CATL (chinesischer Batteriekonzern in Thüringen) werden Beschäftigte mit Abmahnungen überzogen, weil sie am 1. Mai ein Transparent getragen haben: „CATL-Kolleginnen und Kollegen gegen Faschismus, Rassismus und Krieg.“
  • Der Logistikkonzern DHL am Flughafen Leipzig hat den Kollegen Christopher T. fristlos gekündigt, weil er sich bei einer Demonstration gegen den Transport von militärischen Gütern für imperialistische Kriege ausgesprochen hat.
  • Thyssenkrupp-Steel (tkse) in Duisburg hat dem Betriebsratsmitglied der IG Metall, Markus Stockert, eine Abmahnung erteilt, weil er dazu aufgerufen hat, während der Arbeitszeit zum Betriebsrat zu gehen und sich über den Stand der Verhandlungen zum „Sanierungstarifvertrag“ zu erkundigen.

 

In allen diesen Fällen geht es den Konzernen darum, ein Exempel zu statuieren, um die Belegschaften einzuschüchtern. Aber sie erreichen genau das Gegenteil, weil die betroffenen Kolleginnen und Kollegen offensiv vorgehen und breite Unterstützung bekommen. Diese Bewegung der Solidarität gegen politische Unterdrückung sollte sich auch die Forderung nach einem allseitigen und vollständigen gesetzlichen Streikrecht zu eigen machen und sich mit den Montagsdemonstrationen verbünden. Wenn wir nicht die Dimension der kommenden Angriffe unterschätzen, werden die Herrschenden feststellen, dass sie uns unterschätzt haben.