Internationalismus Live
Lateinamerika in Gelsenkirchen: Reisebericht mit passenden Speisen und Musik
215 Besucherinnen und Besucher waren am Sonntag zu der Internationalismus Live-Veranstaltung, „Lateinamerika: Ein Kontinent im Aufruhr“ in die Horster Mitte in Gelsenkirchen gekommen. Und der Titel hat nicht zu viel versprochen. Gabi Fechtner, Tassilo Timm, Wanja Lange und Mira Kaizl berichteten lebendig von ihrer Lateinamerikareise, die kürzlich stattfand.
Ihr Bericht aus den Ländern Peru, Argentinien, Brasilien, Uruguay und Mexiko wurde durch zahlreiche Bilder und Videos ergänzt. Und immer wieder unterbrochen durch südamerikanische Lieder und einen elegant vorgeführten Tango.
Zum Charakter solcher Reisen für die MLPD sagte die Parteivorsitzende der MLPD, Gabi Fechtner: „Solche Reisen haben für die MLPD eine große Bedeutung. Sie dienen dazu, Leben und Kampf der Menschen, die Arbeit revolutionärer Parteien in diesen Ländern, kennenzulernen, aber auch unsere Erfahrungen und Analysen einzubringen. … Darüber hinaus legen wir viel Wert darauf, Gespräche mit Gewerkschaftern, Frauen- und Jugendorganisationen, aber auch einfachen Menschen auf der Straße, in der U-Bahn usw. zu führen. Aber natürlich gehört zu einem Gesamteindruck auch, das reiche kulturelle Erbe dieser Länder, Traditionen, Kulturstätten und Kulinarisches kennen zu lernen.“
Ein Kontinent im Aufruhr
Seit hunderten Jahren ist die Geschichte Lateinamerikas geprägt von Aufständen und Kämpfen gegen Ausbeutung und Unterdrückung – zuerst gegen die Kolonialmächte, später gegen reaktionäre, faschistiodide, faschistische Regierungen bzw. Militärdiktaturen wie in Argentinien oder Brasilien. Seit der Jahrtausendwende entwickelte sich zeitweise eine länderübergreifende revolutionäre Gärung. Die Enttäuschung mit gescheiterten Illusionen eines friedlichen Wegs zum Sozialismus wie in Venezuela oder Bolivien trug in einigen Ländern zur Stärkung faschistischer bzw. rechter Parteien und Präsidenten bei. Aktuell befindet sich der Kontinent im Zangengriff sowohl alter wie neuer Imperialisten. So hat zum Beispiel in Brasilien China als wichtigster Handelspartner die USA abgelöst.
Welche Strategie und Taktik?
Die eigenständige kapitalistische Entwicklung mit der Herausbildung auch eigener Monopole rückt in Peru gegenüber dem Kampf gegen die jahrzehntelange neokolonialen Ausbeutung und Unterdrückung in den Vordergrund. Diese Frage hat entscheidenden Einfluss auf die Strategie und Taktik jeder revolutionären Partei. So gibt es hier auch Meinungsunterschiede der MLPD zur argentinische Partei PCR Argentinien, die trotz verschiedener eigener Monopole im Land mit Kapitalexport in andere Länder Argentienien nach wie vor als neokolonial unterdrücktes Land charakterisiert. Die MLPD-Delegation diskutierte, dass Argentinien einen neuimperialistischen Charakter angenommen hat.
Die ICOR, die internationale Koordinierung revolutionärer Parteien und Organisationen, hat in Peru gleich vier Mitgliedsorganisationen. Die vier Parteien organisierten in Lima eine gemeinsame Veranstaltung. Daran nahmen auch eine ganze Reihe Bergarbeiter teil. Sie bilden in Peru den Kern des Industrieproletariats. Seit der ersten Bergarbeiterkonferenz 2013 in Arequipa bestehen enge Beziehungen zu den Bergleuten in Peru. Großes Interesse bestand an der Entwicklung in Europa und Deutschland und an den Erfahrungen im Parteiaufbau. Wie schätzt die MLPD die Kriegsvorbereitung, Militarisierung und weltweite faschistische Gefahr ein? Fragen, die bei allen Gesprächen in den verschiedenen Ländern eine große Rolle spielten.
Antifaschistischer Kampf der Massen in Argentinien
Argentinien wird von dem Faschisten Milei regiert. Seitdem leben 40 Prozent der Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze. Milei konnte allerdings seinen geplanten Wechsel zur Errichtung einer faschistischen Diktatur bisher nicht voll durchziehen. Das liegt in erster Linie am aktiven antifaschistischen Kampf der Massen, besonders der Arbeiterklasse, aber auch der kämpferischen Frauenbewegung, der Rentner, der LGBTQ-Bewegung, der fortschrittlichen Intellektuellen, der studierenden Jugend und Kulturschaffenden. Dafür stehen 2025 mehrere Generalstreiks, Aktionstage usw.
Mit der argentinischen Partei PCR verbindet die MLPD eine lange Freundschaft. Die PCR ist eine marxistisch-leninistische Partei mit großem gesellschaftlichem Einfluss. Sie arbeitet im ganzen Land, hat Betriebsgruppen in zahlreichen Industriebetrieben, führte bedeutende Streiks und ist in zahlreichen Selbstorganisationen aktiv. Auch in der Frauenbewegung, die jährlich Hunderttausende Frauen zu landesweiten Treffen mobilisiert.
Im vom Faschisten Milei regierten Argentinien besuchte die Delegation mit Genossen der PCR nördlich von Buenos Aires ein großes Industriegebiet mit internationalen Übermonopolen wie VW, Ford und andere. Die PCR verkauft dort u.a. vor einem Nahrungsmittelkonzerns regelmäßig ihre Wochenzeitung „Hoy“. Bei einem traditionellen argentinische Grillen mit Arbeitern erfahren wir, dass die Fleischpreise als Folge der Politik des Faschisten Milei so gestiegen sind, dass einige seit Monaten kein Fleisch mehr gegessen haben.
Besuch bei dem „Stummen“
Uruguay war das nächste Reiseziel. Die Revolutionäre Kommunistische Partei (PCR) ist seit 2018 Mitglied der ICOR. Uruguay hat eine kämpferische Arbeiterklasse, eine streitbare Frauenbewegung und ein kämpferisches Volk. 2004 haben sie mit einem Volksentscheid die Privatisierung des Trinkwassers verhindert. Am 12. August gab es einen Generalstreik gegen einen „Sparmaßnahmen“katalog der Regierung. Die Delegation berichtete von einem ausführlichen Gespräch mit dem Generalsekretär der Partei, Ricardo Cohen. Er war während der Militärdiktatur (1973 bis 1985) acht Jahre im Gefängnis. Um niemanden zu verraten, beschloss er, auch unter Folter acht Jahre nicht zu sprechen. Seitdem ist er in ganz Lateinamerika als „der Stumme“ bekannt. In dem Gespräch ging es den Kampf gegen Faschismus und Kieg, die Entwicklung der ICOR bis zur Stalinfrage und die Arbeiten der MLPD dazu. Am Beispiel der Geschichte der Guerilla-Bewegung Tupamaros und ihres Führers José Mujica wurde anschaulich deutlich, welch ausschlaggebende Rolle die Denkweise spielt: vom Guerilla-Führer zum Präsidenten einer Law- und Order-Regierung gegen das Volk.
Auf der Konferenz von Conlutas
Das nächste Reiseziel war Brasilien. Brasilien ist ein neuimperialistisches Land, wirtschaftlich auf dem Niveau Italiens. Es dominiert zusammen mit China Südamerika. In dem Gespräch mit einem Vertreter der recht jungen Organisation APR drehte sich die Diskussion unter anderem um die unterschiedliche Einschätzung Chinas als neuimperialistisches Land. Dasselbe gilt auch für die Charakterisierung Brasiliens. Bei einem Besuch in Sao Paulo, dem industriellen Zentrum Brasiliens, traf sich die Delegation mit der klassenkämpferischen Gewerkschaft Conlutas. Die Delegation konnte auch an einem Kongress teilnehmen. Conlutas arbeitet schon lange in der Internationalen Automobilarbeiterkonferenz (IAC) mit. Der Kongress beschloss, auch eine Delegation nach Indien zur nächsten internationalen Konferenz zu schicken.
In einem Vorort von Sao Paulo besuchte die Delegation ein besetztes Gebiet mit 87 Familien. Die Landlosen-Bewegung hat eine lange Tradition. Allein in Sao Paulo leben 500 00 Menschen in solchen Gebieten. Sie sind ständig brutalen Angriffen faschistisch-militaristischer Gruppen und der Polizei ausgesetzt.
Der letzte Besuch führte nach Mexiko
Der letzte Besuch führt die Delegation nach Mexiko. Mexiko hat sich von einem neokolonial ausgebeuteten Land zu einem kapitalistischen und heute zu einem neuimperialistischen Land entwickelt. In Mexiko fand ein wichtiges Gespräch mit dem über 80-jährigen Generalsekretär einer marxistisch-leninistischen Partei statt. Für die Delegation interessant waren die Erfahrungen mit der Kommunistischen Internationalen. Dort hat ein Vertreter, Earl Browder, eine opportunistische, kleinbürgerliche Politik verfolgt. Danach sollte bei der Umsetzung der antifaschistischen Einheitsfront die „Einheit um jeden Preis“ durchgesetzt werden und alle Parteimitglieder in die sozialdemokratische Partei eintreten. Dieser Fehler hat heute noch Einfluss in den USA.
Bei einem Besuch Teotihuacán konnte die Delegation die drittgrößte Pyramide der Welt, die Sonnenpyramide bestaunen. In den ersten sechs Jahrhunderten unserer Zeitrechnung war Teotihuacán kulturelles Zentrum Mittelamerikas mit Handelsbeziehung bis nach Nordamerika. Teotihuacán belegt auch, wie die Ansiedlung verschiedener Völker zur Blüte von Wirtschaft und Kultur beitrugen.
Fazit: eine erfolgreiche Reise ...
... mit vielen Erkenntnissen und praktischen Ergebnissen und der Vertiefung der Bezehungen zu den marxistisch-lennistschen Parteien und die Arbeiterbewegung in diesen Kernländern Lateinamreikas.
Die MLPD genießt wegen ihrer vorbildlichen theoretischen Arbeit weltweit großes Ansehen und großen Respekt. Das gilt auch für Parteien und Organisationen, mit denen es noch eine ganze Reihe politischer und ideologischer Widersprüche gibt. Der Verkauf von 89 Büchern und 24 als Gastgeschenke überreichten sind ein kleiner Beleg dafür. Hervorzuheben ist die Herausgabe des Buchs von Willi Dickhut „Sozialismus am Ende?“ von 1992 auf Spanisch in Peru. Das unterstreicht, dass weltweit die Suche nach einer Alternative zur allgemeinen Krise des kapitalistischen Weltsystems besteht.
Zum Schluss des Vortrags fasste Gabi Fechtner die Reise so zusammen: „Kein Brief, keine Videokonferenz kann diesen lebendigen Austausch ersetzen, wo man mitten in Leben und Kampf der Genossinnen und Genossen eintaucht. Die Diskussionen waren nicht schwarz-weiß, sondern äußerst vielschichtig und differenziert. Das hat auch unseren Blick erweitert, uns mit dem Herzen noch enger verbunden mit den Massen und den Revolutionären in Lateinamerika. … Überall wurden gemeinsame Verabredungen für die Zukunft getroffen, an denen wir jetzt gemeinsam arbeiten.“
In der anschließenden Diskussion ging Stefan Engel auf ein ernst zu nehmendes Problem ein: „Die Arbeiterklasse in Lateinamerika ist relativ stark, verfügt über eine 150jährige Kampferfahrung. Es stimmt mich traurig, dass es in verschiedenen Parteien nach dem Tod führender Funktionäre nicht gelungen ist, die Parteien zu stabilisieren. Wir haben das anders gemacht. Willi Dickhut hat es bei der Parteigründung abgelehnt, Parteivorsitzender zu werden, um jungen Genossen wie mir mit 25 die Möglichkeit zu geben, in diese Aufgabe hineinzuwachsen. Genauso haben wir das mit dem Übergang des Parteivorsitz von mir auf Gabi Fechtner gemacht.“
Der spannende Vortrag wurde mit dem gemeinsamen Singen der Internationale beendet. Danach ging es nahtlos über zum Mittagessen mit zahlreichen lateinamerikanischen Gerichten wie z.B. Quinoa mit Gemüse, mexikanischen Takkos und südamerikanischen Cocktails. Satt von den köstlichen Mahlzeiten konnten die Teilnehmer und Teilnehmerinnen bei Kaffee und Kuchen einem wunderbaren Konzert lateinamerikanischer Lieder lauschen, einfühlsam und überzeugend vorgetragen von Maren aus Aschaffenburg.
Eine überaus gelungene Veranstaltung
Teilnehmerin: „Das neue Format mit Mittagessen, Musik zwischendurch und einem anschließenden kleinen Konzert hat mir sehr gut gefallen. Das sollte man unbedingt beibehalten. Auch lernt man dadurch neue Leute kennen, kann sich viel besser unterhalten, als wenn nach der Diskussion alle aufstehen und nachhause gehen.“
Teilnehmer: „Ich fand die Vorstellung der unterschiedlichen Parteien und ihrer Arbeit interessant. Mit wurde deutlich, dass Lateinamerika zwar weit weg ist, wir aber durch den Imperialismus, seinen Krisen und Kriegen doch sehr nah beieinander sind. Mir war in der Bedeutung nicht bewusst, welche Rolle der MLPD innerhalb der revolutionären Weltbewegung. Und wir können stolz sein auf unsere theoretische Arbeit, wo man manchmal leicht vergisst, was für einen Schatz wir da haben.“
Eine Genossin von ihrer Teilnahme an der Quito-Konferenz in Ecuador (1), die sich an Enver Hoxa orientieren. „Wir hatten sehr fruchtbare Gespräche mit verschiedenen Organisatoren. Vor allem in den politischen Einschätzungen zu den USA, zu China und einer sozialistischer Perspektive bestand Einheit. Gleichzeitig bestehen aber noch die verschiedensten ideologischen Differenzen Es gab eine Aufgeschlossenheit für eine interntionale Zusammenarbeit, aber noch keine Entscheidung.“