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Einstimmiges Urteil: RAG und RAG-Stiftung in allen Anklagepunkten schuldig!

Die über 280 Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Tribunals gegen die RAG wegen ihrer Politik der "verbrannten Erde" waren sich einig: Ohne Gegenstimme und Enthaltung sprachen sie die RAG am 24. August in allen zehn Anklagepunkten für schuldig. Allerdings war die Beweislast dafür derart erdrückend, dass kein Spielraum für die leisesten Zweifel blieben. Aber der Reihe nach ...

Von RF-Redaktion
Einstimmiges Urteil: RAG und RAG-Stiftung in allen Anklagepunkten schuldig!
Über 280 Menschen vor allem aus dem Ruhrgebiet, aber auch ganz Deutschland beteiligten sich an dem Tribunal (Foto: RF)

Pünktlich um 10 Uhr begrüßte der Vorsitzende Richter Frank Jasenski alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer im Kultursaal der "Horster Mitte" und stellte das kompetente Tribunal vor. Neben ihm saßen am Richtertisch als Beisitzende Brigitte Ehrensperger, langjährig aktiv in der kämpferischen Bergarbeiterbewegung, und Frank, jahrzehntelang als Bergmann unter Tage. Chefankläger war Rechtsanwalt Roland Meister, zugleich Spitzenkandidat für die überparteiliche ruhrgebietsweite Wählervereinigung AUF-Ruhr. Frank Jasenski ist selbst von Beruf Rechtsanwalt aus Bottrop und eng mit der Bergarbeiterbewegung verbunden. Das Tribunal stützte sich auf elf weitere Ankläger zu den einzelnen Anklagepunkten sowie 56 Sachverständige und Zeugen: Ehemalige Bergleute und Bergarbeiterfrauen, Experten der Bergarbeiterbewegung Kumpel für AUF, kämpferische Kommunalpolitiker, Bewohner von Zechensiedlungen, Umweltaktivisten, fortschrittliche Ärzte, Rechtsanwälte und viele mehr. Seine Besonderheit war, dass auch die anderen Teilnehmerinnen und Teilnehmer im Saal bei Aussprachen ihre Meinung äußern konnten und am Schluss über das Urteil abstimmten.

 

Wie heißt es doch so schön: "Alle Macht geht vom Volke aus!" Hier wurde das Wirklichkeit.

Angeklagt sind die RAG und die RAG-Stiftung und ihre Politik der "verbrannten Erde"

Roland Meister führte aus: "Die heutige Verhandlung wurde einberufen, um einen Sachverhalt zu behandeln, der zur Vernichtung von Arbeits- und Ausbildungsplätzen, vergiftetem Trinkwasser, wachsender Armut, Niedriglöhnen, horrenden Mieten und vielem mehr geführt hat und der mit dafür verantwortlich ist, dass rassistische und faschistische Kräfte erstarkt sind. ... Das Tribunal wurde von den Opfern und Betroffenen dieser schwerwiegenden Verletzungen grundlegender Lebensbedingungen angestrengt. ... Angeklagt sind die Ruhrkohle AG und RAG-Stiftung und ihre Politik der 'verbrannten Erde'. Diese Probleme im Ruhrgebiet und anderswo haben ihre Wurzeln nicht in der Migration oder Flüchtlingsbewegung, wie uns die faschistische AfD oder 'Die Heimat' weismachen wollen. Die Anklage wird nachweisen, dass hauptverantwortlich dafür die RAG ist." Die Ankündigung, dass die Aussagen beweisen werden, wer die RAG wirklich ist, welche Geschichte und welche Macht sie hat, wer ihre Hintermänner und Entscheidungsträger sind, wer ihr Beihilfe leistet und welcher Methoden sie sich bedient, wurde vollständig erfüllt. Die folgenden zehn Anklagen waren akribisch vorbereitet, sie wurden mit zahlreichen Schautafeln, Grafiken, Fotos und Filmaufnahmen unterstrichen.

Anklagepunkt 1 "Die Ruhrkohle AG mausert sich zur RAG-Stiftung"

Die Ankläger aus Hagen machten deutlich, dass ein wesentlicher Ausgangspunkt der Gründung der RAG die großen Massenproteste der Bergleute gegen die beginnenden Zechenschließungen war. 60.000 demonstrierten im September 1959 in Bonn. Überall im Ruhrgebiet gingen die Kumpel auf die Straße. Der damalige Bundeskanzler Adenauer prägte den Spruch: "Wenn die Ruhr brennt, hat der Rhein nicht genug Wasser, um die Flammen zu löschen." Die Gründung der RAG am 27.11.1968 war ihre Lösung, diese Arbeitsplatzvernichtung ohne Arbeiterkämpfe und angeblich sozialverträglich über die Bühne zu kriegen. Die Denkweise "Wir sind die RAG" wurde tief verankert. Aus Angst vor Streiks finanzierte der Staat mit 200 Milliarden DM die Frühverrentung der Bergleute. Gleichzeitig hatten die RAG und ihre Hauptabnehmer, die Stahl- und Energieindustrie garantierte Maximalprofite beim Staat durchgesetzt. Als Kohl die Vernichtung von 60.000 Arbeitsplätzen verkündete, verlor das "Wir"-Gefühl jedoch an Wirkung. Es kam schließlich zum großen selbständigen Bergarbeiterstreik im März 1997. Der Streik war einer der größten Streiks in der BRD und der erste von Bergleuten. Er läutete das Ende der Kohl-Regierung ein. Originale Filmaufnahmen zeigten erhebend, welch geballte Kraft der Arbeiterbewegung hier frei wurde.

Anklagepunkt 2 „Die RAG als größter Arbeits- und Ausbildungsplatzvernichter des Ruhrgebiets“

Bei diesem Anklagepunkt wurde entlarvt, dass das Versprechen "Keiner fällt ins Bergfreie" von Anfang an ein Betrug war. Ankläger Martin Schreurs führte aus, dass es im Bergbau in Spitzenzeiten 600.000 Beschäftigte gab. Bei der Gründung der RAG waren es noch 264.000 Bergleute, über 120.000 Jugendliche wurden qualifiziert ausgebildet. Der Sachverständige Christian Link ergänzte, dass es ein Märchen war, die Steinkohleförderung der RAG sei ein „Zuschussgeschäft“ gewesen. Zusammen mit dem Saarbergbau, der Zeche Ibbenbüren und den Bergbauspezialgesellschaften waren es sogar über 326.000 Arbeits- und Ausbildungsplätze, die mittlerweile vernichtet wurden. Dazu kommt, dass drei weitere Arbeitsplätze in Zuliefer- und Weiterverarbeitungsbetrieben an einen Bergbau-Arbeitsplatz gekoppelt waren. Geht man von einer durchschnittlich 3,5 Mitglieder zählenden Familienstärke aus, waren 700.000 Menschen im Ruhrgebiet von den im Bergbau erzielten Einkommen abhängig. Die Verarmung der Ruhrgebietsstädte hat also einen direkten Zusammenhang zu dieser gigantischen Arbeits- und Ausbildungsplatzvernichtung, die besonders die Jugend traf. Natürlich war auch die RAG eingeladen, auf dem Tribunal ihre Position zu vertreten. Ein Kollege aus dem Publikum setzte einen Zylinder auf und gab sich als RAG-Vertreter. Als er beteuerte, dass sein Unternehmen alles getan habe, „damit keiner ins Bergfreie fällt“, wurde das mit Buhrufen und Pfiffen quittiert.

Anklagepunkt 3 „Die RAG als Vorreiter im Abbau erkämpfter sozialer Errungenschaften“

Als Zeugin für diese Anklage sprach unter anderem die Bergarbeiterfrau Jutta Jell. Sie kämpft seit Jahren für die Anerkennung ihrer Witwenrente, die die RAG ihr mit der Begründung verweigert, dass sie mit ihrem an Krebs verstorbenen Mann nicht lange genug verheiratet war. Ihr Fall ist bereits zum Politikum geworden - das zeigte unter anderem ein Filmbeitrag aus der WDR-Lokalzeit. Trotzdem wurde ihre Klage sogar vom Bundesverfassungsgericht abgelehnt. Hintergrund ist eine völlig veraltete und frauenfeindliche Sozialgesetzgebung, die von der RAG und der Knappschaft schamlos ausgenützt wird. Weil ihr die Rente fehlt, muss sie morgens Zeitungen austragen. Jutta Jell kämpft gemeinsam mit vielen Unterstützern nicht nur für ihre Witwenrente, sondern auch für eine Gesetzesinitiative zur rechtlichen Gleichstellung nicht verheirateter Menschen mit Verheirateten. Ihre Versicherung „Ich gebe nicht auf!“ wurde mit großem Beifall beantwortet. Weitere Sachverständige und Zeugen machten deutlich, wie die RAG gegenüber Bergleuten immer wieder versucht hat, auch die als Deputat ausgezahlte Bergbaurente zu kürzen oder zu streichen. Kämpferische Bergleute wie Christian Link wurden mit massiven Repressionen wie einem „Anfahrverbot“ unterdrückt. Auch er berichtete vom mutigen gemeinsamen Kampf dagegen.

Anklagepunkt 4 „Vernichtung von preiswertem und lebenswertem Wohnraum“

Ankläger Frank beschuldigte RAG und RAG-Stiftung, Bergleute und ihre Familien aus ihren Wohnungen zu vertreiben und bezahlbaren und lebenswerten Wohnraum zu vernichten. Aber auch dafür, mit ihrem Wohnungskonzern Vivawest gemeinsam mit Vonovia die Mieten systematisch in die Höhe zu treiben und eine wachsende soziale Not in den Ruhrgebietsstädten zu verursachen. Der Sachverständige Andreas Tadysiak berichtete, wie die Zechensiedlungen entstanden sind, um die Bergleute an die Bergbaukonzerne zu binden, wie sie aber auch zur Herausbildung der solidarischen Bergarbeiterkultur beitrugen. Deutlich wurde, wie unverfroren insbesondere die Vivawest dabei vorgeht, Mieten zu erhöhen und Mieter zu vertreiben. Es gab zahlreiche Zeugenberichte, wie dagegen der Protest organisiert wird, gemeinsam mit Mieterinitiativen, örtlichen IGBCE-Gruppen und Kumpel für AUF.

Anklagepunkt 5 „Die RAG provoziert aus nackter Profitgier eine regionale Trinkwasserkatastrophe und viele weitere Katastrophen“

Wer bisher vom verbrecherischen Charakter der Machenschaften der RAG noch nicht restlos überzeugt war, der war es nach diesem Anklagepunkt bestimmt. Was die RAG mit der Flutung der Zechen anrichtet, ist ein Umweltverbrechen größten Ausmaßes. Der Sachverständige Wolf-Dieter Rochlitz wies nach, wie über das ruhrgebietsweite Gesamtsystem der untertägigen Wasserhaltung riesige Mengen an hochgiftigen Stoffen in die Lippe und den Rhein gepumpt werden sollen – ungefiltert und ohne Entsalzung. Darunter Dioxine und Furane aus Müllverbrennungsanlagen, aber auch 12.000 Tonnen hinterlassenes PCB aus den Hydraulikanlagen. Die RAG hatte mit der früheren SPD/Grünen-Landesregierung ausgehandelt, 1,6 Millionen Tonnen Müll und Giftmüll unter Tage zu deponieren – für 700 DM staatliche Subventionierung je Tonne. Damals war noch die Rede davon, dass man das Grubenwasser nicht bis zur Höhe des eingelagerten Giftmülls ansteigen lassen wolle. Mittlerweile hat die RAG es aus reinen Kostengründen schon weit höher ansteigen lassen. Zeuge Werner Engelhardt zeigte auf, dass die RAG eiskalt in Kauf nimmt, dass mit dem Ansteigen des Grubenwassers 50 Prozent des Ruhrgebiets regelrecht absaufen. Zynisch nannte ein für die RAG arbeitender Professor dies „westfälische Seenplatte“. Den mit dem Giftmüll in Berührung kommenden Kumpel sagte man: „Das ist ganz harmloses Zeug.“ Sie sollten ihm nur nicht zu nahe kommen. Mehrere Zeugenaussagen belegten, wie Kumpel über die Gefahren völlig im Unklaren gelassen wurden. Viele von ihnen sind inzwischen an Krebs und anderen Krankheiten gestorben. All dies wäre nicht möglich gewesen ohne engste Zusammenarbeit und Mitwisserschaft von Regierungspolitikern, Behörden und Kontrollinstanzen.

 

Weitere Anklagepunkte waren „Die Lüge von der Gesundheitsfürsorge für die Bergleute“, „Wie die RAG den Kommunen ihre vergifteten Flächen aufzwingen will oder ihnen diese vorenthält“, „Das Ausbluten der Kommunen und das Narrativ der Armutsmigration“, „Die Unterdrückung der revolutionären Bergbautradition und -kultur“ sowie „Die RAG-Stiftung macht imperialistische Politik“.

 

Nach diesen geballten Enthüllungen und Informationen konnte wahrhaftig keiner mehr sagen, er habe nichts mit der RAG zu tun, nur weil er oder sie kein Bergmann ist. Sie vermittelten ein viel deutlicheres Bild davon, was Diktatur der Monopole eigentlich bedeutet. Das Tribunal klagte aber nicht nur die RAG an, sondern würdigte auch die Bergarbeiterbewegung, ihre kämpferische Tradition und Kultur und ihren Widerstand gegen die Arbeitsplatzvernichtung und Politik der „verbrannten Erde“ bis zuletzt. Das war in jedem Anklagepunkt verbunden mit Forderungen nach Sofortmaßnahmen auf Kosten der Profite der RAG-Stiftung.

 

Beispielhaft wurde anhand der RAG, der RAG-Stiftung und ihrer Politik der "verbrannten Erde" nachgewiesen, wie Monopole ihre Diktatur über ganze Regionen, Länder und länderübergreifend ausüben.

„Ein tolles Gemeinschaftswerk“

Stefan Engel, ehemaliger Parteivorsitzender der MLPD und bis heute enger Berater der kämpferischen Bergleute, trat vor der Abstimmung über das Urteil ans Mikrofon. Er würdigte die Leistung der Vorbereitungsgruppe und zog als Resümee: „Wenn wir jetzt erstmals gemeinsam auch zum Ruhrparlament kandidieren, müssen wir mit einem Donnerschlag anfangen und unsere Argumentationslinie vereinheitlichen. Da haben wir uns überlegt, dazu müssen wir ein Wochenende machen – mit Kultur und der Revue gestern und heute mit dem Tribunal. Wir gehen hier raus mit einem höheren Begriff von dem, was die Ruhrkohle AG hier im Ruhrgebiet angerichtet hat, anrichtet und künftig noch anrichten wird. … Wir haben uns dazu auf die Leute gestützt, auf die Zeugen, die betroffenen Kumpel, die Anwohner, die Mieter, die Jugendlichen. Dadurch bekamen wir ein Mosaik, das auf dieser Veranstaltung zusammengefasst wurde zu einer klareren Vorstellung, wie die RAG hier eine richtige Diktatur errichtet hat und eine Politik der ‚verbrannten Erde‘ durchführt. … Die Meinung der Leute, ihre Vielfalt steht immer höher als das, was der einzelne weiß. Keiner wird hier rausgehen und sagen, das habe ich alles schon gewusst. … Das müssen wir uns künftig viel mehr zu eigen machen: Dass wir uns gegenseitig informieren, miteinander diskutieren und voneinander lernen und so ein höheres Bewusstsein über die Zusammenhänge bekommen. Dann haben wir bessere Argumente und können auch besser und entschlossener kämpfen. … Es war ein tolles Gemeinschaftswerk, das wir hier auf die Beine gestellt haben und davon werden wir noch lange, lange profitieren.“

 

 

 

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