Frankreich
Zum 175. Todestag von Honoré de Balzac
Am 18. August 1850 verstarb Honoré de Balsac. Mit seinem 88 Bände zählenden Werk „Die menschliche Komödie“ hinterließ er ein großes literarisches Vermächtnis. Und das in einem Leben von nur 51 Jahren – verkürzt auch durch Unmengen Kaffee, die er trank.
Er war einer der Lieblingsautoren von Marx und Engels, den Begründern des wissenschaftlichen Sozialismus. In der Gewerkschaftsbibliothek bei den Renault-Werken bei Paris war er einer der am häufigsten ausgeliehenen Autoren.
Engels schrieb an Laura Lafargue: „Übrigens habe ich, während ich zu Bett liegen mußte, kaum etwas anderes als Balzac gelesen und den großartigen alten Burschen von Herzen genossen. Bei ihm lernt man die Geschichte Frankreichs von 1815 bis 1848 viel besser als bei all den Vaulbelles“ (es folgt eine Aufzählung diverser Literaten. d. Verf.) (Brief vom 13. Dezember 1883)
Marx würdigte unter anderem im Kapital Balzacs messerscharfe Darstellung der französischen Verhältnisse: „So ist bei Balzac, der alle Schattierungen des Geizes so gründlich studiert hatte, der alte Wucherer Bobseck schon verkindischt, als er anfängt, sich einen Schatz aus aufgehäuften Waren zu bilden.“ (Marx Engels Werke Band 23, S. 615). Die Klassiker haben Balzac als großen Schriftsteller des Realismus gewürdigt. Und als solchen sollten wir sein Werk studieren und daraus lernen.
Die modernen Revisionisten haben diese Würdigung ins Absurde überhöht und verballhornt. Sie haben Balzac zu einem Schriftsteller des sozialistischen Realismus erklärt, der sozusagen entgegen seinem Willen und seiner Lage einen proletarischen Klassenstandpunkt einnahm.
Die Krise der bürgerlichen Gesellschaftswissenschaften, der Religion und der Kultur
202 Seiten
19 €
Christa Berndt, Balzac-Herausgeberin in der DDR, schrieb in der Einleitung von Balzac-Texten zu ästhetischen Fragen: „Die ‚Menschliche Komödie‘ stellt in ihrer Gesamtheit eindeutig eine Parteiergreifung für die Menschheit dar. … (Sie bedeutet) im Grunde nichts anderes als eine Parteinahme für das Volk und damit – wenn auch unbewusst - für die sich neu entwickelnde Klasse des Proletariats.“ (Honoré de Balzac: Ästhetische Anschauungen. Einführung und Auswahl von Christa Berndt. Als Manuskript gedruckt. Ministerium für Kultur 1956)
Das steht in völligem Widerspruch dazu, was Engels im Frühjahr 1888 in einem Briefentwurf schrieb: „Gewiß, Balzac war politisch ein Legitimist, sein großes Werk ist ein ständiges Klagelied über den unaufhaltsamen Verfall der guten Gesellschaft; all seine Sympathien gehören der Klasse, die zum Untergang verurteilt ist. Aber trotz alledem ist seine Satire niemals schärfer, seine Ironie niemals bitterer, als dann, wenn er eben die Männer und Frauen in Bewegung setzt, mit denen er zutiefst sympathisiert – die Adligen.“ (Marx Engels Werke Band 37, Seite 44)
So glänzend Balzacs Schilderung der gesellschaftlichen Verhältnisse in der ersten Hälfte des 19. Jahrhundert ist, ihrer ganzen Dekadenz, mit der die zur herrschenden Klasse gewordenen Bourgeoisie schon durchdrungen war, so erfolgte diese doch von einem reaktionären Klassenstandpunkt, der das Rad der Geschichte zurückdrehen will. Das stellten die modernen Revisionisten auf den Kopf. Sie beanspruchten alle Fortschritte der menschlichen Kultur und Geschichte als „ihr kulturelles Erbe.“ Und sie jubelten auch reaktionären Kritikern des Kapitalismus einen proletarischen Klassenstandpunkt unter. Das war nur möglich, weil ihre Weltanschauung des modernen Revisionismus ebenfalls die einer ausbeutenden und unterdrückenden Klasse - der bürokratischen Kapitalisten – war.
In seinem literarischen Werk spielte die Arbeiterklasse die Nebenrolle der Dienstboten usw. Mit dem Lyoner Weberaufstand von 1831 als erster Massenerhebung der Arbeiter hatte das Proletariat die gesellschaftliche Bühne betreten. Und Balzac wusste und ahnte, dass von ihm die eigentliche Gefahr für die bestehenden Eigentumsverhältnisse ausging.
„Aber es ist äußerst gefährlich, den Arbeitern die Möglichkeit zu geben, sich zu sammeln und ihre wirkliche Stärke zu spüren in einer Zeit, da das Eigentum offensichtlich von der Veränderlichkeit des Regierungsprinzips und gesellschaftsfeindlichen Diskussionen bedroht wird.“ (Balzac, Über die Arbeiter)
Das ändert nichts daran, dass Balzac lesenswert ist - mit eingeschaltetem Verstand und proletarischen Klassenstandpunkt.