Hirngespinste der aktuellen Sozialdebatte
Es ist gibt nicht zu viele Rentner oder Flüchtlinge - sondern Kapitalisten!
Die Medien sind voll von der Forderung nach sogenannten Sozialreformen. Daran gibt es auch Kritik von der bürgerlichen Opposition, aber scheinbar unumstößlich ist das Mantra: Der demographische Wandel und die längere Lebenserwartung sind schuld, wir können uns dieses „Wohlstandsniveau“ nicht mehr leisten, irgendetwas müsse passieren.
Teils hört man sogar von Kollegen und Kolleginnen, dass die Zeiten nunmal schlechter geworden seien und man nichts mehr fordern könne.
Vorneweg geht die neue Wirtschaftsministerin Katherina Reiche: „Leider verweigerten sich zu viele zu lange der demographischen Realität. Wir müssen mehr und länger arbeiten“. (Spiegel, 26.5.25)
Auf dem „Demografieportal des Bundes“ (1) wird erläutert, was derzeit auch viele Medien berichten: Dass 1962 in Westdeutschland einem Altersrentner, einer Altersrentnerin sechs Beitragszahler gegenüberstanden. Heute müssten nur noch zwei zahlende Beschäftigte einen Renter, eine Rentnerin Rentner finanzieren. Diese scheinbar bestechende Logik soll belegen, dass es nicht anders geht, als die Rente und andere Sozialleistungen zu kürzen und länger zu arbeiten.
Das ist aber eben nur scheinbar logisch, denn diese Zahlen sind eben nur die halbe Wahrheit. Wie hat sich im gleichen Zeitraum die Wirtschaftsleistung in Deutschland entwickelt? 1962 lag das Bruttoinlandsprodukt (BIP) pro Kopf in Deutschland bei 2886 Euro. Heute liegt es bei 50.819 Euro! (2) Das ist sage und schreibe 17,8 mal so viel! Und da soll eine Verdreifachung der Rentnerzahl pro Einzahler / Einzahlerin nicht finanzierbar sein? Selbst wenn die seither steigenden Rentenausgaben durch höhere Preise und gestiegene Lebenserwartung einberechnet wird (laut ifo.de eine Verdreifachung), ist das kein Problem. Der Anteil der Ausgaben für die Rente vom BIP ist seit 1960 von 0,6 Prozent auf heute nur 0,4 Prozent sogar gesunken! (3)
Und auch das ist noch nicht die ganze Wahrheit: Das Pro-Kopf-BIP wird auf alle Einwohner gerechnet. Die Steigerung der Wertschöpfung nur bei den „Beitragszahlern“ und erst recht bei den Industriearbeitern gerechnet wäre noch gigantisch höher. Sogar eine Frau Wirtschaftsministerin Reiche schleppen wir Arbeiter bei diesem pro-Kopf-BIP mit, obwohl sie als ehemalige Managerin bei Eon wohl noch nie produktiv gearbeitet oder sonst etwas Sinnvolles zur Gesellschaftbeigetragen hat, aber ein Vielfaches an Einkünften bezieht. Solche Leute sind das wahre Problem, nicht die heutigen oder früheren Arbeiter und Arbeiterinnen, die das Wirtschaftswachstum und damit sowohl ihre Rente, als auch eventuelle Sozialleistungen bei Arbeitslosigkeit oder Krankheit längst doppelt und dreifach finanziert haben.
In einem so reichen Land soll es nicht möglich sein, die Gesundheitsversorgung der Bevölkerung aufrechtzuerhalten, Rentner und Rentnerinnen, die ihr Leben lang hart gearbeitet haben, ein würdevolles Leben zu ermöglichen? Da soll es nicht möglich sein, 1/80 der Bevölkerung (0,8 Prozent) an vor Krieg und Elend Flüchtende mit dem Nötigsten zu versorgen? Von denen die meisten, wenn sie denn dürfen, kräftig am BIP mitarbeiten? In einem so reichen Land jammern wir darüber, die Lebenserwartung steigt? In so einem Land „leisten“ wir uns eine Partei wie die AfD, die das Volk gegeneinanderhetzt, sich um den angeblich schwindenden Wohlstand zu streiten? Wie armselig ist dieses System eigentlich?
Frau Reiche hat Recht, man sollte der Realität ins Auge sehen. Angesichts dieser Realität sollten wir Arbeiter und Arbeiterinnen nicht nur unsere Rente, Bürgergeld, Sozial- und Gesundheitsleistungen verteidigen. Sondern offensive Forderungen stellen nach einer Verkürzung der Arbeitszeit auf 30 Stunden pro Woche mit vollem Lohnausgleich, nach einem früheren Renteneintrittsalter, höherer Rente und einer deutlichen Verbesserung der Gesundheitsversorgung. Mit einer umsatzbezogenen Sozialsteuer von 8 Prozent könnten die Sozialversicherungsbeiträge zu 100 Prozent durch die Kapitalisten übernommen werden!
Das ganze Problem ist also nicht zu wenig Reichtum in der Gesellschaft, sondern die zwanghafte Vermehrung und private Aneignung dieses Reichtums durch einige wenige Kapitalisten. Wie Karl Marx schon treffend in seinem Werk „Das Kapital“ feststellte: „Das Kapital ist verstorbne Arbeit, die sich nur vampyrmäßig belebt durch Einsaugung lebendiger Arbeit und um so mehr lebt, je mehr sie davon einsaugt.“
Was wir uns nicht leisten können, ist der Kapitalismus!