Argument
Soll die Witwenrente komplett wegfallen?
„Unter Anreizaspekten wäre es gut, wenn die Witwenrente wegfällt. Frauen können heute für sich selbst sorgen.“ Das sagt Martin Werding, Professor für Sozialpolitik und öffentliche Finanzen an der Ruhr-Universität Bochum. Im Nebenjob ist er Mitglied des Sachverständigenrats Wirtschaft, kurz „Wirtschaftsweise“ genannt, der die Bundesregierung in solchen Fragen berät.
Keine Witwenrente? Davon kann Jutta Jell aus Neukirchen-Vluyn ein Lied singen. Die heute Neunundsechzigjährige hat vierzig Jahre lang mit ihrem Partner, einem Bergmann, zusammengelebt. Allerdings bis kurz vor seinem Tod ohne Trauschein, den die deutsche Bürokratie für einen Anspruch auf Witwenrente fordert. Um über die Runden zu kommen, muss sie jeden Morgen ab 3 Uhr Zeitungen austragen. Bei jedem Wetter, sechs Tage die Woche. Was wird, wenn sie das nicht mehr kann, weiß sie nicht. „Frauen können heute für sich selbst sorgen …“ Dann müssten sie natürlich lückenlos lebenslänglich arbeiten. Dass sie im Allgemeinen weniger verdienen als Männer (die durchschnittliche Altersrente für Frauen lag 2003 bei 903 Euro, 443 Euro niedriger als bei Männern), dürfte dem Professor wohlbekannt sein, aber was soll's.
Kniffliger wird’s beim Kinderkriegen. Denn wer immer in Vollzeit arbeitet, entscheidet sich womöglich gegen den eigenen Kinderwunsch. Oder hat Verdienstausfälle, wenn die Kita mal wieder ungeplant schließt, das Kind krank ist oder … . Überhaupt: Eine Gesellschaft fast ohne Kinder – wer zahlt dann in die Rentenkasse ein? Wo kommen dann die Soldaten her, die Minister Pistorius für seine „Kriegstüchtigkeit“ braucht?
Da hat unser Professor ein Einsehen. „Die Mütterrente ist nicht per se ein Fehler, im umlagenfinanzierten System sind Anreize zur Erhöhung der Geburtenrate sinnvoll.“ Na also, er will ja doch nicht überall kürzen. Man braucht schließlich Arbeiter, die die Werte schaffen und zusätzlich die eigene Rente bezahlen. Für ein ganz anderes „umlagenfinanziertes System“ setzt sich die MLPD ein. Sie fordert eine umsatzbezogene Sozialsteuer von 8 Prozent mit Übernahme der Sozialversicherungsbeiträge zu 100 Prozent durch die Unternehmen. Davon könnten gut die 1150 Euro für alle bezahlt werden, die sonst unter diese Summe fallen würden (Arbeitslose, Rentner, Studierende, Asylbewerber…). Und alle weiteren dringenden Reformen, für die sie in ihrem sozialpolitischen Kampfprogramm eintritt. Und auch Jutta Jell nimmt ihre Situation nicht kampflos hin. Sie streitet seit Jahren vor Gerichten und jetzt im Petitionsausschuss des Bundestages für die Gleichstellung aller Lebenspartnerschaften mit der Ehe. Mit Unterstützung von Organisationen wie Kumpel für AUF und dem Frauenverband Courage. Nicht nur für sich, sondern für und mit allen Betroffenen. Und konsequent kandidiert sie jetzt im Wahlbündnis NV AUF geht’s bei der Kommunalwahl. Ihr und allen anderen kämpferischen Frauen ein herzliches Glückauf!