ZF-Aktionstag
Saarbrücken: Zerschlagung des größten saarländischen Industriebetriebs
Gestern hatte die IG Metall an allen Standorten des weltweit sechstgrößten Autozulieferers ZF zu Protestaktionen aufgerufen. Wie bislang bekannt ist, beteiligten sich rund 20 000 Kolleginnen und Kollegen. Die größten Aktionen fanden in Friedrichshafen (rund 6000), in Schweinfurt (4000) und in Saarbrücken (2000) statt. An den anderen Standorten waren es meist mehrere Hundert. Der Protest war im Gegensatz zum letzten Aktionstag entschlossener und kämpferischer. Die Wut der Beschäftigten richtet sich gegen Pläne, bis 2028 mindestens 14 000 Arbeitsplätze zu vernichten. Auf der Aufsichtsratssitzung heute ist es durchaus möglich, dass die Zahl auf 20 000 oder mehr erhöht wird.
Mit kämpferischen Worten hatte sich Hakan Dursun, Betriebsrat bei ZF Saarbrücken, am gestrigen Mittag an die protestierenden Kolleginnen und Kollegen in Saarbrücken gewandt. Der Grund: In den letzten drei Wochen kam stückweise heraus, dass das ZF-Werk in Saarbrücken, zurzeit mit 8000 Beschäftigten der größte saarländische Industriebetrieb, möglicherweise bis auf eine Restbelegschaft von 2000 Kollegen zerschlagen werden soll!
Mitten unter den 2000 Kolleginnen und Kollegen protestierten auch Aktivistinnen und Aktivisten der MLPD mit ihnen gegen die Pläne des ZF-Vorstandes, die Antriebssparte nach Osteuropa, vor allem nach Eger in Ungarn, zu verlagern oder sie überhaupt zu verkaufen. Darüber wurde gestern und wird heute in Friedrichshafen im Aufsichtsrat verhandelt.
Hier ist klar: Das hieße den Verlust Tausender Arbeitsplätze in Saarbrücken, und als ‚Dreingabe‘ will man noch an die übertariflichen Zulagen ran. Klar ist auch: Wenn eine kritische Masse an Arbeitsplätzen unterschritten wird, machen sie das Werk in Saarbrücken zu – jahrzehntelang DAS angebliche Vorzeigewerk des Konzerns. Betroffen wäre auch die Zulieferindustrie: Der Zulieferbetrieb Voith aus St. Ingbert hat bereits mitgeteilt, nicht überleben zu können, sollten sich die Pläne bestätigen. Das ist ein Schock – aber im allgemeinen kapitalistischen Krisentaumel auch wieder nicht völlig überraschend. Entsprechend war die Stimmung auf dem Platz vor allem von skeptischer Aufmerksamkeit geprägt.
Entwürdigend ist der Umgang mit den zeitlich befristet angestellten Arbeitern. Erst hieß es: „Du kannst in drei Tagen gehen, du hast nur bis Monatsende, außerdem noch Resturlaub, und tschüss!“ Kaum zu Hause kam der Anruf: Wir bieten dir noch Arbeit für zwei Monate an.“ Das stößt auf die Empörung unbefristet angestellter Kollegen.
Hakan Dursun betonte bei seiner Rede in Saarbrücken, dass „wir auch anders können. Dann machen wir halt mal ’ne Betriebsversammlung über alle drei Schichten, wenn aus Friedrichshafen keine Zukunftsgarantie kommt.“ Da gab es Riesenbeifall.
Ebenfalls interessant: Die Kollegenzeitung „Zeit Für Offensive“ wurde massenhaft und intensiv gelesen, drüber geredet, mit dem Zeigefinger tippten Leute bestätigend raunend auf einzelne Zeilen, fragten bei den Verteilern nach, ob sie noch ein Exemplar haben könnten. Die Zeitung forderte zur Beteiligung an den Aktionen auf, orientierte auf einen notwendig längeren und härteren Kampf und stellte u. a. die Forderungen nach der 30-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich im Konzern und nach einem allseitigen und vollständigen gesetzlichen Streikrecht auf. Man hörte ringsum nur dann Ablehnung, wenn einer sagte: „Die habe ich schon gestern bekommen“ oder „Die lag schon in der Kantine“. Auf die Frage, was sie denn davon hielten, sagten ein paar Kollegen erst: „schrecklich“ – und korrigierten sich dann schnell: „Ach so, das Blättchen – das ist super!“
Die ZF-Geschäftsführung hält sich nach wie vor bedeckt, offensichtlich, um einen Massenprotest zu verhindern. Wie inzwischen üblich, wurden die Hiobsbotschaften in Gerüchteform über die Saarbrücker Zeitung bekannt gemacht (zu lesen hier und hier, leider kostenpflichtig). Neu ist die gerichtliche Anzeige des Gesamtvorstandes Friedrichshafen gegen Hunderte Angestellte wegen angeblichen Geheimnisverrats, wodurch die (Nicht-)Perspektive des Saarbrücker Werkes und weitere Pläne bekannt geworden seien. Als ob die Kollegen kein Recht darauf hätten, zu erfahren, dass ihre Arbeitsplätze auf der Abschussliste stehen. Diese Anzeige ist doch sehr entlarvend: Lässt sie nicht nur darauf schließen, dass die schlimmsten Befürchtungen der Arbeitsplatzvernichtung zu erwarten sind, lüftet sie nicht nur das soziale Mäntelchen des Friedrichshafener Konzernvorstandes, sondern sie zeigt dessen Defensive und seine Furcht vor der Wut der Kolleginnen und Kollegen.
Es wird deutlich: Die Tragweite der Strukturkrise im Zusammenhang mit der Überproduktion des Automobilbereiches kommt ans Tageslicht. Es ist eine Herausforderung an das Klassenbewusstsein der Kolleginnen und Kollegen, und es scheint, als würden etliche diese Herausforderung annehmen …
Hier geht es zu einem Bericht vom ZF-Aktionstag in Friedrichshafen
Hier gibt es die aktuelle Ausgabe der Kollegenzeitung Zeit für Offensive.