Arbeitszeitdebatte
Die phantastische Arbeitswelt des Friedrich Merz
Im Mai hat der neue Kanzler Friedrich Merz als seine Devise verkündet: „Wir müssen in diesem Land wieder mehr und vor allem effizienter arbeiten“. Es bedarf einer „gewaltigen Kraftanstrengung“, um das Land wieder wettbewerbsfähig zu machen. Mit Vier-Tage-Woche und sogenannter "Work-Life-Balance" lasse sich der Wohlstand schließlich nicht halten. Also raus aus der Hängematte?
Diese Parolen sind nicht nur arbeiterfeindlich und unsozial, sondern auch wissenschaftlich betrachtet grober Unfug. Nicht nur, weil sich Merz ausgerechnet auf eine Statistik aus dem „Institut der deutschen Wirtschaft“ des Kapitalistenverbandes BDI bezieht, welches Teilzeit- und Vollzeitarbeit gleich in einen Topf wirft. Logische Merz'sche Schlussfolgerung: Weil es in Deutschland mehr Teilzeitarbeit gibt als in Griechenland, sind wir nach der Rechnung von Herrn Merz einfach nur zu faul.
Die Süddeutsche Zeitung berichtet aktuell von einer Studie der wissenschaftlichen Zeitschrift Nature Human Behaviour. Hierfür wurden knapp 3.000 Beschäftigte in sechs Ländern befragt, deren Wochenarbeitszeit um bis zu acht Stunden verringert wurde − bei vollem Lohnausgleich wohlgemerkt. Ein halbes Jahr nach der Verkürzung ihrer Arbeitszeit hatten sie weniger Burnout-Erscheinungen, eine bessere mentale wie physische Gesundheit sowie eine höhere Zufriedenheit bei der Arbeit.
Unsinnigen Worten folgen Untaten
Dass es den Beschäftigten mit kürzerer Arbeitszeit bei vollem Lohnausgleich besser geht, überrascht nicht sonderlich. Erstaunlich ist etwas anderes: Laut der Studie wurde trotz deutlich kürzerer Wochenarbeitszeit nicht weniger geleistet. „Das lag daran, dass die teilnehmenden Unternehmen vor dem Studienstart ihre Arbeitsprozesse überprüft hatten. Dabei halfen ihnen externe Berater. Tätigkeiten mit geringem oder keinem Mehrwert, unnötige Meetings etwa, wurden abgeschafft.“¹ Viele Arbeiterinnen und Arbeiter sowie Angestellte klagen heute über die ewigen sinnlosen Meetings, die vor allem der Kontrolle durch die Chefs dienen und die Leute daran hindern, einfach in Ruhe ihre Arbeit zu machen. Dazu kommt natürlich, dass die Arbeit heute in der Regel so intensiv verdichtet ist, dass sie schlicht und einfach nicht acht und mehr Stunden auf höchstem Niveau durchzuhalten ist.
Inzwischen hat Kanzler Friedrich Merz seinen unsinnigen Worten auch Untaten folgen lassen. Die Begrenzung der täglichen Arbeitszeit soll aufgehoben werden, zu Gunsten einer wöchentlichen Begrenzung. Damit werden Arbeitszeiten von zehn oder mehr Stunden am Tag „normalisiert“. Tatsächlich arbeiten heute bereits etwa 80 Prozent der Beschäftigten mehr oder weniger häufig länger als acht Stunden.² Arbeitszeiten, die länger als bis 18 Uhr gehen, sind für lediglich fünf Prozent der Beschäftigten akzeptabel, während Millionen in Schichtarbeit genau dazu gezwungen sind. Von angeblicher „Work-life-balance“ kann heute weniger denn je die Rede sein.
Lange und höchst-flexibilisierte Arbeitszeiten sind übrigens mit ein wesentlicher Grund dafür, dass die Geburtenrate in Deutschland immer weiter sinkt. Wenn Kanzler Merz und seine Regierung die Profite der Kapitalisten auf Kosten der Familien steigern will, vertieft er damit gleichzeitig die Krise der bürgerlichen Familienordnung - ohne im Geringsten etwas an den Ursachen der kapitalistischen Wirtschaftskrisen ändern zu können oder geändert zu haben.
Zweierlei Logik
Regierung und Kapitalistenverbände, gefolgt von vielen bürgerlichen Medien, predigen Wirtschaftswachstum und dazu längere Arbeitszeiten als Allheilmittel. Damit ist gemeint, dass die Menge der produzierten Waren immer weiter wachsen soll. Der Kapitalismus kann nicht ohne ständiges Produktionswachstum existieren, um die gesetzmäßig sinkende Profitrate durch mehr Masse auszugleichen. Aber genau deswegen ist die Zukunft der Menschheit unvereinbar mit dem Kapitalismus. Die natürlichen Ressourcen der Erde sind nun mal endlich. Ständig wachsende Warenberge verpulvern diese Reichtümer, verseuchen die Umwelt und steigern die Ausbeutung der Arbeiterinnen und Arbeiter.
Die ständig wachsenden Warenberge geraten in Widerspruch zur Kaufkraft. Damit verschärft sich auch entsprechend der internationale Konkurrenzkampf um die Absatzmärkte, was der der Boden für neue Krisen und Kriege ist.
Dabei hat der Kapitalismus die Menschheit zunächst enorm vorangebracht. So ist die Produktivität der Arbeit im Vergleich zur vorindustriellen Zeit des 18. Jahrhunderts explosionsartig gestiegen: Die Industrieproduktion erbringt gegenüber der früheren Handarbeit etwa 500 Prozent mehr Produkte in der gleichen Zeit, bei der Landwirtschaft sind es etwa 600 Prozent. Die Rechenleistung der heutigen Computer ist dem Kopfrechnen um das 1,5 Billionen-fache überlegen.³ Aufgrund der Profitlogik des Kapitalismus führt das aber nicht zur Beseitigung von Hunger, Armut und Umweltzerstörung, sondern zur katastrophalen Verschärfung der Probleme.
Einer entgegengesetzten Logik folgt der Sozialismus. „Ein gesamtgesellschaftlicher Paradigmenwechsel unter der Leitlinie der Einheit von Mensch und Natur richtet die Produktions-, Denk-, Arbeits- und Lebensweise auf die Befriedigung der sich stets verändernden materiellen und kulturellen Bedürfnisse der Menschen aus.“⁴ Dabei werden die vereinigten sozialistischen Staaten der Welt große Anstrengungen auf sich nehmen müssen, um die vom Kapitalismus verursachte globale Umweltkatastrophe möglichst noch zu stoppen, um das Überleben der Menschheit zu sichern. Die gigantische Arbeitsproduktivität wird dann vor allem der Mehrheit der Menschen zugutekommen.
Nach Karl Marx ist das eigentliche Maß des Reichtums der Gesellschaft die „verfügbare Zeit“. Der Kampf um Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich ist so gesehen ein Vorgefecht und Bestandteil der Erkämpfung und Verwirklichung von Prinzipien der menschlichen Gesellschaft der Zukunft.
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