Rufmord und Sexismus
Bundesverfassungsrichterin: Heuchlerische Debatte um Schwangerschaftsabbruch
Was mich als langjährige Aktivistin in der kämpferischen Frauenbewegung auf die Palme bringt ist nicht nur die hinterhältige Diffamierungskampagne gegen Prof. Dr. Frauke Brosius-Gersdorf und ihre Kandidatur als Bundesverfassungsrichterin, sondern die damit verbundene heuchlerische Debatte um die längst überfällige Entkriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs.
Ganz gezielt hat der Rechtswissenschaftler Prof. Ekkehard Riemer, unter anderem Vorstandsvorsitzender des katholischen Cusanuswerks, diese Kampagne mit angestoßen. Noch bevor die Kandidatur von Frauke Brosius-Gersdorf öffentlich bekannt war, änderte Riemer den Eintrag über sie bei Wikipedia, diffamierte und verdrehte die Positionen, die sie in der Expertenkommission zur Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs vertreten hatte und machte sie zur „Aktivistin“ für das Recht auf Abtreibung.
Das sieht noch nicht einmal der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz Georg Bätzing so. Fakt ist: Frauke Brosius-Gersdorf empfahl - wie die Mehrheit der Kommission - die Entkriminalisierung des Abbruchs in der Frühschwangerschaft. Dieser ist jetzt zwar straffrei nach einer Zwangsberatung, aber immer noch strafbar – und damit kriminell. Diese Änderung wäre ein Fortschritt für die Frauen gewesen.
Dass sich Frauen ohne moralischen Druck und ohne als Verbrecherinnen gebrandmarkt zu werden frei entscheiden können, ob sie ein Kind austragen wollen oder nicht – das passt nicht ins Weltbild eines Prof. Riemer, reaktionärer und faschistischer Kräfte. 80% der Bevölkerung sehen das anders. Selbst 77,5% der CDU-Wähler sind im Gegensatz zur CDU für eine Entkriminalisierung.
Schon 1993 protestierten Tausende Frauen und auch Männer in einer Kampagne des Frauenverbands Courage gegen das reaktionäre Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das schwangere Frauen grundsätzlich dazu verpflichtet das Kind auszutragen – sie also zu Gebärmaschinen degradiert. Dass das gerade heute wieder hochkocht wird, ist angesichts des Geburtenrückgangs und der Ausrichtung auf die kriegerische Durchsetzung imperialistischer Interessen kein Wunder. Wo kämen wir da hin, wenn nicht genügend Kanonenfutter auf die Welt käme?
Aber, so der CDU-Politiker Ploß bei „Lanz“, es gehe ja auch um die Menschenwürde des Ungeborenen, das Frauke Brosius-Gersdorf ihm abspräche. Fakt ist: Sie brachte in die Expertenkommission eine differenzierte Betrachtung der Menschenwürde des Fötus abhängig vom Stadium der Schwangerschaft ein.
Die Würde der geborenen Kinder ist nicht so wichtig
Dafür nehmen die Politiker aus CDU und AfD, die ihr daraus einen Strick drehen wollen, die Menschenwürde geborener Kinder nicht so ernst. Etwa, wenn es um die Verschärfung der Armut von Kindern geht, deren Familien Bürgergeld beziehen, um die Trennung geflüchteter Familien oder die Abschiebung in menschenverachtende Verhältnisse.
Und wo bleibt ihr Aufschrei gegen die abscheulichen Verbrechen gegen die Menschenwürde und das Recht auf Leben und Unversehrtheit der Kinder im Gaza-Streifen? Seit Monaten werden dort jeden Tag Kinder von der israelischen Armee umgebracht – in Schulen, wo sie Schutz suchen, beim Anstehen für Wasser und Lebensmittel, in Gesundheitsstationen. Tausende verhungern oder sterben an Krankheiten, weil ihnen jede Hilfe verwehrt wird. Von den mindestens 58.000 seit dem 7. Oktober 2023 getöteten Menschen sind 17.000 Kinder. 17.000 weitere sind unbegleitet oder von ihren Familien getrennt sich selbst überlassen. Dazu kommen Zehntausende Kinder, die ein Leben lang mit ihren Verletzungen und ihren Traumata werden kämpfen müssen. Israelische Geheimdienstquellen teilten Reportern im vergangenen Jahr mit, dass es Soldaten gestattet wird, bis zu 20 Zivilisten zu töten, um minderjährige Militante auszuschalten. Auf eine Einstellung der Waffenlieferungen an Israel wartet man angesichts dieses Zynismus und dieser Verbrechen vergebens.
Diese Heuchelei und Kaltherzigkeit machen mich und viele andere fassungslos und wütend. Verwandeln wir diese Wut in Protest und Kampfgeist – ob beim Antikriegstag am 1. September oder beim internationalen „Safe-Abortion-Day“, dem Kampftag für einen legalen und sicheren Schwangerschaftsabbruch, am 28. September! Und setzen wir uns für eine Welt ohne Ausbeutung und Unterdrückung ein, in der ein Leben in Menschenwürde tatsächlich möglich ist!