Heilbronn

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Briefwechsel zum Artikel "Einzelhandel vergesellschaften?"

Am 14. Juli veröffentlichten wir auf Rote Fahne - News den Artikel "Einzelhandel vergesellschaften?" von Korrespondenten aus Heilbronn. Er beschäftigt sich mit den Aktionen der Initiative "unserlidl".

jos

Zu dem Artikel schrieb ein Leser einen kritischen Brief

"Der Artikel ist ja jetzt schon ein bisschen feindselig denen gegenüber, mit der Begründung, dass 'unserlidl' fürs System ungefährlich ist. Aber sind die wirklich so ungefährlich? Ich habe den Eindruck, dass sie fundamentale Probleme des Kapitalismus ansprechen, die vielen noch immer noch nicht so bewusst sind - was private Aneignung der Arbeitsleistung und Verstrickung von Politik und Kapital angeht. Ich sehe es jetzt nicht so unbedingt gegeben, dass die absichtlich eine Kapitalismuskritik in ungefährliche Bahnen lenken wollen. Ist da direkt erst einmal anfeinden wirklich die beste Taktik? Ich weiß ja jetzt natürlich von dem, was in deren Blog steht, nicht, wie die sich sonst so konkret positionieren. Aber gibt es da keinen Diskussionsspielraum? Ist nicht bös gemeint. Wenn ich nicht wollte, dass ihr Erfolg habt, würde ich euch nicht schreiben. Ich lasse mich auch gerne eines Besseren belehren."

Antwort der Autoren

Lieber Leser, danke für Deine kritischen Anmerkungen zu dem Artikel „Einzelhandel vergesellschaften?“ Zunächst: Wir sind nicht feindselig gegenüber der Kampagne. Mit der uns bekannten Aktivistin in Heilbronn arbeiten unsere Genossinnen und Genossen sowohl in der überparteilichen Frauenbewegung als auch in der Umweltbewegung zusammen. Sie war eine der „Klimakleberinnen“ der „Letzten Generation“, die in Heilbronn vor Gericht standen. Wir haben die Solidarität mit den Angeklagten organisiert und die Bündnisarbeit dazu gefördert. An Punkten, wo man sich einig ist, sollte man gemeinsam kämpfen. Deine Zuschrift weist uns darauf hin, dass dieser Gedanke in unserem Artikel fehlte.

 

Bei der "unserlidl"-Kampagne muss man die ökonomischen, politischen und weltanschaulichen Gesichtspunkte differenziert bewerten. Ökonomisch enthält der Blog gute Fakten, die wir ja auch in unserem Artikel zitieren: z.B. die Lidl-Kassiererin, die 1,5 Millionen Jahre für das Vermögen des Firmeneigners arbeiten müsste. Politisch geht der Blog davon aus, dass die Anhäufung von Reichtum und Macht die Demokratie gefährdet. Tatsächlich gehören die vier genannten Gruppen Edeka, Aldi, Rewe und Schwarz aber zum herrschenden Monopolkapital. Die Macht von Dieter Schwarz ist Ausdruck der Diktatur der Monopole. Die führenden Monopole sind mit der Politik nicht nur „verstrickt“, sondern haben eine allseitige Macht über die Gesellschaft errichtet, sich den Staat untergeordnet und ihre Organe sind mit denen des Staats verschmolzen.

 

Eine Besonderheit der Schwarz-Stiftung sind ihre Milliarden-Investitionen in Bildung und Hochschulen. Das wird ihm seitens der Stadt Heilbronn hoch angerechnet. Sie hat ihn als „Ehrenbürger“ geehrt. In diesem System ist aber auch das Bildungssystem der Profitwirtschaft untergeordnet. Und es zeichnet sich ab, dass die Schwarz-Gruppe als Marktführerin im europäischen Einzelhandel jetzt mit dem „Park für Künstliche Intelligenz“ (IPAI) den nächsten Schritt im internationalen Konkurrenzkampf angeht. Auf dem neu errichteten Bildungscampus Heilbronn wird der Nachwuchs dafür ausgebildet.

 

Es gibt inzwischen einige Gruppen, die sich gegen das Wegwerfen von Lebensmitteln oder gegen die Massentierhaltung engagieren. Das ist sehr gut und wird auch von uns unterstützt und vorangetrieben. Zugleich stößt dieses Anliegen im Kapitalismus auch an seine Grenzen. Das Anliegen einer nachhaltigen Produktion gesunder Lebensmittel für die breite Masse der Bevölkerung lässt sich erst in einer sozialistischen Gesellschaft realisieren. Das erfordert einen gemeinsamen gesellschaftsverändernden Kampf von Arbeitern und Angestellten (auch des Einzelhandels), Landwirten und Umweltbewegten. Im Kapitalismus wird es keine „demokratische Landwirtschaft“ und keinen „demokratischen Einzelhandel“ geben. Die Monopolbetriebe der Agrar-, Lebensmittelindustrie und des Handels funktionieren nach den gleichen Gesetzmäßigkeiten, ob als Aktiengesellschaft, Familienbesitz (wie Schwarz) oder Staatsbetrieb.

 

Daher ist es eine entscheidende Frage: In welche Richtung wird das Engagement gelenkt? ...

 

Wir werden die Diskussion mit Interessierten sicher weiterführen, wo es den von Dir genannten „Diskussionsspielraum“ gibt. Zum Beispiel hat inzwischen die Umweltbewegung 'Heilbronn for Future' als festen Bestandteil ihrer Aktivitäten ein offenes Mikrofon wie die Montagsdemonstration, wo überparteilich und auf gleicher Augenhöhe unterschiedliche Standpunkte ausgetragen werden. Leider wird bis zum heutigen Tag ein Geheimnis daraus gemacht, was denn bei den "unserlidl"-Aktionstagen wann und wo stattfindet.

 

Mit herzlichen Grüßen!

 

 

Hier geht es zum Artikel: Einzelhandel vergesellschaften?