Geplatzte Richterwahl
Bundesregierung: "Vorwärts in die nächste Krise?"
Die geplante Wahl von zwei Richterinnen und einem Richter für das Bundesverfassungsgericht ist am Freitag geplatzt. Aus besonders reaktionären Kreisen der CDU-/CSU-Fraktion ging es gegen die Kandidatin der SPD, Frauke Brosius-Gersdorf, renommierte Jura-Professorin aus Potsdam.
Das neuerliche Wahldebakel im Bundestag hat das Potential, sich zu einer Koalitionskrise auszuweiten. Im Vorfeld gab es eine konzertierte reaktionäre Kampagne gegen die Juristin Frauke Brosius-Gersdorf. Mitwirkende waren u.a. Mitglieder der CDU-/CSU-Fraktion, bürgerliche Medien, die Katholische Kirche.
Reaktionäre Kampagne
Der sogenannte "Plagiatsjäger" Stefan Weber weist es von sich, Teil der reaktionären Kampagne zu sein. Er hatte 23 Textstellen in der Dissertation der Juristin ausgemacht, die Ähnlichkeit haben mit der Habilitationsschrift ihres Ehemanns. Jedoch erhebe er keine Plagiatsvorwürfe gegen Brosius-Gersdorf. "Ich finde es feige von der Union, dass sie sich jetzt hinter dem vermeintlichen Plagiatsvorwurf versteckt. Eigentlich geht es doch um etwas ganz anderes.“ Stimmt. Allerdings hätte er dann die zweifelhaften Vorhaltungen auch gar nicht erst in die Welt zu setzen brauchen.
Frauke Brosius-Gersdorf setzt sich dafür ein, dass Frauen und Paare selbst entscheiden können, ob sie eine Schwangerschaft austragen oder abbrechen. Dafür wird sie als "Linksextremistin" tituliert, so das reaktionäre Medienportal Nius. Kardinal Rainer Maria Woelki aus Köln berief sich auf eine "Menschenwürdegarantie" für das ungeborene Leben. Sattsam bekannt ist, wie sehr sich Woelki für das geborene Leben einsetzt. Im Fall des sexuellen Missbrauchs von Kindern und Jugendlichen durch katholische Würdenträger nämlich gar nicht. Zahlreiche Kommentare auf X machen deutlich, wie infam Woelki und Konsorten den Wunsch der meisten Menschen missbrauchen, keinen Schwangerschaftsabbruch vornehmen zu müssen. Auch die Argumente der Juristin für eine Corona-Impfpflicht machen Frauke Brosius-Gersdorf zur vermeintlich "linksradikalen Juristin". Außerdem ist sie richtigerweise für ein Verbot der AfD.
Etliches wird aus der AfD und besonders rückschrittlichen CDU-Kreisen in rufmörderischer Absicht gegen sie vorgebracht. Die Faschistin Beatrix von Storch von der AfD fragte den Bundeskanzler am Mittwoch: "Frau Brosius-Gersdorf hat gesagt, dass einem Kind, das neun Monate alt ist, zwei Minuten vor der Geburt keine Menschenwürde zukommt. Können Sie es mit Ihrem Gewissen vereinbaren, diese Frau zu wählen?" Merz antwortete mit "Ja" auf die Frage, ob er Frauke Brosius-Gersdorf wählen würde. Aber er versäumte klarzustellen, dass sie einen derart hanebüchenen Unsinn niemals von sich gegeben hat.
Jens Spahn - mit Blindheit geschlagen oder in voller Absicht handelnd?
Angeblich hatte der Vorsitzende der CDU-/CSU-Fraktion nicht richtig realisiert, dass sich innerhalb der Fraktion eine reaktionäre Gemengelage aufbaute. Er selbst und vor allem Bundeskanzler Friedrich Merz hatten wohl zunächste nicht geplant, die Wahl platzen zu lassen. Schließlich hat das jetzt so richtig das Potential, eine Koalitons- und Regierungskrise zu provozieren. Als sich vonseiten rechter und faschistischer Kreise immer mehr Druck entwickelte, stellte Spahn der SPD und der kandidierenden Juristin schließlich ein Ultimatum - sie sollen die Kandidatur zurückziehen. Als die dem zu Recht nicht nachkamen, ließ die CDU-Fraktion die Wahl platzen.
In der Frankfurter Rundschau heißt es: "Die Union dagegen muss sich nun endgültig von ihrem Fraktionsvorsitzenden befreien. Er ist belastet durch die Maskengeschäfte während der Corona-Pandemie. ... Zudem steht er hartnäckig im Verdacht, immer mal wieder nach rechts zu blinzeln." "Blinzeln" ist ein schwacher Ausdruck. Spahn hat Ambitionen, weiteren "Annäherungen" an die AfD den Weg zu ebnen. Das alles unter dem Deckmantel, man wolle die AfD nicht "groß werden lassen". Vor allem aber ist es eine bewusste Taktik der AfD, dass mit der geplatzten Richterwahl bald nichts mehr von der sogenannten Brandmauer übrig bleibt. Kritik an Spahn hagelt es von allen Seiten. Innenminister Alexander Dobrindt von der CSU hingegen sieht kein Problem. Und Hendrik Wüst, CDU-Ministerpräsident von NRW, forderte beim NRW-Tag der Jungen Union Solidarität mit Spahn. Spahn selbst schweigt zur Zeit zu den Affären, in die er verstrickt ist. Sein Rücktritt ist überfällig!
Ein Feld des Kampfs um bürgerlich-demokratische Rechte und Freiheiten
Das Bundesverfassungsgericht genießt unter den Massen mehr Ansehen als die meisten Institutionen des staatsmonopolistischen Kapitalismus in Deutschland. Jahrzehntelang wurde der Nimbus aufgebaut, dieses höchste deutsche Gericht stünde über Regierung, Parlament und über den Klassen. Das stimmt nicht. Es ist Bestandteil des bürgerlichen Rechtssystems und das ist das Rechtssystem der Herrschenden. Urteile wie das KPD-Verbot oder die Bestätigung der undemokratischen Unvereinbarkeitsbeschlüsse der IG Metall gegen Marxisten-Leninisten zeigen, dass auch das Bundesverfassungsgericht auf der Basis der Staatsideologie Antikommunismus arbeitet. Allerdings fällt es natürlich nicht nur solche Urteile, sonst wäre es bald vorbei mit dem Ansehen. So fasste es 1985 den sogenannten Brokdorf-Beschluss, mit dem das Verbot der Demonstration von 50.000 Menschen in Brokdorf gegen den Bau eines Atomkraftwerks aufgehoben wurde.
Die Krise der bürgerlichen Gesellschaftswissenschaften, der Religion und der Kultur
Besonders lesenswert zum Thema des Artikels: Fragwürdige Theorie und Praxis der bürgerlichen Rechtswissenschaft (S. 96ff)
202 Seiten
19 €
Der Kampf gegen die Verunglimpfung der Kandidatin Frauke Brosius-Gersdorf durch Reaktionäre und Faschisten geht die Arbeiterklasse und die fortschrittliche Opposition an. Auch wenn die Stellenbesetzungen nach Parteienproporz und mit Geschacher vor sich gehen, ist es doch ein Unterschied, ob eine Richterin mit einer fortschrittlichen Auffassung zum Recht auf Schwangerschaftsabbruch im Bundesverfassungsgericht tätig ist oder eine reaktionäre Scharfmacherin. Beispiele gibt es auch in anderen Ländern, u.a. in Polen und in Israel. Dort gingen vor dem Gaza-Krieg Hunderttausende gegen die sogenannte Justizreform von Netanjahu auf die Straße und stürzten die Regierung in eine offene Krise. Umgekehrt hat der faschistische US-Präsident Donald Trump bereits in seiner ersten Amtszeit der Obersten Gerichtshof umgebaut und macht sich das jetzt zunutze. Ein klares Argument dafür, auch in dieser Frage der Wahl von Richterinnen und Richtern am Bundesverfassungsgericht den Kampf um den Erhalt und die Erweiterung bürgerlich-demokratischer Rechte und Freiheiten zu führen.
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