Polen

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Politische Krise vertieft sich

Nachdem die regierende Tusk-Partei („Bürgerplattform“) vor einigen Wochen die Präsidentschaftswahlen knapp verloren hatte, stellte Ministerpräsident Donald Tusk die Vertrauensfrage im Parlament und gewann diese.

Korrespondenz

Allerdings ging sein Plan, damit die politischen Verhältnisse in Polen halbwegs wieder zu stabilisieren, nicht auf. Im Gegenteil: Inzwischen ist laut einer aktuellen Umfrage eine Mehrheit von 44,8 Prozent für den Rücktritt von Tusk. Bei Neuwahlen läge seine „Bürgerplattform“ zwar mit 32,3 Prozent vorne, die faschistoide PiS liegt allerdings aktuell bei 28,3 Prozent und die offen faschistische Konfederacja sogar bei 20,7 Prozent. Diese mögliche rechte parlamentarische Mehrheit ist Ausdruck der weiteren Rechtsentwicklung Polens. Darüber hinaus steigt die Unzufriedenheit mit der Tusk-Regierung. Das wird sich auch kaum ändern. Die Industrieproduktion stagniert seit einem Jahr. Ausländische Direktinvestitionen in Polen sinken ebenso wie der Kapitalexport. 

 

Dazu kommt, dass jedes kleine Reförmchen, das die Regierung zur Täuschung der Massen beschließen wird, von diesem faschistischen Präsidenten blockiert wird – er hat ein Vetorecht und bereits angekündigt, es rege zu nutzen. 

Zur Einschätzung der aktuellen Situation in Polen schreibt ein polnischer Marxist-Leninist:

"Der Sieg des faschistischen Präsidentschaftskandidaten Karol Nawrocki beweist, dass Tusk und seine Koalition sehr instabil sind und in der Gesellschaft nur wenig Rückhalt genießen. Nawrocki ist ein erbitterter Antikommunist, ein Zerstörer von Denkmälern der Roten Armee, hat eine kriminelle Vergangenheit, Kontakte zu Gangstern und Neonazis. Und trotzdem hat er die Wahl gewonnen. Das zeigt deutlich, dass in Polen eine totale Krise des Parlamentarismus herrscht. Studien zufolge schätzen die meisten Menschen ihre wirtschaftliche und persönliche Situation gerade wegen Tusks Regierung als negativ ein. Das öffentliche Gesundheitswesen bricht zusammen, es herrscht eine massive Wohnungskrise (Wohnungsmangel, steigende Wohnungs- und Mietpreise, was den Lebensstandard der Arbeitnehmer senkt) – Tusk kann diese Probleme nicht lösen, ohne das neoliberale, kapitalistische System in Polen zu gefährden. In der Praxis betreibt er stets eine Politik zugunsten der Kapitalisten, auch auf dem Wohnungsmarkt und im privaten Gesundheitswesen. Deshalb genießt er keinerlei Unterstützung, insbesondere nicht unter Arbeitern und Kleinbauern (in der Regel arme Landbewohner).

 

Die von Tusk geführte Koalition, bestehend aus verschiedenen Parteien ist sehr fragil und weist große Unterschiede auf. Aus diesem Grund verlaufen die Reformen in Polen sehr langsam, betreffen nur sehr unbedeutende Themen, und wenn überhaupt etwas erreicht wird, dann nur im Bereich der Rüstung (2025 sollen hierfür rund 4,7 Prozent des polnischen BIP ausgegeben werden) und des Militarismus (Verbreitung militaristischer Propaganda und Bereitschaft zur Teilnahme am Krieg in der Ukraine, sollte die Europäische Union dies wünschen).

 

Während die vorherige PiS-Regierung (2015 bis 2023) stark von begrenzten Sozialprogrammen geprägt war (um die Unterstützung von Arbeitern, Kleinbauern und allgemein armen Bevölkerungsschichten demagogisch zu gewinnen), gibt es nun eine starke Hinwendung zum wirtschaftlichen Neoliberalismus – um die Konfederajca für sich zu gewinnen, die neben dem faschistischen „sozialen“ Programm (Antikommunismus, religiöser Fundamentalismus, national-klerikale Offensive, Anti-Queer-Ideologie) auch Thatcher, Reagan und Pinochet im wirtschaftlichen Bereich nachahmen will. Der ausgewachsene Faschismus ist also im Anmarsch, als reaktionärste Diktatur des Kapitals im wahrsten Sinne des Wortes, ohne auf Tricks wie begrenzte Sozialleistungen im Stil Erdoğans oder früher Kaczyńskis zurückzugreifen.


Tusk wird die Macht jedoch sicherlich nicht abgeben wollen. Derzeit versucht Tusks Umfeld, die Präsidentschaftswahlen für ungültig zu erklären, was die parlamentarische Krise verschärft.


Als Marxisten-Leninisten in Polen setzen wir alles daran, die polnischen Arbeiter zu erreichen und sie zum Kampf gegen Kapital und Faschismus zu mobilisieren. Dies ist jedoch eine äußerst schwierige Aufgabe, da es keine Arbeiterpartei gibt, rechtsextreme Strömungen unter den Arbeitern weit verbreitet sind und die Gewerkschaftsbewegung in Polen (und die Arbeiterbewegung im Allgemeinen) geschwächt ist. Aber wir geben nicht auf und kämpfen weiter, denn solange es noch ein paar marxistische, sozialistische Arbeiter gibt, ist das Feuer nicht erloschen, und es besteht langfristig immer noch Hoffnung auf einen Sieg."