Russland
Lehrer wenden sich in offenem Brief gegen die Bürokratie
Tausende Lehrer haben sich am 21. April mit einem offenen Brief an den russischen Präsidenten Wladimir Wladimirowitsch Putin gewendet und fordern ihn auf, die Lehrer und die Schulen zu unterstützen. Sie beklagen miserable Arbeitsbedingungen, unzureichende Bezahlung und überbordende Bürokratie - und dass diese Zustände durch das der Arbeit in den Schulen ferne und damit auch inkompetente Bildungsministerium diese Situation nur verschlimmert. Am 6. Mai wurde der Zugang zu der Webseite, auf der der Brief veröffentlicht wurde, in der Russischen Föderation blockiert.
Veröffentlicht hatte den Brief das Projekt ZAVUCH.ru, das 2008 gegründet wurde "um einen regen Informationsaustausch zwischen Pädagogen sowie einen freien Austausch von pädagogischen Erfahrungen und Kenntnissen im Bereich der Bildung und Erziehung von Kindern zu gewährleisten.", so die Selbstbeschreibung des Projekts.
Begründet wurde die Sperrung der Webseite in der Russischen Föderation von den Behörden pauschal damit, dass die Betreiber Informationen veröffentlicht hätten, die "die öffentliche Sicherheit gefährden." ZAVUCH.ru nahm gegen die Vorwürfe lediglich in drei Sätzen, aber absolut unmissverständlich Stellung: "Wir haben keine Fake News veröffentlicht. Wir haben nicht zu Protesten aufgerufen. Wir haben einfach die Worte derjenigen gesammelt, die nicht länger schweigen können." Die Lehrer erklärten bereits in ihrem Brief: "In den Schulen haben sich so viele Probleme angehäuft, dass das Schweigen zur Komplizenschaft wurde."
"Der Lehrer arbeitet 40-50 Stunden pro Woche und erhält dafür 28-35 Tausend Rubel (Anm. d. Red.: 309 bis 386 Euro)." Dabei beschweren sich die Lehrer nicht in erster Linie über das niedrige Gehalt "Die Lehrer sind mit Bürokratie und digitalen Plattformen überlastet, nicht mit Unterricht. Wir sind gezwungen, Tabellen auszufüllen, anstatt die Schüler zu begeistern." Deswegen sei es unmöglich geworden, die Schüler angemessen zu unterrichten und vor allen Dingen, junge Menschen für den gesellschaftlich wichtigen Beruf des Lehrers zu gewinnen.
"Es handelt sich um ein systemisches Versagen, das die Schule bereits von innen heraus zerstört."
"Bürgerpräsident", so sprechen sie Putin an, "Sie sprechen oft über den zuverlässigen Schutz des Mutterlandes, über die Souveränität, über die Zukunft, die von jedem von uns abhängt. (…) Aber schau: Unsere Ausbildung hat sich fast in Asche verwandelt. Nicht wegen äußerer Bedrohungen, sondern wegen der stillen Zerstörung und Gleichgültigkeit im Inneren." Verantwortlich dafür machen sie vor allen Dingen das Kultusministerium. Unter den sieben Forderungen, die sie aufstellen, sticht hervor, dass sie verlangen, in der Verwaltung des Schulsystems nur noch Personen anzustellen, die mindestens zehn Jahre praktische Erfahrung im Lehrberuf haben.
Interessanterweise scheinen keine Verfahren gegen die Urheber des Briefs eingeleitet worden zu sein. Die Putin-Regierung weiß, dass die Anliegen der Lehrer berechtigt sind und dass sie die Sympathie der russischen Bevölkerung haben; die schwierige Lage der Lehrer ist allgemein bekannt. Dass sie sich in dieser Schärfe gegen die Regierung wenden und Forderungen stellen ist es, was keine Schule machen darf, worin die Regierung die Gefährdung der öffentlichen Sicherheit sieht.