Abschaffung 8-Stunden-Tag
Diskussion über Arbeitszeit nimmt Fahrt auf – die Frage ist allerdings wohin?
Mit der Forderung nach „länger arbeiten“ hat Bundeskanzler Friedrich Merz eine gesellschaftliche Debatte über die Länge der Arbeitszeit angestoßen. CDU-Politiker und die Unternehmerverbände wollen vor allem die Arbeitszeit verlängern. Der Einstieg dazu ist die im Koalitionsvertrag vereinbarte Abschaffung des in der Arbeiterbewegung hart erkämpften 8-Stunden-Tages.
Merz schwebt eine tägliche Arbeitszeit von bis zu 13 Stunden vor! Dazu kommt, dass die in vielen Betrieben eh schon durchbrochene und in Ostdeutschalnd bis heute nicht durchgesetzte hart erkämpfte 35-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich zurückgedreht werden soll. Verschiedene Monopolvertreter fordern auch die Abschaffung von Feiertagen. Gefordert wird auch mehr und mehr, das Renteneintrittsalter in die Höhe zu treiben.
Arbeitsplatzvernichtung und länger arbeiten – wie passt das zusammen?
Auf der einen Seite gibt es einen Arbeitskräftemangel, der nicht zuletzt daher rührt, dass Staat und Monopole mehr in die Ausbildung investieren müssten und z.B. viele, vor allem Flüchtlinge, gar keine Arbeitserlaubnis haben. Aber es gibt viele Branchen, in denen die Unternehmer derzeit massiv Arbeitsplätze vernichten beziehungsweise zu vernichten planen. Allein bei VW sollen es 35 000 sein. Rund jeder fünfte Job könnte einer Studie zufolge in der Autobranche in den kommenden Jahren wegbrechen. (1 ) ThyssenKrupp-Chef Miguel Lopez will die Stahlkapazitäten halbieren, weil er angeblich nicht mehr so viel Stahl maximalprofitbringend verkaufen kann. Die geplante Zerschlagung und Aufgliederung des gesamten ThyssenKrupp-Konzerns wird mit der Vernichtung vieler weiterer tausender Arbeitsplätze einhergehen! Unterm Strich wird durch verschiedene Strukturkrisen wie die Digitalisierung, Umstellung der Antriebstechnologie und die anhaltende Weltwirtschafts- und Finanzkrise ein Vielfaches an Arbeitsplätzen vernichtet als neue entstehen. In solch einer Situation eine Verlängerung der Arbeitszeit zu fordern läuft in der Konsequenz darauf hinaus, die Ausbeutung der beschäftigten Arbeiter enorm zu erhöhen.
Notwendig ist ein Gegenkonzept
Die Diskussion unter einem Teil der Kolleginnen und Kollegen in den Industrie- und Logistikbetrieben, Krankenhäusern, Pflege- und Erziehungseinrichtungen usw. geht in eine ganz andere, entgegengesetzte Richtung: Sie diskutieren über eine Arbeitszeitverkürzung, die 30-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich, zusätzliche Urlaubs- und Erholtage. Dazu ein Stahlarbeiter: „Wir führen einen Kampf zur Verteidigung jedes Arbeits- und Ausbildungsplatzes. Wir wissen aber auch, dass durch eine Umstellung der Rohstahlproduktion durch das Direktreduktionsverfahren Arbeitsplätze wegfallen. Das ist wie in der Autoindustrie mit der Umstellung auf E-Autos. Doch warum sollen wir Arbeiter durch den technologischen Fortschritt nur Nachteile haben? Schließlich haben wir durch unsere Arbeit die Voraussetzungen für diesen Produktivitätsfortschritt geschaffen! Deshalb ist es doch eigentlich eine Selbstverständlichkeit, wenn wir selbstbewusst eine Arbeitszeitverkürzung auf 30 Stunden in der Woche bei vollem Lohnausgleich fordern.“ Notwendig ist auch zu fordern, dass für das Ausscheiden vieler älterer Arbeiter die Ausbildungskapazitäten enorm erhöht werden und Flüchtlinge Arbeitsrecht bekommen. Und dass die staatlichen Voraussetzungen für die Berufstätigkeit, die Schaffung von ausreichend vielen KiTa-Plätzen, Ganztagschulen etc. geschaffen und ausgebaut werden. Unter der Jugend führen wir die Diskussion über die Lebensentscheidung, Arbeiter / Arbeiterin zu werden und Teil des weltweiten Industrieproletariats zu werden.
Es geht um Arbeitsplätze, aber auch um mehr
Dabei geht es aber nicht nur um den Erhalt der Arbeits- und damit auch der Ausbildungsplätze, sondern die Arbeitszeitverkürzung hat darüber hinaus eine wichtige Bedeutung für Jede und Jeden, aber auch die gesamte Gesellschaft. Die Arbeit ist unverzichtbare Grundlage unseres menschlichen Leben. Es gibt auch ein Leben jenseits der Arbeit. Wir Arbeiterinnen und Arbeiter und die breiten Massen haben auch geistige, kulturelle, soziale und politische Interessen. Doch im Kapitalismus zählt unsere Funktion als Lohnarbeiter als Quelle für den Profit der Kapitalisten, während die Produktion und Reproduktion des menschlichen Lebens, Erziehung, Bildung, Pflege ... weitgehend auf die Privatfamilien abgewälzt wird. Deshalb sind mit dem Kampf für eine Arbeitszeitverkürzung auch gesellschaftliche Fragen aufgeworfen. In einer sozialistischen Gesellschaft kommen die Produktivitätsfortschritte der ganzen Gesellschaft zugute, werden nicht nur die materiellen, sondern auch die kulturellen, sozialen und politischen Bedürfnisse von uns Arbeiterinnen und Arbeiter befriedigt werden können.
Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich – eine notwendige Debatte in den Gewerkschaften
Es ist in der Situation wenig hilfreich, wenn die Vorsitzende der IG Metall, Christiane Benner - ausgerechnet in der Bildzeitung - verkündet: „Eine Vier-Tage-Woche mit vollem Lohnausgleich steht aktuell nicht auf der gewerkschaftlichen Forderungsliste.“ (2) Sie begründet das folgendermaßen: „Wir spüren gerade in vielen Betrieben die angespannte wirtschaftliche Situation. Es sind die Arbeitgeber, die deshalb die Arbeitszeit verkürzen – auf Kosten der Beschäftigten.“ Eben deshalb brauchen wir eine Arbeitszeitverkürzung auf Kosten der Konzerne! Viele Gewerkschaftsmitglieder erwarten in dieser für sie und ihre Familien „angespannten Lage“ eine Vorsitzende, die sich an ihrer Seite dem Generalangriff der Konzerne und ihrer Regierung entgegenstellt. Darüber muss in der IG Metall diskutiert und Kurs auf gewerkschaftliche und selbständige Streiks genommen werden auch für die 30-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich!