+++ Korrigierte Version +++
Heute neu: Briefwechsel zur Forderung nach einer umsatzbezogenen Sozialsteuer
Rote Fahne News veröffentlichte am Samstag einen Briefwechsel zwischen einem Leser und der Rote-Fahne-Redaktion zur Bezahlung der Sozialversicherungen durch eine umsatzbezogene Steuer von 8 Prozent. Leider wurde durch eine Oberflächlichkeit eine falsche Version veröffentlicht. Heute nun die richtige Version.
Aus dem Leserbiref
Liebe Kollegen von der Roten Fahne,
die Forderung „Für eine umsatzbezogene Sozialsteuer von 8 Prozent mit Übernahme der Sozialversicherungsbeiträge zu 100 Prozent durch die Unternehmen“ sollte (zu einem geeigneten Zeitpunkt) weiter diskutiert werden, auch wenn sie dem Parteiprogramm entspricht. M.E. handelt es sich nicht um eine Reformforderung wie (zum Vergleich) „Drastisch progressive Besteuerung der Großunternehmen, Großverdiener und großen Vermögen“ und alle anderen Forderungen des Sozialpolitischen Forderungsprogramms, sondern um eine Übergangslosung, die das bisherige System der Sozialversicherung von der Einnahmeseite grundlegend verändern würde.
Das bestehende Sozialversicherungs-System ist elementarer Bestandteil des staatsmonopolistischen Kapitalismus der BRD. Die Orientierung der Sozialversicherungs-Zahlungen an den Bruttolöhnen ist aufgrund der Tarifverträge und für die Arbeiter relativ gut kontrollierbar und Bestandteil des gewerkschaftlichen (und ggf. selbständigen Kampfes) um die Löhne. Aber wie soll im Kapitalismus die Höhe der Umsätze der Unternehmen kontrollierbar sein? Bereits jetzt werden jährlich rund 20 Milliarden Umsatzsteuer hinterzogen, das entspricht 100 Milliarden an Umsätzen. Das Aufkommen für die Sozialversicherungen würde wesentlich stärker dem Krisenzyklus unterliegen mit tendenziell immer größerer Unsicherheit, z.B. aktuell in der Automobilindustrie. Im Rahmen der Internationalisierung der Produktion könnten Umsätze ins Ausland verlagert werden, Unternehmen aufgespalten werden usw. Zur Kontrolle der 'Privatisierung' der Sozialversicherung wäre ein Popanz an Verwaltung notwendig. Umgekehrt könnte man fragen: wenn die Arbeiterklasse die Macht hat, die Unternehmen zu kontrollieren, könnte sie direkt einen Schritt weitergehen ...
Richtig wäre es auf jedem Fall aktuell auch Reformforderungen auf der Grundlage des bestehende Sozialversicherungs-Systems aufzustellen und nicht einfach aufgrund unserer „umsatzbezogenen Forderung“ zu ignorieren. (...) Dies wäre nicht nur für den Wahlkampf, sondern vor allem auch für die Entwicklung der Gewerkschaftsarbeit wichtig, weil hier unmittelbare Erfahrungen der Massen deutlich werden und Aktionseinheiten in Betrieben, Gewerkschaften, Sozialverbänden usw. eingeleitet werden können.
Hier einige Vorschläge:
- Drastische Erhöhung der Beitragsbemessungsgrenzen für Kranken- und Rentenversicherung!
Die aktuellen Bemessungsgrenzen liegen 2025 bei 66.150 € für Krankenversicherung und 96.600 für die Rentenversicherung. Einem Normalverdiener mit 40.000 € Bruttolohn im Jahr werden rund 9.000 € für Sozialversicherung einbehalten (ca. 22 %). Einem leitenden Angestellten mit 150.000 € Jahresbrutto werden rund 14.000 abgezogen, also unter 10 %. Einem Manager, Spitzenjournalisten oder Spitzensportler mit 1.000.000 € Jahresbrutto werden ebenfalls 14.000 € abgezogen, das sind parasitäre 1,4 %. - Einbeziehung von Unternehmern, Beamten und Selbständigen in die vollständige Beitragszahlung! Aufhebung der Privilegierung von Gut-Verdienenden! Sozialversicherung für Einkünfte aus Kapitalvermögen und Vermietung, wenn sie über 20.000 € liegen.
Diese Forderung, die auch teilweise SPD, Grüne und „die Linke“ haben versteht sich von selbst. Objektiv wäre eine sv-mäßige Gleichbehandlung auch eine materielle Vorbereitung des Sozialismus. In gewisser Weise richtet sich diese Forderung auch gegen die AfD, die sich ja stark auf Beamte und Privilegierte stützt und deren Privilegien verteidigt. - Schrittweise Übernahme des „Arbeitnehmeranteils“ durch die Unternehmen! Alle notwendigen Erhöhungen z.B. für Kranken- und Pflegeversicherung müssen die Unternehmer tragen.
Dies knüpft an die Gesamtforderung an, allerdings ohne „Umsatzbezug“. Eventuell könnte an dieser Stelle der Zusatz „bei Umsätzen über 5 Millionen“ ergänzt werden, was die nichtmonopolisierte Bourgeoisie schonen würde. - Schrittweise Auflösung der privaten Krankenversicherung und vollständige Eingliederung in die gesetzlichen Kranken-Versicherungen! Schrittweise Konzentration und Zusammenschluss der gesetzlichen Krankenversicherungen!
Wieso sollen Gut-Verdienende durch private Kranken-Versicherungen zusätzlich privilegiert werden? Die Konzentration der KVs auf einige oder eine ist ebenfalls eine Verbesserung der materiellen Voraussetzungen für den Sozialismus. - Verteidigung des Systems der Sozialversicherung gegen Angriffe, Aufweichung und Plünderung durch die Monopole und ihre Parteien, insbesondere die AfD!
Die neue Forderung der AfD (und Teilen der CDU/CSU und anderer Parteien) nach 5% des Bruttosozialprodukts für Rüstung würde die Hälfte des Bundeshaushalts auffressen. Naheliegend wäre dann ein Zugriff auf die Sozialversicherung. Dies ist auch eine Lehre aus dem Hitler-Faschismus.
(...)
Aus der Antwort
Lieber H,
vielen Dank für Deine Kritik und Deine Überlegungen vom 21.1.25 zur Forderung nach der Bezahlung der Sozialversicherungen durch eine umsatzbezogene Steuer von 8 Prozent.
Du stellst die Forderung nach einer umsatzbezogenen Sozialsteuer in Frage,. Zur Begründung schreibst Du: "Das bestehende Sozialversicherungs-System ist elementarer Bestandteil des staatsmonopolistischen Kapitalismus der BRD" und dass es bei der Forderung nach einer umsatzbezogenen Sozialsteuer "nicht um eine Reformforderung (gehe) wie (zum Vergleich) „Drastisch progressive Besteuerung der Großunternehmen, Großverdiener und großen Vermögen“ und alle anderen Forderungen des Sozialpolitischen Forderungsprogramms, sondern um eine Übergangslosung, die das bisherige System der Sozialversicherung von der Einnahmeseite grundlegend verändern würde". Dazu führst Du auch verschiedene konkrete Probleme an, wie man das berechnen soll usw.
Die Forderung, die ja auch in unserem Parteiprogramm enthalten ist, ist sicherlich eine weitreichende Reformforderung. Wir haben sie im Wahlkampf auch besonders betont, weil das dem Charakter als „Grundsatzwahlkampf“ entsprach, wo wir besonders über die Zusammenhänge und Gesetzmäßigkeiten im Kapitalismus aufgeklärt haben. Allerdings halte ich es nicht für richtig, sie deshalb als Übergangslosung zu bezeichnen.
Das in Deutschland praktizierte Bismarck-Modell verwischt den Charakter der Sozialversicherung als Lohnbestandteil als "paritätische Bezahlung", als habe diese 50-prozentige Aufteilung der Sozialversicherungsbeiträge irgend etwas mit Gerechtigkeit zu tun. Dieser Betrug, der damals schon die Arbeiter mit dem Kapitalismus aussöhnen sollte, ist heute ein grundlegender Bestandteil der Lebenslüge vom Sozialstaat.
Sozialversicherungsbeiträge sind Bestandteile des Lohnes. Wir fordern ja seit jeher, dass die Kapitalisten diese komplett bezahlen sollen; die Forderung nach der Sozialsteuer ist eine Konkretisierung und Weiterentwicklung dieser Position. Marx definiert den Lohn als: "Wert der Arbeitskraft, der bestimmt ist durch den Wert der Lebensmittel, die zur Produktion, Entwicklung, Erhaltung und Verewigung der Arbeitskraft erforderlich sind.1" Hier geht es eindeutig nicht einfach um die wöchentliche oder monatliche Summe an den Arbeiter ausgezahlten Geldes, sondern um alle Gelder, die für die Ware Arbeitskraft, ihre "Produktion, Entwicklung, Erhaltung und Verewigung", ausgegeben werden, eben auch für Krankheitskosten, für ein Leben auch in Zeiten der Arbeitslosigkeit, für Rente, Ausbildung der Kinder usw.
Auch heute ist ein Teil der Sozialversicherungskosten bereits steuerfinanziert, Auch angesichts dessen ist die Finanzierung der Sozialversicherung über eine umsatzbezogene Steuer nicht systemsprengend bezüglich des Kapitalismus.
Übergangslosungen stellen wir in der 2. Etappe des Klassenkampfs auf; sie dienen der Heranführung an den Kampf um die Macht. Im Revolutionären Weg 11/12 heißt es dazu:
„In der revolutionären Situation, wenn die revolutionären Kämpfe umfassender und härter werden und zur revolutionären Krise hinsteuern, wenn sich die Kräfte der Arbeiterklasse und der Bourgeoisie bereits die Waage halten, wenn die Bourgeoisie allein schon nicht mehr zu herrschen in der Lage ist, kann praktisch eine Doppelherrschaft entstehen. Hier stehen sich gleichstarke Kontrahenten gegenüber. In einer solchen Situation müssen Übergangslosungen aufgestellt werden.“ (S. 212)
Und im Revolutionären Weg 20/21 heißt es: "„In dieser Etappe steht der politische Kampf im Vordergrund. Die politischen Forderungen werden zu Übergangslosungen, die an den Aufstand, den unmittelbaren Kampf um die Macht heranführen. Die Kämpfe der Arbeiterklasse sind hauptsächlich selbständige Kämpfe unter Führung der revolutionären proletarischen Partei. Diese verstärkt ihre revolutionäre Agitation und Propaganda.“ (S. 76)
Selbst wenn die Arbeiterklasse und die Massen die Forderung nach umsatzbezogener Steuer von 8 Prozent durchsetzen, ist das noch lange keine Situation, die an den unmittelbaren Kampf um die Macht heranführt. Es brächte aber eine wichtige Weiterentwicklung ihres Bewusstseins zum Ausdruck, dass man nicht nur für kleinere Reformforderungen kämpft, sondern eine Umstellung der Grundlage der Finanzierung des Sozialversicherungssystems nötig ist. Und zwar direkt auf Kosten der Monopole. Der Kampf um eine solche Forderung muss mit der Verankerung des echten Sozialismus als Perspektive verbunden werden.
Die Finanzierung der Sozialversicherung durch eine umsatzbezogene Steuer ist in der Roten Fahne entsprechend der heutigen Situation auf 8 Prozent festgelegt. Das bedeutet keinen fixen Satz, wie das bei dir durch die nicht genau zu bestimmende Umsatzhöhe angedeutet wird. Steigen die Kosten der Sozialversicherungen, muss dieser Steuersatz entsprechend steigen.
Du argumentierst, dass wir die Umsätze nicht kontrollieren können. Das können wir tatsächlich nie vollständig im Kapitalismus. Der Bezug dieser Forderung zum Umsatz dient dazu, den Hauptstoß des Kampfes gegen die Abwälzung der Krisenlasten gegen die internationalen Monopole zu richten, die diesen Staat zu ihrem Dienstleister gemacht haben.
Du unterschätzst die Bedeutung dieser Richtungsentscheidung, wenn Du schreibst: "Richtig wäre es auf jeden Fall aktuell auch Reformforderungen auf der Grundlage des bestehenden SV-Systems aufzustellen und nicht einfach aufgrund unserer „umsatzbezogenen Forderung“ zu ignorieren".
Wir lehnen die Grundlage der Finanzierung der Sozialversicherungssysteme ab. Es wäre ein Widerspruch, wenn wir dann auf die konkrete Verbesserung im Rahmen ihrer bisherigen Finanzierung abheben würden. Setzt man unsere Forderung um, dann beinhaltet das die Einzelanliegen und geht sogar darüber hinaus.
Herzliche Grüße
Dein Peter Weispfenning