Briefwechsel
Notwendiger Klärungsprozess im antifaschistisch-revolutionären Gärungsprozess in der Türkei
An verschiedenen Artikeln auf Rote Fahne News zum antifaschistisch-revolutionären Gärungsprozess in der Türkei gab es Kritiken, dass insbesondere die Rolle der sozialdemokratischen CHP tendenziell sektiererisch und undifferenziert behandelt wurde. Das trifft auch auf einen Bericht aus Frankfurt am Main zu. Die Korrespondentin schreibt:
In dem von mir geschriebenen Artikel „Beeindruckendes zentrales Newroz-Fest in Frankfurt“ übernahm ich die Kritik an der CHP, dass sie erst jetzt, nachdem sie selbst angegriffen wurde, den Widerstand organisiert, kommentarlos. Das wurde zu Recht als sektiererisch kritisiert.
In der gegenwärtigen Auseinandersetzung um die Einheit im antifaschistisch-revolutionären Kampf gegen das Erdoğan-Regime ist ein bedeutender Klärungsprozess entstanden, wie die Massen und Revolutionäre sich zu der bürgerlichen CHP verhalten sollen.
Die MLPD hat in ihrer Analyse, gestützt auf Kolleginnen und Kollegen und befreundete Organisationen aus der Türkei und Kurdistan, die Einschätzung getroffen, dass die Kämpfe eine neue Qualität bekommen haben.
Dazu verarbeiten die Arbeiterklasse und die Massen ihre Erfahrungen mit der faschistischen Diktatur und dazu gehört unbedingt auch die Überwindung der vielfachen Spaltung.
Mit einem ganzen System der kleinbürgerlichen Denkweise und einer ungeheuren Unterdrückung hat Erdoğan in den letzten Jahren geschickt auf die Spaltung gesetzt; türkische gegen kurdische Bevölkerung, gegen Aleviten und auch andere Ethnien, Hetze gegen die Geflüchteten, in den Betrieben unter den Arbeitern, in regierungsnahen Gewerkschaften, gegen kämpferische Gewerkschaften, gegen sozialdemokratischen - evolutionäre Arbeiter usw. Diese Spaltung verliert an Wirkung. Auch, weil immer mehr Leute von der volks- und arbeiterfeindlichen Politik der Regierung betroffen sind.
Die breite Losung: „Befreiung allein gibt es nicht. Entweder alle, oder keiner!“ ist Ausdruck davon. Unter dieser Losung reiht sich auch die Masse der CHP-Mitglieder und -Anhänger ein.
Mit dem schwindenden Einfluss der AKP/MHP Regierung wächst die Zuwendung der Massen zur CHP. Sie hatte bei den letzten Wahlen zum ersten Mal mehr Stimmen als AKP/MHP - auch in den Hochburgen von Erdoğan. Darum wird sie von Erdoğan auch so bekämpft. Die CHP ist eine Monopolpartei. Sie vertritt vor allem den gemäßigteren Teil der Bourgeoisie. Ihre Führung verbreitet die Illusion, dass der reformierte Kapitalismus die Lösung für die Massen in der Türkei sei. Die Masse ihrer Mitglieder, vor allem die Jugend und die Arbeiter, kämpft ebenso seit Jahren gegen die volks- und arbeiterfeindliche Regierungspolitik. In Verbindung mit Illusionen und in der Solidarität im Kampf gegen das verhasste faschistische Regime ist die CHP für die Massen durchaus eine Alternative und ein Verbündeter.
Hinzu kommt, dass die CHP-Führung sich seit einiger Zeit mit den von der Regierung abgesetzten Bürgermeistern in den kurdischen Gebieten solidarisierte und sich gegen die Verurteilung und Verhaftung von HDP/DEM-Funktionären stellte. Auch hat die CHP immer wieder auch Kämpfe gegen die Erdoğan-Regierung geführt, wie der Marsch in Ankara, oder auch die Arbeiterkundgebungen gegen die extrem niedrigen Mindestlohndiktate, die sogar unterhalb der Hungergrenze liegen.
Damit reagiert die CHP-Führung auf den Unmut und Kampfwillen der Massen und lenkt sie zugleich in die reformistischen Bahnen. Mit ihrem Opportunismus und Antikommunismus hält sie am Erhalt des Kapitalismus fest.
Es ist für den erfolgreichen Sturz des faschistischen Regimes notwendig, die gleichberechtigte Zusammenarbeit mit diesen Kräften auf Grundlage des Kampfes zu suchen. Bei Würdigung ihres Kampfes muss zugleich die Kritik an den reformistischen Illusionen der CHP-Führung geführt werden. Das Ziel dabei ist, ein kapitalismuskritisches Bewusstsein unter den Massen, auch unter den Mitgliedern der CHP, und eine Offenheit für die gesellschaftliche Perspektive des Sozialismus zu fördern.
Der Fehler in dem Artikel, mit der einseitigen Kritik an der CHP - ohne die Würdigung ihres Kampfes, widerspricht der Lehre aus dem Hitler-Faschismus und somit auch der ideologisch-politischen Linie der MLPD.
Zur antifaschistischen Volksfront mit dem Kern der proletarischen Einheitsfront in der neuimperialistischen Türkei sagte Gabi Fechtner, Vorsitzende der MLPD, bei der Podiumsdiskussion am 8. April: „Der Kampf in der Türkei muss einen komplizierten Zusammenhang richtig lösen: Eine breite Volksfront im Kampf für den Sturz des Faschismus des Erdoğan-Regimes zu führen und zugleich gegen opportunistische Illusionen in den Kapitalismus den sozialistischen Weg zu verankern“.