Sozialversicherungsdebatte

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Koalitionsvereinbarungen über Sozialleistungen: Ein Eintopf voll giftiger Zutaten

Wer gehofft hatte, dass die Beteiligung der SPD an der nächsten Regierung wenigstens die gröbsten Angriffe auf die Sozialversicherungen etwas abfedern würde, muss von den zwischen CDU/CSU und SPD im Koalitionsvertrag getroffenen Vereinbarungen schwer enttäuscht sein.

Von ba
Koalitionsvereinbarungen über Sozialleistungen: Ein Eintopf voll giftiger Zutaten
Klinikum in München-Schwabing - von Schließung bedroht (shutterstock_1858786135)

Beitrags-Tsunami im Gesundheitswesen

So ist ein massiver Anstieg der Beiträge für Krankenversicherungen zu erwarten. "Alle ... konkreten Maßnahmen, die das Ziel stabiler Sozialversicherungsbeiträge kurzfristig hätten sicherstellen können, sind aus dem finalen Koalitionsvertrag gestrichen worden", bemängelte z.B. der Chef der Krankenkasse DAK-Gesundheit, Andreas Storm. So war in den Entwürfen dazu noch vorgesehen, die Versorgung der Bürgergeldempfänger vollständig aus Steuermitteln zu finanzieren. „Das hätte der gesetzlichen Krankenversicherung knapp neun Milliarden Euro gebracht“, rechnete die Präsidentin des Sozialverbands VdK, Verena Bentele, vor. Stattdessen sollen die Beitragszahler der Krankenkassen jetzt weiterhin für solche versicherungsfremden Milliarden aufkommen. Zugleich werden auch die Bürgergeldempfänger immer weiter in die Armut gedrängt (s.u.).

 

Mit diesem Koalitionsvertrag sei ein "Beitrags-Tsunami" vorprogrammiert, sagte Storm. In der Pflegeversicherung ist schon in diesem Jahr ein weiterer Beitragsanstieg, in der gesetzlichen Krankenversicherung spätestens zum Jahreswechsel eine deutliche Erhöhung des Zusatzbeitrags zu erwarten. Insgesamt müssen dann voraussichtlich 43 Prozent und in den Folgejahren von bis zu 46 Prozent vom Bruttolohn für Sozialversicherungsbeiträge aufgebracht werden.

 

Die Krankenkassen werden allerdings vor allem von den Pharmamonopolen mit ihren weit überhöhten Medikamentenpreisen und durch rasante Preissteigerungen der Medizintechnikbranche geplündert. Und auch die Krankenhauskonzerne sind nicht vor allem der Gesundheit verpflichtet, sondern der Profitmaximierung. Das ist die eigentliche Ursache der Finanzierungslücke der Krankenkassen in Höhe von aktuell 13,8 Milliarden Euro. Da macht der Koalitionsvertrag einen großen Bogen drum herum. Langfristig ist das Gesundheitswesen auf dieser Grundlage also weder mit noch ohne die Bürgergeld-Milliarden zu stabilisieren. Zumal die Bruttolohnsumme (die als Basis für die Berechnung der Beiträge dienen) sinkt, während die Bevölkerung und ihre krankmachenden Belastungen zunehmen.

Armut durch Grundsicherung

Das Bürgergeld wird in eine „Grundsicherung für Arbeitssuchende“ umgewandelt, bei der die Sanktionen deutlich verschärft werden – bis hin zu einer vollständigen Streichung der Leistung. Das ist mit einer massiven Hetze gegen die scheinbar „vielen faulen Bürgergeldempfänger“ verbunden. Dabei ist die Zahl der absoluten Arbeitsverweigerer mit ein paar Tausend verschwindend gering. Die große Mehrheit der Bürgergeldbezieher bemüht sich oft verzweifelt um einen Job. Die ansteigende Arbeitsplatzvernichtung durch die großen Monopole wird in den Hintergrund gerückt und die Schuld für Arbeitslosigkeit den Betroffenen selbst in die Schuhe geschoben. Außerdem wird für neu vom Bürgergeld Abhängige die Karenzzeit für Vermögen abgeschafft, d.h. ihr Vermögen wird sofort vom Jobcenter auf den Bezug von Bürgergeld angerechnet. Die Höhe des Schonvermögens, d.h. des grundsätzlich geltenden Freibetrags für Vermögen, wird zukünftig an die „Lebensleistung“ gekoppelt, d.h. in den meisten Fällen gesenkt.

 

Die neue Grundsicherung soll die „Höhe der Regelsätze wieder auf den Stand vor der Pandemie zurückführen“. Dabei hatten die letzten Erhöhungen des Bürgergeldes gerade mal die seit 2018 um etwa 35 Prozent gestiegenen realen Lebenshaltungskosten ausgeglichen. Deshalb liegt das Niveau des Bürgergeldes heute schon auf dem gleichen, nach allen Berechnungen von Sozialverbänden unzureichenden Niveau von 2018. Also ist mit der neuen Grundsicherung eine drastische Kürzung des aktuellen Regelsatzes vorgesehen.
Diese Umwandlung des Bürgergeldes in eine „Grundsicherung“ trifft trotz der Versuche, zwischen Arbeitenden und Erwerbslosen eine Spaltungskeil zu treiben, auf wachsende Kritik. Denn erstens ist absehbar, dass durch die massiv zunehmende Arbeitsplatzvernichtung der großen Monopole viele heute noch Beschäftigte selbst arbeitslos werden. Außerdem kritisieren die Sozialverbände auch bisher schon die viel zu niedrigen Regelsätze. Deshalb lehnen auch viele Wähler und Mitglieder der SPD – besonders unter den Jusos – diese Angriffe auf die Ärmsten der Armen ab.

Schleichende Rentensenkung

Das Rentenniveau soll bis 2031 nicht unter 48 Prozent des letzten Nettolohnes rutschen. Die Mehrausgaben wollen Union und SPD durch Steuermittel ausgleichen – die Beiträge sollen demnach nicht steigen. Das ist ein ausdrückliches Zugeständnis an die Massenbasis der SPD - angesichts der Forderungen der Monopole nach Rentensenkung und Erhöhung des Renteneintrittsalters. Eine Rentenkommission soll eine neue Kenngröße für das Gesamtversorgungsniveau über alle Rentensäulen - gesetzlich, betrieblich, privat – prüfen. Damit soll erreicht werden, dass die Renten selbst zwar nicht gesenkt werden, dass sie aber langsamer steigen sollen als die Einkommen. Da die Reallöhne schon geraume Zeit sinken und weiterer Lohnraub geplant ist, wird auch die Kaufkraft der Renten deutlich sinken.

8-prozentige umsatzbezogene Sozialsteuer nötig

Dabei geht den führenden Monopolvertretern der Koalitionsvertrag noch längst nicht weit genug mit seinem Abbau sozialer Leistungen. Deshalb wird auch vieles im Unklaren und für weitere Verschlechterungen im Koalitionsvertrag offen gelassen. Dafür werden neue „Kommissionen“ geschaffen, wie für die Renten-, auch für die Kranken- und die Pflegeversicherung. Damit werden massive Angriffe auf die Massen vorbereitet.

 

Bisher funktioniert das Sozialversicherungssystem in Deutschland nach dem so genannten Umlageverfahren, mit dem Beschäftigte und Unternehmen jeweils Beiträge von etwa 20 Prozent der Höhe der Bruttolöhne in die Sozialkassen einzahlen. Eine wirklich nachhaltige Finanzierung der Sozialversicherungen ohne Erhöhung der Massensteuern könnte nur durch eine Abkehr von dem bisherigen Umlageverfahren erreicht werden. Die Sozialversicherungen sind in Wirklichkeit Lohnbestandteile. Daher fordert die MLPD, dass die gesamten Beiträge dafür allein und zu 100 Prozent durch die Kapitalisten in Form einer 8-prozentigen umsatzbezogenen Sozialsteuer finanziert werden. Dadurch würden die Löhne der Arbeiter und die Renten höher ausfallen und es würden die kleinen und mittleren Unternehmen im Vergleich zu den Monopol-Betrieben entlastet.