Konstituierung des Bundestags

Konstituierung des Bundestags

Gregor Gysi: Profillos

Können wir nicht alle Freunde sein? Es schien so, als ob das der Leitsatz des Linkspartei-Politikers Gregor Gysi war, als er seine Eröffnungsrede als Alterspräsident des neuen deutschen Bundestags schrieb. Jeder Widerspruch wurde verwischt. Was die Linkspartei in den vergangenen Monaten an antifaschistischem, antimilitaristischem und sozialen Profil aufgebaut hat, wurde durch diese Rede, begleitet von dem Applaus der Linksfraktion, ernsthaft in Frage gestellt.

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Gregor Gysi: Profillos
Gregor Gysi – der Alterspräsident des Bundestags ist kein naiver, unerfahrener Anfänger. Er weiß, was er sagt. (Bild: Sandro Halank, Wikimedia Commons, CC BY-SA 4.0)

Rote Fahne News berichtete bereits gestern zur Konstituierung des neuen Bundestags und Gregor Gysis Rede. Er vertrat an vielen Beispielen, dass gegensätzliche Standpunkte gleichermaßen legitim wären und mit einander koexistieren könnten. Das ist natürlich möglich, wenn wir darüber reden, ob das beste Eis der Welt nach Erdbeere oder Schokolade schmeckt, aber er wendet diese Logik auf Fragen wie die Kriegsvorbereitung an.

 

Diejenigen, die Aufrüstung für ein „hohes Abschreckungspotenzial“ für nötig hielten, dürfe man „niemals als Kriegstreiber bezeichnen; denn sie wollen ja auf ihrem Weg Frieden sichern.“ Aufrüstung und Abrüstung sind damit nach seiner Logik quasi identisch: „Es gibt also unterschiedliche Auffassungen, wie man zum Frieden gelangt. Wir müssen einfach lernen, zu respektieren, dass es diese Unterschiede gibt.“ Wenn man erst einmal so argumentiert, dann ist es natürlich kein Problem, dazu zu kommen: „Die Bundeswehr muss selbstverständlich verteidigungsfähig sein.“ So ist man bei den bürgerlichen Parteien vor allen Dingen anschlussfähig.

 

Gysi bringt es sogar fertig, Otto von Bismarck und Karl Marx gleichzusetzen; beide seien schließlich irgendwie wichtig: „Könnten einige Linke nicht aufhören, sich gegen die Benennung einer Straße nach Otto von Bismarck zu wenden? Kritik an ihm ist selbstverständlich erlaubt; aber er bleibt eine bedeutende historische Persönlichkeit. … Übrigens: Karl Marx ist weltweit einer der bekanntesten Deutschen. Selbstverständlich darf auch er kritisiert werden; aber er ist und bleibt ein großer Sohn unseres Volkes, und man sollte wenigstens eine Universität nach ihm benennen“. Denkmäler bauen und bauen lassen…

 

Dabei war seine Rede nicht in allen Punkten völlig unkritisch; er spricht die Ungleichheit in der Behandlung von West- und Ostdeutschland an und bezieht auch manches andere Mal richtig Position. Aber über allem schwebte der Geist der Versöhnung der Bundestagsfamilie und die Illusion, dass man mit „Demokratie, Freiheit und Rechtsstaatlichkeit“ – all das unterstellt er der Bundesrepublik – diese Problemchen schon aus der Welt zu schaffen seien. Und wiederum: Das ist Betrug am Volk, und er weiß es genau.

 

Von da aus führt er den einzigen Angriff gegen die AfD: „Mit Mitgliedern des Hohen Hauses und einer Partei, die die deutsche Verantwortung für das schlimmste Menschheitsverbrechen als ‚Schuldkult‘ verunglimpfen und marginalisieren wollen, sind Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit nicht zu verteidigen.“ Dabei bringt er es nicht einmal fertig, die AfD als faschistisch zu qualifizieren. Selbst manches SPD- oder Grünen-Mitglied nennt den Faschismus der AfD beim Namen und überholt Gysi damit noch links.