Leserzuschrift

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Zum SPD- und Willy-Brandt-Mythos

Bei allen Zweifels sind nicht wenige alte SPD-Mitglieder und Noch-SPD-Wähler der Meinung, unter Willy Brandt wäre nicht passiert, was sich Lars Klingbeil heute mit CDU-Merz leistet. Tatsächlich?

Von Jupp Eicker, Wuppertal

Ende der 1968er-Jahre überzeugten mich andere junge Arbeiter, doch mit ihnen in die „Arbeiterpartei“ SPD einzutreten. Wir hatten genug von Politikern mit Nazivergangenheit und ihrer elenden Heuchelei, wie Bundeskanzler Kiesinger und Bundespräsident Lübke. Willy Brandt war für uns ein anderes Kaliber. Immerhin war er von Norwegen und Schweden aus im Widerstand gegen den Hitler-Faschismus tätig gewesen. Und er versprach, „mehr Demokratie wagen“, wenn er Kanzler würde. Wir hatten damals Illusionen und noch keine Klarheit darüber, dass sich die ehemals revolutionäre SPD August Bebels zu einer bürgerlichen Arbeiterpartei gewandelt hatte und dann noch weitergehend zur Monopolpartei.

 

Wir diskutierten uns die Köpfe heiß: über den Vietnamkrieg, über die Wiederaufrüstung der Bundeswehr, die neue Ostpolitik. Doch vonseiten der SPD gab es keinerlei Angebot, das unserer rebellischen Grundhaltung gerecht wurde.

 

Ein Schub in unserer Politisierung kam, als ein Kumpel Schallplatten mit revolutionären Arbeiterliedern einbrachte...

 

Der Ford-Streik 1973, über den die Medien berichteten, brachte eine wichtige Wende auch in meinem Bewusstsein. Worum ging es: Erstmals hatten Arbeiter aus der Türkei mit einem selbständigen Streik ihre Sache in die eigene Hand genommen. Sie wehrten sich gegen unerträgliche Arbeitsbedingungen und Benachteiligungen gegenüber deutschen Kollegen und stellten Forderungen wie: 1 DM mehr pro Stunde, runter mit dem Fließbandtempo, mehr Urlaub, keine Entlassungen …  . Die Polizei und rechte Betriebsräte unterstützten Streikbrecher, und alle mutmaßlichen Streikführer wurden verhaftet.

 

In der Tagesschau hieß es dann am 23. November 1973: „Wegen der Energiekrise dürfen von heute an keine Gastarbeiter mehr aus Ländern angeworben werden, die nicht der Europäischen Gemeinschaft angehören.“ Seit wann lässt jemand Gäste für sich malochen? Und Kanzler Brandt heuchlerisch dazu: „Das ist wirklich keine feindselige Haltung gegenüber ausländischen Arbeitnehmern; aber wir müssen in einer solchen Situation natürlich erst an unsere eigenen Landsleute denken“(ebenda). Das war Willy Brandts Vorläuferversion von Germany First.

 

Als Arbeiter empörte mich das zutiefst – mir war immer der Zusammenhalt untereinander, die unerschütterliche Solidarität wesentlicher Grundsatz. Und sofort meldete sich bei mir die rheinische Mentalität und Devise: Isch – isch muss jarnicks! Und das wars dann mit der Mitgliedschaft in der SPD.

 

Nach einigen suchenden Verirrungen im linken Lager traf ich schließlich in Süddeutschland auf den Kommunistischen Arbeiterbund Deutschlands (KABD, Vorläuferorganisation der MLPD, Anm. d. Red), organisierte mich, befasste mich mit dem wissenschaftlichen Sozialismus und bin seither ununterbrochen begeistertes Mitglied der revolutionären Arbeiterpartei MLPD.

 

Jedem aufrechten SPD-Mitglied kann ich nur empfehlen, darüber nachzudenken: wieso eigentlich immer kleineres Übel? Warum sich überhaupt für ein Übel zu entscheiden, statt mit der SPD und allen Übeln Schluss zu machen. Stattdessen Einsatz für die schönste Sache der Welt – für den Kampf zur Befreiung der Menschheit von Unterdrückung, Faschismus, Krieg und Ausbeutung von Mensch und Natur – für den echten Sozialismus!