22. Januar 1905

22. Januar 1905

Vor 120 Jahren: Petersburger Blutsonntag

In Russland fand 1905 die erste Revolution im Zeitalter des Imperialismus statt.

Von dk

Der russische Imperialismus bildete damals das schwächste Glied in der Kette der imperialistischen Länder, der Zar beherrschte auf brutale Weise ein Völkergefängnis. Die späte industrielle Entwicklung Russlands, die vor allem durch Investitionen aus entwickelteren imperialistischen Ländern zustande kam, bewirkte eine wichtige Besonderheit: Zwar war der Arbeiteranteil an der Bevölkerung insgesamt gering, doch bildete sie zugleich die konzentrierteste Ansammlung der Fabrikarbeiterschaft Europas. So hatten in Deutschland nur 14 Prozent aller Fabriken eine Belegschaft von mehr als 500 Arbeitern, in Russland dagegen 34 Prozent. Nur acht Prozent der deutschen Arbeiter waren in Fabriken mit mehr als 1000 Mann beschäftigt, dagegen arbeitete ein Viertel der russischen Arbeiterschaft in solchen Großbetrieben. Ihr Drang nach Organisation führte zur Bildung von Arbeitervereinigungen, die zunächst elementare wirtschaftlichen Forderungen aufstellten.

 

Anfang Januar 1905 streikte die Belegschaft der Putilow-Werke, des größten Betriebs der russischen Hauptstadt Petersburg, gegen die Entlassung von vier ihrer Kollegen. Schnell griff dieser Streik auf andere Betriebe über. Führenden Einfluss auf die Arbeiter hatte der "Verein russischer Fabrik- und Betriebsarbeiter", eine Organisation, die von dem orthodoxen Priester und Religionslehrer Georgi Gapon mit Unterstützung der zaristischen Geheimpolizei geleitet wurde.

 

"Als der Streik begann, schlug der Pope Gapon in den Versammlungen seines Vereins einen provokatorischen Plan vor: (es) mögen sich alle Arbeiter versammeln und in friedlichem Zuge mit Kirchenfahnen und Zarenbildern zum Winterpalast ziehen und dem Zaren eine Petition (Bittschrift) über ihre Nöte überreichen. Der Zar werde gewiß zum Volke herauskommen, es anhören und seine Forderungen erfüllen ... Die in diesen Versammlungen auftretenden Bolschewiki bewiesen den Arbeitern, daß man die Freiheit nicht mit Bittschriften an den Zaren erreicht, sondern mit der Waffe in der Hand erkämpft. Die Bolschewiki sagten warnemd voraus, daß man auf die Arbeiter schießen werde. Sie konnten jedoch den Zug zum Winterpalast nicht verhindern. Ein bedeutender Teil der Arbeiter glaubte noch, daß der Zar ihnen helfen werde ...

 

Am frühen Morgen des 9. Januar 1905 (22. Januar nach neuer Zeitrechnung) zogen die Arbeiter zum Winterpalast, wo sich damals der Zar aufhielt. Die Arbeiter zogen zum Zaren mit ihren Familien, mit Frauen, Kindern und Greisen, trugen Zarenbilder und Kirchenfahnen, sangen Kirchenlieder, marschierten ohne Waffen. Insgesamt versammelten sich in den Straßen mehr als 140 000 Menschen. Nikolaus II. empfing sie feindselig. Er gab den Befehl, auf die Arbeiter zu schießen. Mehr als 1000 Arbeiter wurden an diesem Tage von den zaristischen Truppen getötet, mehr als 2000 verwundet. Die Straßen Petersburg waren rot vom Blute der Arbeiter." 1

 

Aus diesem Massaker zogen die Arbeiter ihre Lehren. Ihr Kampf steigerte sich von wirtschaftlichen zu politischen Forderungen. In Petersburg und Moskau wurden erstmals Arbeiterräte (Sowjets) gebildet, in Moskau, wo die Bolschewiki in ihnen die Führung innehatten, kam es zum bewaffneten Aufstand. Zwar ging diese Revolution verloren, doch hatte sich mit ihr das revolutionäre Zentrum der internationalen Arbeiterbewegung nach Osten verlagert, wo 1917 die siegreiche Oktoberrevolution die Welt veränderte!