Eröffnung Kulturhauptstadt Europas:

Eröffnung Kulturhauptstadt Europas:

Chemnitz feiert, protestiert und gedenkt

Am Samstag, dem 18. Januar startete das Festprogramm der europäischen Kulturhauptstadt Chemnitz. Zehntausende kamen zu den Konzerten auf mehreren Bühnen, Events, Ausstellungen und feierten ausgelassen. Am Nachmittag gab es mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und weiterer Politprominenz aus Berlin und Sachsen einen Festakt mit 700 geladenen Gästen.

Von jg
Chemnitz feiert, protestiert und gedenkt
Sehr viele Menschen in Chemnitz auf der Straße gegen faschistischen Aufmarsch (rf-foto)

Es gab hinreißende Konzerte auf der Bühne vor dem Karl Marx-Denkmal – im Volksmund liebevoll Nischel (Kopf) genannt. Künstler wie der Popmusiker Bosse nutzten ihren Auftritt, um sich deutlich gegen Rechts und Faschismus zu positionieren. Es wurden in der Abendshow immer wieder Kinderstimmen eingeblendet, die sich gegen Krieg und Umweltzerstörung aussprachen. Interessant war auch, dass dabei immer wieder auf den „Nischel“ Bezug genommen wurde.

 

Viel Aufmerksamkeit gab es für die Aktion, mit der 120 Menschen eine historische Lokomotive durch die Altstadt von Chemnitz zogen. Stolz auf gemeinsames Anpacken und die reiche Industriegeschichte von Chemnitz kommt hier zum Ausdruck.

 

Viele Menschen, Vereine, Künstler … entwickeln sehenswerte, zum Nachdenken anregende Projekte, die auch im ganzen Jahr stattfinden werden: Es sind mehr als 1000 Veranstaltungen und 150 Projekte geplant. Schon 2024 gab es viel beachtete Lichtprojektionen, manche durchaus kritisch, wenn Chemnitz in einigen Jahren überflutet oder als Wüste dargestellt wurde, verursacht durch die eingetretene Umweltkatastrophe.

Initiativen der Massen ...

zeigen ihre Vorstellungen, wie sie leben möchten. Dazu zählt zum Beispiel die »Garagen – Gemeinschaften«. Sie waren in Zeiten des bürokratischen Kapitalismus und der SED-Diktatur in den siebziger und achtziger Jahren ein Treffpunkt für Freunde, Nachbarn und Arbeitskollegen. Es wurde an Autos und allem Möglichen geschraubt und man tauschte sich auch politisch aus. Dazu wird es ein Projekt »3000 Garagen« geben, das allerdings noch etwas geheimnisumwittert ist.

Antifaschistische Demonstrationen und Blockaden ...

verhinderten die Provokation der faschistischen Organisation „Freie Sachsen“. Sie hatte großmäulig zu Massenprotesten gegen die Benennung von Chemnitz als Kulturhauptstadt aufgerufen. Es kamen gerade mal 400 Faschisten. Mit über 3.000 Beteiligten war die DGB-Gegenkundgebung die größte von weiteren antifaschistischen Protestaktionen. Bis in den Abend hinein gab es erfolgreiche Straßenblockaden.


Aus Chemnitz berichten Genossen der MLPD:  "Die antifaschistischen Aktionen und Proteste bestimmten das Bild. Die MLPD war dabei mit aktiv. Viele Menschen in Chemnitz sind besonders empört, dass an einem solchen Tag faschistische Demonstrationen überhaupt zugelassen werden.“

 

Schon im Vorfeld gab es Diskussionen darüber, wie die Feierlichkeiten für ein Aufarbeiten der faschistischen Überfälle 2018 genutzt werden. Der Programmchef der Chemnitz 2025 GmbH, Stefan Schmidtke, forderte, dass die Feierlichkeiten „klare Haltung gegen Rassismus, gegen Ausländerfeindlichkeit, gegen Demokratiefeindlichkeit haben müsse."

Faschistische Umtriebe von 2018 schon vergessen?

Am 27. August 2018 marschierten in Chemnitz aus ganz Deutschland zusammengetrommelt Faschisten, Pegida, Hooligans, AfDler auf. Sie grölten faschistische Parolen und machten Jagd auf ausländisch aussehende Menschen. Sie attackierten Antifaschistinnen und Antifaschisten und prügelten um sich. Es entstand sofort eine breite antifaschistische und kämpferische Gegenbewegung. Aber eine tatsächliche Aufarbeitung über die Rolle der Polizei, die vor allem damit beschäftigt war, großräumig die Innenstadt gegen Antifaschisten abzusperren, mit einem riesigen Polizeikessel – Fehlanzeige!

"Kultur verbindet ...

... von Chemnitz kann in diesem Jahr das Signal eines neuen Miteinanders ausgehen“, so Frank–Walter Steinmeier in seiner Festansprache.

 

Selbstverständlich wünschen sich die Arbeiter und die Massen eine solidarische Kultur, haben das Bedürfnis nach Entspannung und gemeinsamen Feiern. In dem Buch „Die Krise der bürgerlichen Gesellschaftswissenschaften, der Religion und der Kultur“ von Stefan Engel und Monika Gärtner-Engel heißt es dazu treffend: „Für breite Teile der Massen sind kulturvolle Massenevents heute Höhepunkte ihrer Freizeit und Erholung. Zehntausende genießen bei Festivals, Konzerten, gemeinsamem Tanzen oder Singen das Gefühl der Zusammengehörigkeit und die als frei empfundene Atmosphäre.“¹

 

Die Krise der bürgerlichen Gesellschaftswissenschaften, der Religion und der Kultur

202 Seiten

19 €

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Aber „die Kultur“ jenseits aller Klassenwidersprüche im Kapitalismus existiert allein in den frommen Wünschen von Frank-Walter Steinmeier. In dem obigen Buch heißt es weiter: „Zunehmend drängt es eine Vielzahl von Menschen darüber hinaus nach fortschrittlich-demokratischer, antirassistischer, antifaschistischer und internationalistischer Massenkultur. (…) Konsequente Kritik an der bürgerlichen Kultur und dialektische Förderung einer fortschrittlichen, demokratischen und proletarischen Kultur tragen auf besondere Weise bei, dem Sozialismus neues Ansehen zu verschaffen.“²

 

Die Arbeiter und Massen haben ein großes Interesse daran, mit der Kulturhauptstadt gerade die fortschrittliche Kultur, die Tradition der Arbeiterbewegung, Erinnerungen an Errungenschaften zu DDR-Zeiten bis in die 1950er-Jahre usw. deutlich zu machen. Das ist ihr Verständnis vom offiziellen Motto „C the unseen“ (Zeige/sehe das Ungesehene), um den "Scheinwerfer auf Menschen, Orte und Aktivitäten, die bislang nicht im Zentrum der touristischen Aufmerksamkeit stehen (zu richten)". Dabei kritisieren viele, dass ihre Initiativen, ihre Erfahrungen, ihre Ideen ungenügend aufgegriffen und gefördert werden und stattdessen teure Großprojekte das Bild der Kulturhauptstadt bestimmen sollen.

 

Es gibt sicher noch viele Gelegenheiten, Kulturvolles und Kämpferisches sowie Zukunftsweisendes in diesem Kulturhauptstadtjahr einzubringen und darzustellen. Die Rote Fahne wird über weitere Ereignisse und Initiativen im Rahmen der "Chemnitz Kulturhauptstadt 2025" berichten.