Friedrich Engels
Warum die gottlose Bourgeoisie fromm geworden ist
Aus einem Gespräch über das aktuelle Buch von Stefan Engel und Monika Gärtner-Engel, „Die Krise der bürgerlichen Gesellschaftswissenschaften, der Religion und der Kultur“, in dem unter anderem die Kritik an der Religion aufgegriffen wurde, entstand der folgende Artikel:
Vor hundertdreißig Jahren, am 5. August 1895, starb Friedrich Engels. Er entwickelte die dialektisch-materialistische Religionskritik. Noch als Kind wurde er vom Elternhaus gläubig erzogen. Die Tugenden von christlicher Barmherzigkeit und Nächstenliebe zerschellten für ihn an der Wirklichkeit, als er das Hungerdasein der Arbeiter und die unsägliche Kinderarbeit in den Fabriken seines Vaters erlebte.
Er schloss sich der damals aufkommenden Religionskritik des fortschrittlichen Bürgertums an und prangerte bereits als neunzehnjähriger Jugendlicher in seinen „Briefe(n) aus dem Wuppertal" die Scheinheiligkeit und Heuchelei der Kapitalisten an¹. Später stellte er die bürgerliche Religionskritik schöpferisch infrage und schuf 1876 bis 1878 die Grundlage für die dialektisch-materialistische Religionskritik, vor allem in Zusammenhang mit der Arbeit an seiner berühmten Schrift des „Anti-Dühring“. Darauf baut auch der erste Abschnitt im neu erschienenen Buch „Die Krise der bürgerlichen Gesellschaftswissenschaften, der Religion und der Kultur“ von Stefan Engel und Monika Gärtner-Engel auf. Die Bourgeoisie war die erste Ausbeuterklasse, die noch als aufsteigende Klasse im Kampf mit dem Feudalismus mit Hohn und Spott gegen die Religion zu Felde zog, sich aber dann wieder in den Schoß der Kirchen zurückzog.
Das kam so, wie Friedrich Engels bemerkte: „Die Arbeiter Frankreichs und Deutschlands waren rebellisch geworden. Sie waren total vom Sozialismus durchseucht und dabei, aus sehr guten Gründen, keineswegs sehr versessen auf die Gesetzlichkeit der Mittel, sich die Herrschaft zu erobern. … Was blieb dem französischen und deutschen Bourgeois als letzte Hülfsquelle anders, als ihre Freigeisterei stillschweigend fallenzulassen, ganz wie ein kecker Bengel, wenn die Seekrankheit ihn mehr und mehr beschleicht, die brennende Zigarre verschwinden läßt, mit der er renommistisch² an Bord stolziert war? Einer nach dem andern nahmen die Spötter ein äußerlich frommes Wesen an, sprachen mit Achtung von der Kirche, ihren Lehren und Gebräuchen, und machten selbst von den letzteren soviel mit, als nicht zu umgehn war. Französische Bourgeois wiesen am Freitag Fleisch zurück, und deutsche Bourgeois schwitzten in ihren Kirchenstühlen ganze endlose protestantische Predigten durch. Sie waren mit ihrem Materialismus ins Pech geraten. ‚Die Religion muß dem Volk erhalten werden‘ – das war das letzte und einzige Mittel zur Rettung der Gesellschaft vor totalem Untergang…“.
Engels sieht für die Bourgeoisie und ihren Konservatismus keine Rettung, sondern letztlich nur einen Aufschub:
„Die Tradition ist eine große hemmende Kraft, sie ist die Trägheitskraft der Geschichte. Aber sie ist bloß passiv und muß deshalb unterliegen. Auch die Religion bildet auf die Dauer keine Schutzmauer der kapitalistischen Gesellschaft. Sind unsre juristischen, philosophischen und religiösen Vorstellungen die nähern oder entferntern Sprößlinge der in einer gegebnen Gesellschaft herrschenden ökonomischen Verhältnisse, so können diese Vorstellungen sich nicht auf die Dauer halten, nachdem die ökonomischen Verhältnisse sich gründlich geändert.“³