Überschüssiges Kapital
Weltwirtschaftskrise und Höhenflüge an den Börsen – wie passt das zusammen?
Weltweit klettern die Aktienindizes [1] in immer höhere Regionen. Der DAX stieg seit Anfang dieses Jahres um 25 Prozent und erklimmt zurzeit immer neue Rekordhöhen, der S&P500 in den USA legte seitdem um 27 Prozent zu, der Nikkei (Japan) wuchs um 14 Prozent und der FTSE China 50 stieg um 30 Prozent. Der Begeisterung an den Aktienmärkten ist groß.
Gleichzeitig kommen praktisch täglich Hiobsbotschaften (nicht nur) aus deutschen Firmen, bis hin zu den größten internationalen Monopolen über sinkende Aufträge und mangelnden Umsatz. Während die Aktienkurse steigen, werden immer mehr Arbeitsplätze vernichtet. Die bürgerlichen Ökonomen sind sprachlos oder stimmen in den Jubelchor der Spekulanten mit ein. Die meisten beschäftigen sich vor allem damit, welche Aktien sich jetzt besonders zu kaufen lohnen und welches Potential sie längerfristig hätten. Als ob die steigenden Kurse einen baldigen Wirtschaftsaufschwung versprächen!
Große Teile der Profite der internationalen Monopole lassen sich aber schon jahrelang nicht wieder Maximal-Profit-bringend neu anlegen, weil die Absatzmärkte mit der Ausdehnung der Produktion nicht Schritt halten. Denn im Verhältnis zur produzierten Warenmenge verdient die arbeitende Bevölkerung immer weniger. Wenn sich also keine neuen Kapitalanlagen und Absatzmärkte erschließen lassen, muss die weltweite Industrieproduktion schrumpfen – und es wird verstärkt mit dem überschüssigen Kapital spekuliert.
Karl Marx kennzeichnete die Beziehung zwischen Aktienkursen und Industrieproduktion so: „Die Spekulation tritt regelmäßig ein in den Perioden, wo die Überproduktion“ (an Waren und an Kapital) „schon in vollem Gange ist. Sie liefert der Überproduktion ihre momentanen Abzugskanäle, während sie eben dadurch das Hereinbrechen der Krise beschleunigt und ihre Wucht vermehrt.“ (MEW, Bd. 7, S. 241)
Heute haben die ausufernden Spekulationen wieder diese Funktion der Abzugskanäle übernommen. Dabei befinden wir uns schon seit Mitte 2018 in einer Weltwirtschafts- und Finanzkrise. Sie ist dabei keineswegs auf die relativ geringen Rückgänge des Bruttoinlandsprodukts beschränkt, wie von den bürgerlichen Ökonomen behauptet. Ihr Kern ist eine Überproduktionskrise der Industrie in einer Vielzahl von Ländern, die sich in einem deutlichen Rückfall der Industrieproduktion äußert.
So ist die Industrieproduktion in Deutschland mit minus 16,6 Prozent seit Beginn der Weltwirtschafts- und Finanzkrise Mitte 2018 sehr tief eingebrochen. Sämtliche alten imperialistischen Ländern lagen im dritten Quartal 2024 deutlich unterhalb des Vorkrisenniveaus der Industrieproduktion - die G7-Länder mit minus 5,4 Prozent und die Länder der Euro-Zone mit minus 4,3 Prozent. Die gesamte OECD liegt dagegen nur 0,3 Prozent unter dem Vorkrisenstand. Das war bedingt durch ein zeitweiliges deutliches Wachstum einiger neuimperialistischer oder sich in der Entwicklung dazu befindenden Länder sowie einiger kleinerer kapitalistischer Länder in der OECD [2], deren Industrieproduktion aber seit Anfang 2023 wieder stagniert oder sogar sinkt.
Auch mehrere andere neuimperialistische Länder konnten zunächst durch eine Intensivierung und Ausdehnung der kapitalistischen Produktion in ihren eigenen Ländern rasch und deutlich den Vorkrisenstand übertreffen. [3] Spätestens seit Anfang 2023 ist diese Entwicklung aber auch bei den meisten ins Stocken geraten und einige dieser Länder [4] stecken wieder in einer Überproduktionskrise. Das insgesamte Wachstum der Industrieproduktion in der Welt seit Mitte 2018 um 12,3 Prozent ging daher fast ausschließlich auf deren Steigerung in China zurück - plus 37,9 Prozent bei einem Weltanteil an der Industrieproduktion von 32,6 Prozent [5]. Das ist jetzt aber auch zu Ende: Auch die chinesische Wirtschaft befindet sich in der Überproduktionskrise.
Die weltweite Spekulationsexplosion in Aktien, aber auch in Derivaten [6], „Krypto-Währungen“, Immobilien und Rohstoffen saugt den größten Teil des überakkumulierten [7] Kapitals auf. Die dominierende Rolle der Spekulation in der gesamten Weltwirtschaft wird deutlich an der Summe von heute etwa 1300 Billionen US-Dollar Spekulationskapital – das 13-fache des Weltsozialprodukts. Hauptsächlich ziehen sich die Spekulanten gegenseitig das Geld aus den Taschen. Die Spekulation schafft auch künstliche Absatzmärkte und Profitmöglichkeiten. Der Spekulations-Hype ist also selbst ein bedeutender Faktor der sich vertiefenden Weltwirtschafts- und Finanzkrise.
Die Überproduktion von Kapital hat heute eine solche Dimension angenommen, dass die größte Spekulationsblase aller Zeiten entstanden ist. Das ganze gigantisch-spekulative Kartenhaus ist auf der willkürlichen Ausweitung des Kreditsystems aufgebaut. Zur Kreditaufnahme wurde von den Zentralbanken durch Niedrigst-Zinsen gelockt. Die Kredite sollten durch Investitionen die Konjunktur ankurbeln, landeten aber überwiegend in spekulativen Geschäften. Die größten Sicherheiten konnten natürlich Banken selbst und die großen Monopole bieten. Sie sind die größten Spekulanten. Die Kreditausweitung ist so mit einer massiven Verschuldung von Banken, Monopolen und sonstigen Finanzjongleuren verbunden.
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