Dortmund: Protest gegen Skandalurteil

Dortmund: Protest gegen Skandalurteil

"Das war Mord!"

Rund 1.500 Menschen beteiligten sich an der Demonstration zum Protest gegen den Freispruch aller an der Ermordung des 16-jährigen Mouhamed Lamine Dramé beteiligten Polizisten am 14. Dezember 2024 in Dortmund.

Von Monika Gärtner-Engel/ms
"Das war Mord!"
Fahne der IG Metall bei der Demonstration gegen den Freispruch aller Polizisten im Fall von Mouhamed Laminé Dramé (Foto: RF)

Das skandalöse Urteil des Landgerichts Dortmund vom 12. Dezember sorgte für Empörung und Wut. Berechtigt prangerte William Dountio vom Solidaritätskreis Mouhamed, der sich auch als Sprecher für die Familie und damit die Nebenklage vorstellte, die Tötung als Mord und das Urteil als Skandal an. Die meist jugendlichen Teilnehmerinnen und Teilnehmer brachten zustimmend ihre ganze Wut zum Ausdruck und skandierten: "Das war Mord! Das war Mord!"

 

William Dountio vergaß allerdings zu erklären, warum dann die Anwältin der Nebenklage, Lisa Grüter, keinerlei (!!) Strafmaß beantragte und nicht zumindest auf Totschlag plädierte. Empört prangerte er an, wie respektlos das Gericht mit den beiden anwesenden Brüdern von Mouhamed umgegangen war. Niemals wurden sie wenigstens mit Worten des Bedauerns persönlich angesprochen. William Dountio vergaß allerdings auch hier zu erklären, wieso die Anwältin die beiden Brüder nie in die Prozessführung einbezog und ihre Anliegen vorbringen ließ. Weitere Redner stellten die Parallele zum Mord an Oury Jalloh her – so sein Bruder in einer eindringlichen Ansprache.

 

Rednerinnen und Redner des Freundeskreises Flüchtlingssolidarität legten am offenen Mikrofon dar, wie mit diesem Urteil Flüchtlinge zu Freiwild erklärt werden. Sie stellten den Zusammenhang zu den NRW-Polizeigesetzen her, zur verschärften Flüchtlingspolitik von EU und Regierung, die bereits Zehntausende Menschen im Mittelmeer ertrinken ließ. Mehr noch: Die weltweite faschistische Tendenz und Rechtswende mit ihren imperialistischen Urhebern muss ins Visier genommen werden.

 

In dieser Frage legte der Solidaritätskreis um William Dountio eine Fährte ins Abseits: Die Uhrzeit des Demo-Beginns um 13.12 Uhr symbolisiert ja den Slogan "All cops are bastards". Also sind die Polizisten die Urheber allen Übels? Natürlich müssen sie für faschistoide Taten wie den Mord an Mouhamed hart bestraft werden. Aber Auftraggeber und Drahtzieher sind immer noch die reaktionäre bürgerliche Politik sowie ihre Hintermänner in den Konzernetagen und Monopolverbänden.

 

Doch solche Systemkritik, die über Kritik am "systemimmanenten Rassismus" hinausgeht, passt den Veranstaltern nicht ins Konzept. Während fast überall in Deutschland inzwischen Fahnenverbote passé sind und zum Beispiel bei den antifaschistischen Massendemonstrationen demokratische Organisationen aller Art Flagge zeigten, scheint die Dortmunder Führungsclique des Solidaritätskreises den Schuss noch nicht gehört zu haben: Im gewohnt ätzenden Ritual und mit unübersehbarem Verfassungsschutzjargon wurde der Freundeskreis Mouhamed flugs zum U-Boot der MLPD erklärt und alle Aktivistinnen und Aktivisten wurden ans Ende der Demo verbannt. Das hat die Demoleitung mit einem provokativen und handgreiflichen, schwarz gekleideten und vermummten Sondereinsatzkommando, einer in die Demo beorderten Polizeikette, Diebstahl von Mikrofon, Zerstörung des Lautsprecherkabels und so weiter rigoros durchgesetzt. Ein Eklat des Antikommunismus!

 

Alle Organisationen wurden aufgefordert, ihre Fahnen einzurollen. Doch hier ist das Selbstbewusstsein der Teilnehmer und Teilnehmerinnen deutlich gewachsen: Die ganze Demo über wehten die Fahnen von DIDF, der Revolutionären Jugend (RJ), des Kommunistischen Aufbaus (KA), von young struggle (ys); ein Schild der SDAJ war zu sehen und natürlich im Block des Freundeskreises Mouhamed die Fahne des Freundeskreises Flüchtlingssolidarität, von IG Metall, Rebell sowie Internationalistischer Liste/MLPD und schöne selbst gemalte Schilder mit dem Bild von Mouhamed.

 

Der Freundeskreis ließ sich nicht auf Provokation ein und formierte seinen lebhaften Block unter Protest gegen die undemokratischen und widerwärtigen Methoden am Ende des Demozugs. Das hatte allerdings auch einen gewissen Vorteil: So konnte der kulturvolle, argumentative, mit guten Slogans und ansprechenden Liedern auftretende Block direkt die Dortmunder Bevölkerung ansprechen. Besonders berührend der eigens für die Trauer um Mouhamed intonierte Gospel-ähnliche Song von Frida Mamades.

 

Diese Ausstrahlung wiederum passte den Ordnern der Demo-Leitung gar nicht ins Konzept. Giftig griffen sie die lebhaften Diskussionen an, als zum Beispiel die Frage aufgeworfen wurde, ob heute die Flüchtlinge und morgen die kämpfenden Arbeiter zum Freiwild der Polizei erklärt werden sollen. Geradezu hysterisch beanstandeten sie, dass das "sachfremde Themen" seien. Ich fragte eine besonders aufgeregte Ordnerin, was sie denn an diesen Themen sachfremd gefunden habe? "Naja, euer Partei-blablabla". Nachfrage: "Was war hier Partei-blablabla, sag doch mal ganz konkret?" Ein vernichtender Blick: "Bei EUCH höre ich doch gar nicht zu!" Aha! Ratlos über so viel Logik boten wir ihr schließlich das offene Mikrofon für ihre Kritik an - woraufhin sie den Block fluchtartig verließ.

 

Beeindruckende Beiträge folgten wie von einem Stahlarbeiter, der die undemokratischen Methoden der Demoleitung kritisierte und berichtete, wie auch im Betrieb die Arbeitereinheit unverzichtbar über weltanschauliche Grenzen hinweg hergestellt werden muss. Das forderte er auch für den Kampf um Gerechtigkeit für Mouhamed ein.

 

Leider war die Anlage der Demo-Leitung so schlecht, dass wir fast eine Stunde während der Schlusskundgebung geduldig ausharrten, ohne auch nur ein Wort zu verstehen. Als schließlich kein Ende absehbar war und die Vorbereitungen für das Freundschaftsessen riefen, veranstaltete der Freundeskreis zum Abschluss noch eine eigene Spontankundgebung mit der Forderung nach Revision des Urteils.

 

Alassa Mfouapon, Bundessprecher und bundesweit bekannter Aktivist des Freundeskreises Flüchtlingssolidarität (dem auch eine Rede auf dem Lautsprecherwagen verwehrt worden war), führte aus: "Es war von vorneherein klar, dass es nicht einfach wird, die Polizisten zur Rechenschaft zu ziehen. Deshalb haben wir von Anfang an gesagt, dass der Protest auf die Straße getragen werden muss. Und deshalb werden wir auch weitermachen, bis wir unser Ziel erreicht haben."

 

Mit einer einstimmigen Abstimmung verpflichteten sich alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer weiterzukämpfen, bis Gerechtigkeit für Mouhamed erreicht und die ganze faschistoide und faschistische Tendenz niedergerungen ist.

 

Der Tag endete in Dortmund mit einem wunderbaren "Solidaritätsessen" des Freundeskreises Mouhamed, über das noch gesondert berichtet wird.