April 1978: Streiks im VW-Werk Wolfsburg

April 1978: Streiks im VW-Werk Wolfsburg

Eine Arbeiterin erinnert sich

Ich war damals erst ein Jahr im Werk. Als alleinstehende Frau hatte ich in Halle 12 einen Arbeitsplatz. Lange Zeit wurden verheiratete Frauen bei VW nicht angestellt. Es gab weder eine Frauenförderung noch Teilzeit. Ich arbeitete in zwei Schichten, nach der Geburt des ersten Kindes in Dauerspätschicht.

Korrespondenz

In der Halle 12 war die Vormontage. In der Zeit gab es viele kleinere Rationalisierungsmaßnahmen. Stopper gingen herum. Und nicht zuletzt gab es die Meldung, dass die Aktionäre von VW ihre Dividende verdoppeln wollten. In der Tarifrunde 1978 erhob die IG Metall die Forderung nach 8 Prozent. VW wollte dagegen eine Null-Runde. Die Verhandlungen wurden abgebrochen und es kam zu der ersten und einzigen Urabstimmung. 88,58 Prozent stimmten für Streik.

 

Im Werk brodelte es. In unserer Halle ergriff ein junger Vertrauensmann vom Band die Initiative. Er stoppte das Band und führte den Zug an. Das war ein Gefühl der Stärke. Gemeinsam mit Kollegen, die ich vorher gar nicht gekannt hatte, zogen wir an den Bändern entlang. Viele hatten auch Angst. Die musste überwunden werden. Die Meister sollten schließlich alle aufschreiben. Wir waren ungefähr 1000. Im Rohbau standen die Kollegen schon bereit. Werkschützer, Meister und Hallenleiter wollten uns aufhalten. Doch dann ging alles sehr schnell. Die erste Reihe hakte sich ein und es ging durch die Maschinengänge. Jetzt waren wir 2000. Immer wieder mussten wir den Werkschutz abhängen, schnell unsere Route ändern.


 So ging es am ersten Tag bis zum Feierabend. Wir zogen auch am nächsten Tag immer wieder die Bänder auf und ab. Am dritten Tag sollte es zum Hochhaus gehen. Wir wollten die Angestellten abholen. Diesmal wurden wir von Kollegen abgelenkt. Wir sollten in die Kantine kommen. Es gab viele Reden. Um 20 Uhr war es zu spät, die Angestellten waren längst Zuhause. Am nächsten Tag waren auch sie dabei. Jetzt waren 5000 im „wilden“ Streik.


Die Kampfbereitschaft war unmissverständlich und das bevor wir zu einem richtigen Streik kamen. Das blieb nicht ohne Wirkung: Das Unternehmen bot über Nacht neue Verhandlungen an und einigte sich mit der Tarifkommission heimlich übers Wochenende auf 5,9 Prozent und eine Einmalzahlung. Wir erfuhren davon Sonntagabend aus der Tagesschau. Unser Streik war abgeblasen. Genau dann, als es eigentlich losgehen sollte. Wir waren fassungslos. Gefragt hatte uns keiner.


Ich wurde zusammen mit einer Kollegin ans Band strafversetzt und habe Tanks eingebaut. Die Kollegen dort waren hilfsbereit. Ich empfand das nicht als Strafe. Nach einiger Zeit konnten wir wieder zurück in die Vormontage.


Die Teilnahme an diesen „wilden“ Streiks hat mir gezeigt, was mutige Menschen bewegen und wie sie begeistern können. Einzelne haben den Anfang gemacht – andere sind gefolgt. Sie fanden es richtig, ein Zeichen zu setzen, trotz Angst. Wir hatten Vertrauen zueinander. Das Gefühl, dass immer mehr mitmachen und das Wissen, dass wir für eine richtige Sache streiten, gibt Kraft. Das möchte ich den Kollegen heute gerne als Fazit sagen.