Kämpferisch wie nie
Betriebsversammlung VW Wolfsburg: "Sie wollen eine Machtprobe? Die können Sie haben!"
Eine so kämpferische Belegschaftsversammlung hat es im Stammwerk Wolfsburg noch nicht gegeben. VW-Chef Oliver Blume trat provokativ vor die 20.000 Kolleginnen und Kollegen, nicht bereit, auch nur einen Millimeter von dem Generalangriff auf die VW-Arbeiter abzuweichen. Seine Rede wurde von minutenlangen Pfeifkonzerten und Rufen "Bundesweit streikbereit!" unterbrochen.
Er begann erst einmal mit einer ausführlichen Powerpoint-Präsentation mit zahlreichen neuen Automodellen aus dem Luxussegment. Für die Kolleginnen und Kollegen in ihrer Not war das ein regelrechter Schlag vor den Kopf. Er setzte immer noch einen oben drauf: Man dürfe die Augen eben nicht davor verschließen, dass der Konzern einfach Rendite brauche. Der Kuchen sei kleiner und es säßen mehr Gäste am Tisch. Wer sagt denn, dass der Arbeiter sein Leben lang immer nur für die Rendite dieser Bande arbeiten soll?!
Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) war extra angereist, um die Sozialpartnerschaft, also die offen gescheiterte Klassenzusammenarbeitspolitik, zu verteidigen und zu retten. Er gab sich arbeiternah und bekam dafür auch Applaus. Er pries die Sozialpartnerschaft als Ausgleich zwischen Eigentümern und Mitarbeitern an, die gelingen müsse. Dabei besteht die Unausgleichbarkeit eben darin, dass gesellschaftlich von den Arbeitern produziert wird, und die Reichtümer zugleich privates Eigentum des Kapitals sind und werden. Pseudosozial stellte er die Kollegen schon auf Einschnitte ein, wenn er sagte: "Kompromisse sind in harten Zeiten kein Schimpfwort". Er appellierte, dass Deutschland um seine Märkte kämpfen muss und Deutschland ein Autoland bleiben muss. Pseudoselbstkritisch gab er sich in Bezug auf die Regierungspolitik zur E-Mobilität.
Betriebsratsvorsitzende Cavallo warnte davor "ganz VW ist in Gefahr", orientierte aber darauf, "ernsthaft Kompromisse in Angriff zu nehmen - und zwar auf beiden Seiten". Warum sollten die Kollegen nach Jahren des Verzichts auf Lohnbestandteile und der nun angedrohten Vernichtung von Arbeits- und Ausbildungsplätzen noch weitere Kompromisse machen?! Blume führte den kompletten Kompromissvorschlag von Betriebsratschefin Cavallo regelrecht vor, wenn er ihn lediglich als einen möglichen Ausgangspunkt für noch weitere Einschnitte bezeichnete.
Ganz anders die Kollegen, die kämpferisch auf den Plan traten. 25 Rednerinnen und Redner (so viele wie seit 2008 nicht mehr) sprachen selbstbewusst und kompetent am Mikro, machten die Auswirkungen der Angriffe konkret deutlich, entwickelten richtig gute Argumente dagegen. Kollegen hatten eine ganze Reihe von Sprüchen von Berühmtheiten herausgesucht, Büttenreden und Gedichte geschrieben und sprachen der Belegschaft aus dem Herzen. Die Beiträge waren wütend, sorgenvoll, selbstbewusst, emotional, kulturvoll – und souverän. Es wurde geklatscht und gepfiffen, es wurde gelacht und es liefen Tränen. Die Beiträge brachten eine gewachsene Klassenselbständigkeit zum Ausdruck, was in einer Vielfalt von Argumenten zum Ausdruck haben: So die 300 Azubis, die mit Schildern auf die Bühne kamen "170 € – für euch Peanuts - für uns Miete" oder "Wir im Regen – ihr im Porsche – nicht mit uns!"
Ein Kollege der Vertrauenskörperleitung rechnete vor, dass der geforderte Lohnverzicht für eine alleinerziehende Mutter in Teilzeit im Golfsegment mit 20 Stunden/Woche bedeuten würde: ein Lohnverlust von 623 € pro Monat. Ein anderer rechnete vor, dass die Personalkosten nur 15% der Produktionskosten ausmachen. Als die Schwerbehindertenvertreter auf die Bühne kamen, forderten sie jeden auf, aufzustehen, der schwerbehindert ist oder Schwerbehinderte in seinem Umfeld hat – prompt stand die ganze Halle auf und 20.000 Kollegen solidarisierten sich so mit den schwerbehinderten Kollegen, auf die das Management derzeit eine regelrechte Jagd wegen ihrer Krankentage veranstaltet.
Den häufigsten Zwischenapplaus bekam eine Kollegin, die neben Blume auch die Regierung kritisierte: Herr Heil, ich vertraue ihnen einfach nicht. Die Ampelregierung hat so viel versprochen und nichts gehalten." Die Logik der Überkapazitäten und der Verzichtspolitik wurde auseinandergenommen und gefordert, dass die ganzen Vorstandspläne ohne Wenn und Aber vom Tisch müssen. Viel Applaus erhielt der Schlusssatz: "Sie legen sich hier gerade mit der gesamten Industriearbeiterschaft Deutschlands an. Da haben sie einen Fehler gemacht!"
Mit Verweis auf den Besuch der Stahlkollegen schloss ein Gewerkschafter seine Rede für Niedersachsen ungewöhnlich mit den Worten: Glückauf! Ein muskelbepackter Kollege zitierte Mohammed Alis Kampfspruch, ein anderer rezitierte frei Kants kategorischen Imperativ und nach welchen Prinzipien eine Gesellschaft aufgebaut sein sollte.
Blume provozierte zu Beginn, er hoffe, bis Weihnachten würden die Kollegen etwas runterfahren. Ein Arbeiter "runterfahren? Ich bin noch gar nicht hochgefahren!" Viele Beiträge machten deutlich dass die Lüge und lange wirkende Illusion von der "VW-Familie" geplatzt ist. So eine Kollegin: "Das ist vorbei, ich kann das nicht mehr hören, das ist wie ein Schlag ins Gesicht!"
Ein Mitglied der VK-Leitung sagte: "Aus Enttäuschung ist Wut geworden. Ein Arbeitskampf ist unausweichlich." Polemisch ging eine Kollegin in die Bütt und hatte für jedes Vorstandsmitglied einen passenden Spruch in Reimform in der Art wie: "Pilze, Rosenkohl, ein ekliger Käfer - alles beliebter als ein Schäfer", an die Adresse von Markenchef Thomas Schäfer, besonders unbeliebt wegen seiner ständigen Forderung nach Werksschließungen.
In den Beiträgen und der gesamten Stimmung in der Halle kam das gewachsene Bewusstsein, die gewachsene Klassenselbständigkeit und der Wille der Kollegen zu kämpfen zum Ausdruck. Auch in vielen Kommentaren in der VW-eigenen Plattform 360° wird die Auseinandersetzung weiterverarbeitet und zeigt sich, dass auch eine große Zahl von Angestellten die Schnauze voll hat.
Bewegend war auch eine andere Situation: Ein langjähriger VW-Arbeiter sprach bislang auf jeder Betriebsversammlung. Auch heute kritisierte er: wenn die Lage doch so schlimm sei, solle der Vorstand doch seine Boni streichen. Dann verabschiedete er sich in die Altersteilzeit, bedankte sich für die tolle Gemeinschaft in der Belegschaft – und die ganze Halle stand aus Respekt auf und verabschiedete den Kollegen für dich. Welch überlegene Moral gegenüber dem Egoismus und der Rücksichtslosigkeit der VW-Manager!
In einem weiteren Gedicht auf der Betriebsversammlung hieß es sinngemäß "Wenn wir nicht kämpfen, werden wir verlieren". Die Zeit ist reif dafür, mit Nachdruck zu kämpfen!