Vorwärts zur Arbeiteroffensive

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Zur Rolle des Betriebsrats bei selbständigen Streiks

Zur Rolle des Betriebsrates bei selbständigen Streiks führte Rote-Fahne-News mit Gerd Pfisterer aus aktuellem Anlass ein Interview. Gerd Pfisterer war als Betriebsrat einer der Streikführer im selbständigen achttägigen Streik der Rheinhauser Stahlarbeiter 1988 und hat mit seinen Kolleginnen und Kollegen 1999 mit einem sechstägigen Streik die Schließung des Walzwerks HSP mit 600 Beschäftigten in Dortmund verhindert.

Von gp
Zur Rolle des Betriebsrats bei selbständigen Streiks
Gerd Pfisterer heute (rf-foto)

Rote Fahne: Die angekündigten Kahlschlagpläne von ThyssenKrupp Stahl, der Auto- und ihrer Zuliefererindustrie stoßen auf Entsetzen, Wut, aber auch Unsicherheit bei den Kolleginnen und Kollegen. Es fühlen sich aber auch eine ganze Reihe herausgefordert und wollen für ihre Arbeits- und Ausbildungsplätze kämpfen. Aber wie und wofür? Bei Ford in Köln und bei Thyssenkrupp Stahl erklärten Betriebsräte kämpferisch, „wir werden kämpfen, bis die Pläne vom Tisch sind“. Das kommt bei den Kolleginnen und Kollegen gut an. Was ist davon zu halten?

 

Gerd Pfisterer: Zunächst mal ist es zu begrüßen, wenn Betriebsräte und die IG-Metall-Bezirksleitung zum Kampf aufrufen. Aber was ist mit Kampf gemeint? Mahnwachen, Kundgebungen, Menschenketten, Fackelläufe zwischen den Standorten sind geeignete Mittel, die Öffentlichkeit aufmerksam zu machen und einzubeziehen. Sie sind dann zu begrüßen, wenn sie Mittel sind, tatsächliche Kampfmaßnahmen der Belegschaften vorzubereiten und die Solidarität der Bevölkerung zu gewinnen. Sie haben ihr Ziel aber vollständig verfehlt, wenn sie dazu  dienen sollen, lediglich „Dampf abzulassen“ beziehungsweise wirksame Kampfmaßnahmen zu ersetzen.

 

Denn das wirksamste Mittel im Tageskampf, um Angriffe der Vorstände abzuwehren, eigene Forderungen durchzusetzen, ist der Streik. Er trifft die Konzerne an der empfindlichsten Stelle, dem Profit. Viel bedeutsamer und nachhaltiger als der wirtschaftliche Druck sind aber die politischen Konsequenzen. Während des Streiks hören die Arbeiter auf, „Lohnsklaven“ zu sein. Sie erfahren, welche Kraft sie haben, dass ohne sie nichts läuft. Und sie lernen ihre wahren Freunde und Feinde kennen. Ja, es entsteht der Gedanke – auf die da oben können wir eigentlich verzichten. Die Höherentwicklung des Klassenbewusstseins und der Organisiertheit der Arbeiterinnen und Arbeiter, das ist es, was die Konzernchefs am meisten fürchten. Und an der auch die Co-Manager in der IG-Metall-Führung ganz offensichtlich kein Interesse haben.

 

Rote Fahne: Aber wer soll einen solchen Streik führen? In Deutschland gibt es nur ein auf Tariffragen eingeschränktes Recht auf Streiks. Und dem Betriebsrat sind durch das Betriebsverfassungsgesetz Arbeitskampfmaßnahmen verboten. Was folgt daraus?

 

Gerd Pfisterer: Wie sollen die Arbeiterinnen und Arbeiter ihre Interessen erfolgreich durchsetzen, wenn sie sich an die von ihren Gegnern festgelegten Spielregeln halten? Die Arbeiter waren immer dann erfolgreich, wenn sie gewerkschaftliche Kämpfe offensiv geführt und wenn sie sich das Recht genommen haben, notfalls auch selbständig zu streiken. Ich erinnere nur an die selbständigen Streiks für Lohnnachschlag 1969 und in den 1970er -ahren, an den selbständigen Streik in Rheinhausen und nicht zuletzt den Opelstreik 2004, der dazu geführt hat, dass das Werk zehn Jahre länger lief. Wer die Kolleginnen und Kollegen damit einschüchtert, ein selbständiger Streik sei illegal, um sie vom Kampf abzuhalten, arbeitet den Unternehmern in die Hände.

 

Rote Fahne News: Was ist aber damit gemeint, wenn Betriebsrat und Gewerkschaftsführung von „Kampf“ sprechen?

 

Gerd Pfisterer: Darunter verstehen sie häufig den Kampf um einen „Sozialtarifvertrag“.  Voraussetzung für einen Sozialtarifvertrag ist aber die Zustimmung zur Vernichtung von Arbeitsplätzen. Das heißt, solch ein Vertrag ist kein Kampf zur Verteidigung und zum Erhalt der Arbeitsplätze, sondern legt lediglich die Bedingungen fest, wie die Arbeitsplätze vernichtet werden sollen. Die kämpferischen Töne von Vertretern der Klassenzusammenarbeitspolitik sollen davon ablenken, dass sie längst bereit sind, mit den Vorständen die Bedingungen der Arbeitsplatzvernichtung auszuhandeln, „da man sich ja angeblich der Realität nicht verschließen könne“.

 

Rote Fahne: Du warst Betriebsrat und gleichzeitig einer der Streikführer. Wie bist Du damit umgegangen?

 

Gerd Pfisterer: Die Monopolvertreter sprechen mit Verweis auf den § 74 des Betriebsverfassungsgesetz von einer „absoluten Friedenspflicht“. Danach müsse der Betriebsrat „alles in seiner Macht stehende tun, um wilde Streiks beizulegen“ [1].  Das ist eine willkürliche Auslegung des Paragrafen. Der verbietet zwar Arbeitskampfmaßnahmen des Betriebsrates, von einer Verpflichtung, selbständige Streiks beizulegen, steht da nichts. Leider agieren viele Betriebsräte im Sinne der Monopole, arbeiten und hetzen gegen selbständige Streiks. Ich war als einziger in der Stahlindustrie nicht freigestellter Betriebsrat vor und während der Streiks immer mitten unter den Kollegen. Dabei habe ich offen mit ihnen gesprochen, ihnen Mut gemacht, den Kampf um ihre Interessen selbst in die Hand zu nehmen, alle Fragen diskutiert und geeignete Schritte besprochen.

 

Rote Fahne: Einige Betriebsräte und Vertreter der IG-Metall-Führung hetzen gegen den Vorschlag eines selbständigen Streiks und werfen klassenkämpferischen Kolleginnen und Kollegen und der MLPD vor, sie würden die Kolleginnen und Kollegen ins offene Messer laufen lassen!

 

Gerd Pfisterer: Wir haben es mit einem hochorganisierten Gegner zu tun. Um erfolgreich zu sein, müssen wir besser organisiert sein. Jede und jeder muss wissen, auf was sie oder er sich einlässt. Aber, wollen die Konzerne Tausende von uns rauswerfen? Andererseits haben die Unternehmer sich in den letzten Jahren selten getraut, einen Arbeiter wegen der Beteiligung an einem selbständigen Strek vor Gericht zu zerren. Schon gar nicht bei Massenkämpfen. Jede und jeder muss sich auf die Solidarität verlassen können - auf die Solidarität der eigenen Kolleginnen und Kollegen und auf die Solidarität der Bevölkerung. Kämpfende Kollegen können sich ihrer sicher sein! Und ein solcher selbständiger Streik würde der Massendiskussion über die Kraft der Arbeiter und auch über die Notwendigkeit eines allseitigen und vollständigen gesetzlichen Streikrechts Auftrieb geben.

 

Die Kolleginnen und Kollegen müssen sich entscheiden: Vertrauen sie weiter der gescheiterten Politik der Klassenzusammenarbeit oder besinnen sie sich auf ihre eigene Kraft und ihre Klasseninteressen. Der Weg ist nicht einfach, aber der einzig erfolgversprechende mit Zukunft. Und sie haben in der Arbeiterpartei MLPD einen verlässlichen Partner an der Seite.

 

Rote Fahne: Vielen Dank für das Gespräch.

 

 

[1] „Richtlinien über wilde Streiks“, zitiert nach Willi Dickhut, Gewerkschaften und Klassenkampf, S. 302