Regierungsbildung
Zukünftig „Brombeer-Koalition“ in Thüringen?
Der Koalitionsvertrag in Thüringen steht und muss nun in den drei Parteien CDU, SPD und BSW bestätigt werden. Die wahrhaft tiefschürfende Analyse eines Politik-Professors Karl-Rudolf Korte hat uns immerhin den Namen „Brombeere“ beschert. Viel weiter ist seine Analyse dann aber auch nicht gekommen. Womit haben wir es hier zu tun?
1. Bündnis zur Verhinderung der AfD?
Bei diesen Akteuren mitnichten! Mario Voigt (CDU), zukünftiger Ministerpräsident, trat noch vor der Wahl im „Duell“ mit Björn Höcke auf. Ein kalkulierter Tabubruch, um seine Bekanntheit zu steigern. In Sachsen setzte das BSW gemeinsam mit der AfD einen Corona-Untersuchungsausschuss durch. Nun gäbe es tatsächlich etwas aufzuarbeiten wie etwa die Einschränkung bürgerlich-demokratischer Rechte oder die weitgehende soziale Isolierung von Kindern. Aber gemeinsame Sache mit Verschwörungsideologen, Impfgegnern und Querfrontlern, die zusammen mit Hardcore-Faschisten Montagsspaziergänge organisieren? Sabine Zimmermann, Spitzenfrau des BSW in Sachsen, bekräftigte, dass sie noch öfter mit der AfD gemeinsam abstimmen wird und erhielt dafür Rückendeckung vom Bundesvorstand.
Nicht nur in Sachsen geplant, auch im Koalitionsvertrag von Thüringen, steht ein „Konsultationsverfahren“: „Wollen wir sicherstellen, dass der Landtag mit seinen Fraktionen schon vor der Kabinettbefassung über zentrale Vorhaben der Regierung informiert und konsultiert wird." (Koalitionsvertrag, S. 126) Hier wird klammheimlich eine Zusammenarbeit mit der AfD institutionalisiert. Die Brandmauer gegen die Faschisten von der AfD ist so löchrig wie ein Schweizer Käse. Das ist das ganze Gegenteil einer linken Volksfront, wie sie in Frankreich gegen die Faschisten des „Rassemblement National“ zur Wahl angetreten ist.
2. Was aus dem Streit um die „Friedenspräambel“ geworden ist
Die drei Parteien stellen fest, dass sie sich über Waffenlieferungen an die Ukraine nicht einig sind – das heißt, der größere Teil der Koalition diese befürwortet. Aber man sei sich einig, „eine diplomatische Lösung voranzutreiben“. Butterweich. Einig ist man sich die militäriche Aufrüstung zu unterstützen. Das klingt im Koalitionsvertrag so: „Die Verteidigungsfähigkeit ist wichtig für Frieden und Sicherheit. Daher ist eine stärkere europäische Position in Verteidigungsfragen erforderlich. ... Eine Stationierung (von amerikanischen Mittelstreckenraketen) und deren Verwendung ohne deutsche Mitsprache sehen wir kritisch." (S. 106-107). Butterweich! Offensichtlich stört die wackeren Koalitionäre am meisten, dass Deutschland bisher nicht selbst mit am roten Knopf sitzt. Sofortiger Waffenstillstand und Stopp aller Waffenlieferungen! Keine Stationierung neuer Mitterlstreckenrakten in Deutschland- ohne Wenn und Aber.
3. Auch die „Brombeere“ wird Dienstleister der Monopole
Unter dem Slogan „Wirtschaft entfesseln“ (S. 10) sollen neue Investitionsfonds aufgemacht und die Umverteilung von unten nach oben soll vorangetrieben werden. Das nennt sich „Ermöglichungskultur“ und soll die noch bessere kapitalistische Ausbeutung der Lohnarbeit sicherstellen. „Standortförderung“, „technologieoffene Energiepolitik“, „Weiterentwicklung des modernen Verbrenners“, „Unterstützungsleistungen für Unternehmen“, bekannte Schlagworte, um Mensch und Umwelt den Maximalprofiten der Konzerne unterzuordnen. Im Abschnitt zu den Finanzen wird klargestellt: „Wir stehen für eine ... wettbewerbsorientierte...Wirtschaftspolitik, damit Thüringen seine soziale Verantwortung wahrnehmen kann.“ Nur wenn es der Wirtschaft gut geht, wäre also das Geld da für „soziale Verantwortung“. Das ist vielleicht bei Alice im Wunderland so, aber nicht im real existierenden Kapitalismus, wo ein VW-Konzern, der seinem CEO Blume 10 Millionen € und seinen Aktionären in drei Jahren 22 Milliarden € Dividende ausschüttet, mal eben drei Werke schließen, die halbe Mannschaft entlassen und die Löhne um 18% senken will. In Thüringen stellt das zig Tausende Arbeitsplätze in der Autozulieferindustrie in Frage. Die kommenden Arbeiterkämpfe werden auch dieser Landesregierung einen Strich durch die Rechnung machen.
4. reaktionäre Ausrichtung der „Brombeere“
1800 Polizisten mehr, Vorratsdatenspeicherung, Videoüberwachung, Prüfung von Taserbewaffnung, wöchentliche „Verfassungsviertelstunde“ in den Schulen usw. Kernstück ist eine ultrareaktionäre Migrationspolitik. Erwünscht ist eigentlich nur der Migrant, der als Spezialist in seinem Heimatland abgeworben werden kann, dort fehlt, und hier die Fachkräftelücken stopft. Unter dem Begriff „irreguläre Migration“ subsumiert die neue Koalition dagegen alle, die vor Verfolgung, Umweltzerstörung und Kriegen fliehen. Wenn die „sicheren Herkunftsstaaten“ ausgeweitet und die faktische Abschaffung des Asylrechts durch das Gemeinsame Europäische Asylsystem (GEAS) unterstützt wird, bleiben fast nur noch „Personen mit geringer Bleibeperspektive“ über. Und die sollen zur schnellen Abschiebung nicht mehr auf Kommunen verteilt werden. Lieber baut die neue Koalition mehr Abschiebehaftplätze. In der Migrationspolitik ist die Brombeere auf AfD-Kurs.
5. „Ideologiefrei“ für den Antikommunismus
„Nicht mit Ideologie, sondern mit Pragmatismus“ heißt es in der Präambel, um sich dann unbeschwert und unverdächtig dem Antikommunismus als Staatsreligion zu verschreiben. Unter dem Schlagwort Extremismus werden Faschisten, islamistische Faschisten und linke Organisationen in einen Topf geworfen. Entsprechend müssen die Schlapphüte vom Verfassungsschutz „personell, organisatorisch, und technisch hinreichend ausgestattet sein.“ (S. 50-51). Die Lebensleistung vieler DDR-Bürger und die hoffnungsvollen Anfänge und Errungenschaften der DDR werden in den Dreck gezogen, wenn Faschismus und DDR tendenziell als „Erfahrungen aus zwei Diktaturen im 20. Jahrhundert“ (S. 5) gleichgesetzt werden.
Dabei braucht die um sich greifende Kapitalismuskritik der Menschen eine positive Antwort. Die Erfahrungen der DDR-Bürger sind dabei sehr wertvoll, wenn sie neu, auf differenzierte Art, verarbeitet werden. Was war gut, wie begann der Verrat am Sozialismus durch Leute wie Ulbricht und Honecker? Welche Probleme müssen im Aufbau des Sozialismus gelöst und welche Fehler müssen vermieden werden?
Auch wenn der Koalitionsvertrag in blumigen Worten das System der kleinbürgerlichen Denkweise bemüht, den Text „mit den Menschen“, „Zuversicht“ „soziale Verantwortung“ garniert und einzelne Zugeständnisse wie die Streichung von Hortgebühren macht, bleibt die Frage vor allem an BSW-Wähler, ob es wirklich das ist, was sie wollen?