Ford in Köln

Ford in Köln

Denkwürdige Betriebsversammlung: Vorstand minutenlang ausgepfiffen

8000 Kolleginnen und Kollegen kamen am 27. November zur außerordentlichen Betriebsversammlung. Die Hallen des alten Motorenwerks bei Ford in Köln waren voll mit Leuten. Nachdem letzte Woche bereits über die Presse bekannt wurde, dass Ford 4000 Stellen in Europa platt machen will, erwarteten sich die Kollegen vom Vorstand nichts.

Von einem Korrespondenten
Denkwürdige Betriebsversammlung: Vorstand minutenlang ausgepfiffen
Ford-Zentrale in Köln-Niehl (rf-foto)

Herr Wassenberg, erst seit wenigen Monaten als „Restrukturierer“ zu Ford gekommen, wurde minutenlang ausgebuht. Nach einem fragenden Blick zum Betriebsratsvorsitzenden entschied er sich, einfach mit leiser Stimme seinen Bericht weiter vorzulesen. Die Hälfte der Rede ging völlig unter, war überhaupt nicht zu verstehen. Das Vertrauen in das Management ist nach fünf Restrukturierungsprogrammen seit 2018 spätestens seit letzter Woche völlig zerstört. Wassenberg beteuerte: „Ich bin nicht hier, um das Werk zu schließen“. Zwischenrufe: „Lügner“, Gelächter. In der Aussprache betonten viele Kollegen, dass sie ihm nicht glauben. Zumal er die Details wieder feige dem Betriebsrat überlässt und im Grund nichts Neues über die Pressemitteilung in der Vorwoche hinaus sagt. Die ganze Halle steht, als der Betriebsratsvorsitzende sagt, dass es keine Verhandlungen über diesen untragbaren Stellenabbau gibt, dass die Pläne vom Tisch müssen.

Wichtiger Verarbeitungsprozess

Die Stimmung ist auf der einen Seite sehr kämpferisch. Die MLPD ist schon vor der Versammlung am Tor. „Streik ist die Antwort auf diesen Angriff von Ford“. Dazu sagen viele Kollegen: „Deshalb sind wir ja heute hier!“ Die kämpferische Demo der Fahrzeugfertigung in die Versammlungshalle kann jeder in der Tagesschau vom 27. November sehen. Viele erwarten sich ein Zeichen von dieser Versammlung. Für kämpferische Worte gibt es mehrfach Standing Ovations. Für den Betriebsratsvorsitzenden aus Saarlouis. Für Kerstin Klein, von der IG Metall Köln-Leverkusen. Als der Betriebsrat Grüße von Olaf Scholz überbringt, mit dem er am Vortag telefoniert hat, erntet er Gelächter und Buhrufe. Entschuldigend sagt er: „Ich weiß. Aber immerhin ist er noch unser Kanzler.“ Von der Berliner Politik erwartet sich die Belegschaft wenig bis nichts. Der Betriebsrat liest dann die Details des Horrorkatalogs vor. Er zählt alle Bereiche bis ins Detail auf. Von manchen Abteilungen und „skill teams“ hat man auch nach Jahrzehnten bei Ford selbst noch nie gehört. Jetzt hört man, um wie viel Prozent sie geschrumpft werden sollen, welche Bereiche geschlossen oder verkauft werden sollen. Minutenlang geht das so. Druckguss, Schmiede, Werkzeugbau, Halle E und weitere sollen bis Ende 2026 verkauft werden. Gastronomie und Service, Werkschutz, Druckerei, die Gebäudeinstandhaltung des Entwicklungszentrums sollen outgesourced werden.

 

Zusammen mit dem noch gar nicht beendeten Kahlschlag der „Ford Future“ Vereinbarung aus 2023 soll die Produktentwicklung um 58 Prozent auf ein sogenanntes Aplication-Center schrumpfen. Die Zahl der Azubis soll von 156 auf 40 pro Jahr gesenkt werden. Ohne Nachwuchs und ohne die Kompetenz, Produkte zu entwickeln, ist das Endergebnis dieses Plans, Ford in Köln oder ganz Europa zu beerdigen. Der Schock darüber ging tief. Vielen wurde die Dimension erst mit der Versammlung ganz klar. Die Zahlen sind auch größer, als in den Medien gesagt wird. 2.900 Stellen will Ford in Köln neu und direkt an eigenen Mitarbeitern vernichten. Hinzukommen aber insgesamt 542, die noch aus der letzten Vereinbarung ausstehen. Außerdem 300 bis 400 Leiharbeiter, die gerade ihren Job verlieren. Macht ca. 3.800 insgesamt. Darüber hinaus hängen an den Jobs ein Vielfaches an Arbeitsplätzen bei Zulieferern in der Region. Und anders als in der Presse dargestellt, hat der Abbau noch gar nichts mit den Absatzproblemen der neuen E-Autos zu tun. Hier droht also schon der nächste Kahlschlag in der Fertigung, falls hier statt mit Kurzarbeit von 2 auf eine Schicht umgestellt werden sollte. Es ist ein Generalangriff. Ernüchtert und geschockt darüber, verlassen viele Kollegen bereits früh die Versammlung. Manche sind auch einfach nur sauer, weil es ab dem 28. Februar 2025 erstmal kein Abfindungsprogramm mehr geben soll. Wie oft bei den großen gemeinsamen Versammlungen aller Bereiche entsteht zeitweise ein echter Sog, weil viele Ingenieure und Angestellte direkt nach der Rede des Betriebsrats aufstehen und gehen. Die Halle leert sich, obwohl noch so viel zu klären ist. Obwohl die Kollegen noch gar nicht selbst zu Wort kamen.

Streik liegt in der Luft

Es gibt eine entfaltete Auseinandersetzung, was die Antwort der Belegschaft auf diese Angriffe sein muss. Der Wunsch nach einem konsequenten Kampf ist insbesondere in den Produktionsbereichen deutlich gewachsen. Die kämpferischen Töne der Betriebsratsspitze und IG-Metall-Führung laufen darauf hinaus, dass jetzt alle Überstunden gesperrt sind. Dass die nächsten Tage Betriebsratsinfos in allen Bereichen stattfinden. Und dass es weitere Pläne gibt, die aber erst später bekannt gemacht werden. Die Angriffe haben den Umfang einer Betriebsänderung. Ganz offensichtlich soll nach dem Willen der Betriebsratsführung auf einen Sozialtarifvertrag orientiert werden, für den dann gewerkschaftliche Streiks möglich sind. Für den Weg wird aber noch nicht offen geworben. Vielleicht auch, weil alle an Saarlouis live erleben können, wie das letztlich in die Akzeptanz des Untergangs führt. Noch vor der Aussprache, noch bevor jemand von Streik sprechen konnte, stellt Kerstin Klein von der IG Metall klar: „Ich möchte noch einmal betonen. Die IG Metall ruft euch heute nicht zum Streik auf!“. 


Streik, das war und ist überall Thema. Diese Angriffe brauchen doch eine klare Antwort. In der Aussprache kommen viele Argumente für einen selbstständigen Streik. Eine Kollegin berichtet, wie sie seit Tagen gewarnt wird, den Ball flach zu halten. Sie hätte doch Verantwortung für ihre Kinder. „Ja eben! Was sollen wir unseren Kindern denn später erzählen? Das wir nichts gemacht haben?“ Mehrere schlagen vor, die Betriebsratsinfos an die Tore zu verlegen. Auch 20 Jahre danach ist der Opelstreik 2004 als Vorbild wieder Thema. Was das denn bitte für eine Demokratie ist? Kapitalisten vernichten wie wild unsere Zukunft. Alles legal. Aber wenn wir unsere Arbeitskraft verweigern soll das illegal sein? Wo steht das denn? Dazu gibt es überhaupt kein Gesetz. Wir brauchen ein Streikrecht. Aber solange müssen wir uns das doch nehmen. Die Halle ist zwar schon sehr leer, trotzdem gibt es einigen Applaus für grundsätzliche Kritiken am Kapitalismus und für den großen Blick und die Solidarität mit den Belegschaften bei VW, Thyssen, ZF, Schaeffler, Bosch usw. Neun Kolleginnen und Kollegen sprechen fast durchgehend sehr kämpferisch in der Aussprache. Aus der Produktentwicklung kommen Argumente gegen das E-Auto Bashing in den Medien. Mehrere Beiträge würden auch auf die Bühne von politischem Kabarett passen. Andere sind wütend und zeigen, heute war erst ein Anfang. Einer sagt: „Herr Wassenberg. Sie haben die Belegschaft heute kennen gelernt.“ Klar ist, die Sache wird weitergehen. Es ist viel zu klären, aber diese Pläne werden früher oder später die passende Antwort der Belegschaft erhalten.