Interview mit Gabi Fechtner, Parteivorsitzende der MLPD
"'Ampel' scheitert an kapitalistischen Gesetzmäßigkeiten - stärkt die sozialistische Alternative!"
Das folgende Interview mit Gabi Fechtner, der Parteivorsitzenden der MLPD zum Höhepunkt der offenen politischen Krise in Deutschland mit dem Bruch der Ampel-Koalition, zur Wahl des Faschisten Donald Trump als neuer US-Präsident, zur materiellen Grundlage in der Weltwirtschafts- und Finanzkrise und zur Kandidatur der Internationalistischen Liste/MLPD zu den Neuwahlen am 23. Februar 2025, erscheint im kommenden "Rote Fahne Magazin" 24 / 2024: "Rote Fahne News" bringt es hier vorab:
Rote Fahne: Wie beurteilst du die aktuelle Entwicklung?
Gabi Fechtner: Diese turbulenten Wochen wird man nicht so schnell vergessen. Am 6. November 2024 erfuhr man morgens von der Wahl des Faschisten Trump zum US-Präsidenten und am Abend brach die Ampel-Regierung krachend zusammen. Das alles ist von weitreichender Bedeutung. Noch nie wurden in Deutschland Neuwahlen ausgerufen, weil ein Regierungsbündnis offen geplatzt ist. Damit hat die offene politische Krise ihren Höhepunkt erreicht. Jetzt soll am 23. Februar gewählt werden.
Wir befinden uns in einer außerordentlichen Lage. Auch weltpolitisch verschärft sich die offene Weltkrise. Immerhin ist Donald Trump mit einem ausgearbeiteten faschistischen Programm als US-Präsident angetreten. Man sollte sich auf weitere Überraschungen einstellen.
In den Medien tobt eine große Debatte, warum die Ampelregierung auseinanderbrach oder wer schuld daran ist. Was sind die wirklichen Gründe?
In der öffentlichen Diskussion wird wahlweise die Bösartigkeit der FDP oder eine Entlassungsinszenierung von Scholz genannt. An beidem ist natürlich etwas dran und die Akteure sind nicht gerade Sympathieträger. Diese Diskussion ist aber sehr vordergründig und lenkt vom eigentlichen Problem ab. Die offene politische Krise ist das Ergebnis dessen, dass der Kapitalismus einfach nicht mehr funktioniert. Deswegen muss jedes bürgerliche Krisenmanagement früher oder später scheitern.
Wir hatten schon nach den Landtagswahlen in Thüringen und in Sachsen eine offene politische Krise qualifiziert. Die Prognose war treffend, dass die Regierung die Lage nicht mehr in den Griff kriegen kann. Denn die Massen wollten und wollen sich nicht mehr wie bisher regieren lassen. Und die Herrschenden konnten und können nicht mehr wie bisher regieren. Immer drängender forderten die Kapitalistenverbände eine „Wirtschaftswende“ und machten knallharte Vorgaben. In Umfragen waren am Ende nur noch 15 Prozent der Befragten mit der Ampel-Regierung zufrieden. 73 Prozent befürworten ihr Aus.
Materielle Grundlage ist die tiefe und seit 2018 außerordentlich lang andauernde Weltwirtschafts- und Finanzkrise. Kapitalistische Wirtschaftskrisen führen gesetzmäßig zu politischen Krisen, egal wie „gut“ oder „schlecht“ eine bürgerliche Regierung arbeitet.
Was wurde aus den Versprechen der angeblichen „Fortschrittskoalition“?
Die von der Ampelregierung versprochene „soziale und ökologische Transformation“ ist gescheitert. Die Außenpolitik sollte segensreiche „humanitäre“ Wirkung entfalten. Frauenrechte sollten höchste Priorität erhalten. Diese Versprechen sind allesamt kläglich gescheitert.
Die Ampel hatte versprochen, Jahr für Jahr 400 000 Wohnungen zu bauen. 2023 wurden es gerade mal 270 000, während 910 000 Sozialwohnungen fehlen. Wie sollen solche hochtrabenden Pläne auch funktionieren ohne Planwirtschaft? Die kapitalistischen Wohnungsbaukonzerne bauen nur dann Wohnungen, wenn sie sich davon Maximalprofit versprechen. Sie verknappen sogar den Wohnraum künstlich, um die Preise hochzutreiben. Die Wohnungsfrage ist lösbar – im echten Sozialismus. Denn dann stehen die Bedürfnisse der Menschen im Einklang mit der Natur im Mittelpunkt.
Wir haben tolle Gesetze, dass jedem Kind ab dem ersten Geburtstag ein Kita-Platz zur Verfügung stehen muss. Dennoch fehlen 430 000 Kita-Plätze. Die bürgerliche Staats- und Familienordnung lädt weiter auf den Frauen ab, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu managen. Das wird im Kapitalismus ständig erschwert. Im Sozialismus werden gesellschaftliche Aufgaben auch gesellschaftlich gelöst, statt sie auf die Familien und vor allem Frauen abzuladen.
Das „Bürgergeld“ sollte der große Wurf zur Besserstellung der früheren ALG-II-Bezieher werden. Tatsächlich haben sie durch die spekulationsgetriebene Inflation heute unterm Strich zwischen 15 und 20 Prozent weniger Kaufkraft als 2021. Im echten Sozialismus gibt es keine Inflation mehr.
Umweltschützer erstritten mehrere Gerichtsurteile, die die Regierung zu mehr Klimaschutz verpflichteten. Doch die Monopole interessiert das einen feuchten Kehricht. 2023 wurde weltweit so viel fossile Energie erzeugt wie nie zuvor. Ausgerechnet unter der grünen Energie- und Umweltministerien kauft Deutschland extrem umweltschädliches LNG-Gas aus den USA und feudalen Diktaturen im Mittleren Osten und zementiert das bis mindestens 2043. Im Sozialismus stünden nicht die Maximalprofite der Öl- und Gaskonzerne, sondern Mensch und Natur im Mittelpunkt.
Die ach so „humanitäre, friedliche und wertebasierte Außenpolitik“ rechtfertigt und unterstützt den Völkermord Israels in Gaza und verstrickt sich immer mehr in den verheerenden Ukrainekrieg. Die deutsche Regierung steht für die reaktionärste Flüchtlingspolitik seit dem Zweiten Weltkrieg. Mit der Entwicklung der globalen Umweltkatastrophe, der weiteren Unterstützung des Krieges in der Ukraine, in Gaza und im Libanon werden gleichzeitig neue Flüchtlingsbewegungen verursacht.
Alle Versprechen mussten scheitern vor dem Hintergrund der heutigen allgemeinen Krisenhaftigkeit des Imperialismus.
Wird es einer anderen Regierung gelingen, die gesellschaftlichen Probleme zu lösen?
Der Kapitalismus scheitert notorisch bei der Lösung gesellschaftlicher Probleme. Deshalb muss auch jede andere bürgerliche Regierung dabei versagen. Zu Recht trauen nur 23 Prozent einer „unionsgeführten Regierung zu, die Probleme besser lösen zu können“.¹
Um diese Probleme wirklich zu lösen, muss der Kapitalismus revolutionär überwunden werden. Das ist der einzige reale Weg. Unsere Vision einer sozialistischen Gesellschaft sieht vor, dass die Früchte der gesellschaftlichen Arbeit auch denen zugute kommen, die die Werte schaffen. Deshalb ist die Stärkung der sozialistischen Alternative zur entscheidenden gesellschaftlichen Frage geworden.
Die Krise kann sich sogar zu einer Systemkrise ausweiten, wenn die Massen das begreifen. Natürlich ist das System der kleinbürgerlichen Denkweise mit seinen immer neuen Betrugsmanövern nicht absolut am Ende. Aber sein Wirkungsgrad hat erbärmlich abgenommen.
Was haben die Massen vom Kurs der Monopole mit einer neuen Regierung zu erwarten?
Zunächst mal ist zu sagen, dass mit den vorgezogenen Neuwahlen eins zu eins die Forderung der Monopole umgesetzt wird. Sie forderten eine „radikale Wende“ oder eine neue Regierung. Nachdem Lindners entsprechendes 18-Seiten-Papier nicht durchkam, provozierte er das Platzen der Regierung. Gesamtmetall-Chef Stefan Wolf lobte Lindners Katalog, er enthalte „sehr gute Vorschläge“. Kein Wunder, denn Lindner hat wie ein schlechter Plagiator beim Forderungskatalog der Monopolverbände abgeschrieben. Der Generalsekretär der CDU, Carsten Linnemann, prophezeit, eine unionsgeführte ultrarechte Regierung werde eine „Agenda 2030“ verfolgen. Das alles ist ein regelrechter Generalangriff auf die Arbeiter und die breiten Massen. Er umfasst die Verlängerung der Arbeitszeit, Rentenkürzungen, niedrigere Sozialversicherungsbeiträge für Kapitalisten, drastische Kürzungen beim Bürgergeld. Aber auch eine noch schärfere Asylpolitik, eine Generalattacke auf dringend gebotene Umweltschutzmaßnahmen, Hochrüstung und Abbau demokratischer Rechte und Freiheiten.
Das ist für die Massen keine Alternative zur „Ampel“ und würde die Probleme auf die Spitze treiben. Dass die entscheidenden Monopole heute eine ultrareaktionäre Wende fordern, hat tiefere Hintergründe. Die Grundtendenz des Imperialismus zur Reaktion nach innen und Aggression nach außen wird durch die allgemeine Krisenhaftigkeit des Imperialismus auf die Spitze getrieben. Die Arbeiter- und Volksbewegung muss einen entschiedenen Kampf führen gegen die Abwälzung der Kriegs- und Krisenlasten. Wir werden darin so arbeiten, dass er eine Schule des gesellschaftsverändernden Kampfs wird.
Besonders drängen die Monopole auf „Bürokratieabbau“. Das hört sich ja erst mal nicht schlecht an …
Jeder würde applaudieren, wenn es wirklich um Abbau des Bürokratismus ginge! Unter dem Stichwort „Bürokratieabbau“ soll aber das Tariftreuegesetz abgesetzt und das deutsche Lieferkettengesetz storniert werden. Die Monopolkapitalisten meinen mit „Bürokratieabbau“: Weg mit Arbeiterrechten, Umweltschutzauflagen oder dem Kampf gegen die weltweite Ausbeutung von Kinderarbeit. Das ist für sie unnötiges Brimborium.
Neidisch schauen die deutschen Monopole nach China oder in die USA. Auch sie wollen durchregieren, ohne auf demokratische oder ökologische Prozeduren Rücksicht nehmen zu müssen. Konsequent zu Ende gedacht führen diese Ambitionen zu einer faschistischen Diktatur! Auch das ist kein Zufall, sondern entspringt den Erfordernissen des kapitalistischen Konkurrenzkampfs mit ihrem unerbittlichen Streben nach maximalem Profit und Beherrschung des Weltmarkts.
Wie konnte jemand wie Donald Trump die Wahl zum US-Präsidenten gewinnen?
Für viele Menschen in Deutschland ist es kaum nachvollziehbar, wie ein reaktionäres, rassistisches, faschistisches und frauenfeindliches Ekelpaket wie Trump erneut zum Präsident gewählt werden konnte. Um sich herum versammelt er ein Gruselkabinett an Erz-Militaristen, Multimilliardären, Rassisten, Impfgegnern und offenen Faschisten. Es spricht nicht gerade für die moralische Überlegenheit des US-Imperialismus, dass diese personifizierte spätimperialistische Dekadenz dort Spitzenpersonal ist. Erreicht hat Trump die hohen Zustimmungswerte nur mit übler Demagogie. Es ist ihm und seinem Vize J. D. Vance und Co. gelungen, sich in den Augen der Massen als Kämpfer für ihre sozialen Nöte darzustellen. Vance präsentierte sich gar als „Kämpfer für die Arbeiter“.
Trump hat geschickt die sozialen und wirtschaftlichen Fragen in den Mittelpunkt des Wahlkampfs gerückt. Er verband dies mit einer Welle des Chauvinismus und Antikommunismus. Ein Slogan von ihm war: „Ich beschütze euch!“ Ein erheblicher Teil der Arbeiter wählte ihn. 69 Prozent aller weißen Männer ohne Hochschulabschluss wählten Trump.
Im Wahlkampf von Kamala Harris spielte die erheblich verschärfte soziale Lage der Massen kaum eine Rolle. Dabei können in den USA 38 Millionen Menschen ihre Grundbedürfnisse nicht mehr befriedigen. Preise für Lebensmittel sind in den letzten Jahren um 50 Prozent in die Höhe geschnellt.
Der Faschismus ist zur Leitlinie des entscheidenden Teils des in den USA ansässigen alleinherrschenden internationalen Finanzkapitals geworden. Trump geht daran, systematisch den Übergang in eine faschistische Diktatur zu organisieren. Faschistische Ideologen wie Curtis Yarvin haben Hochkonjunktur, nach dem die USA wie von einem CEO eines Konzerns regiert werden müssten.
Das stellt die Revolutionäre und Arbeiterbewegung in den USA vor eine enorme Herausforderung. Es geht darum, eine antifaschistische Volksfront aufzubauen mit dem festen Kern einer proletarischen Einheitsfront. Sie muss den Widerstand gegen die Errichtung einer faschistischen Diktatur organisieren und braucht dazu die internationale Solidarität.
Welche Auswirkungen wird Trumps Präsidentschaft auf die Weltlage haben? Ist er der Friedensbringer, als der er sich verkauft?
Der Faschist Trump als US-Präsident verändert die weltpolitische Lage und heizt die faschistische Gefahr auf der ganzen Welt an. Seine Präsidentschaft ist Kampfansage für die Vorherrschaft des US-Imperialismus. Die neue US-Administration hat wenig Neigung, Rücksicht zu nehmen auf Verbündete, den Weltfrieden, die natürliche Umwelt oder die Klassenzusammenarbeit.
Mit der Wahl Trumps kulminiert offen die Strukturkrise der Neuorganisation der internationalen Produktion. Ein maßgeblicher Teil der Monopole in den USA und zunehmend auch anderswo setzt auf Abschottung, offenen Wirtschaftskrieg und internationale Vernichtungsschlacht. Das treibt den zwischenimperialistischen Konkurrenzkampf auf die Spitze. Gleichzeitig kann niemand die Internationalisierung der kapitalistischen Produktion rückgängig machen. So werden sich die kapitalistischen Krisen aufs Äußerste zuspitzen.
China wird sich die Kampfansage der USA nicht kampflos gefallen lassen. Die Weltkriegsgefahr wird sich dramatisch verschärfen. Inzwischen prallen in immer mehr kriegerischen Auseinandersetzungen imperialistische Lager aufeinander. Imperialismus führt gesetzmäßig zum Krieg. Und der Imperialismus ist heute an einem Punkt angekommen, an dem die verschobenen Kräfteverhältnisse letztlich nur noch durch einen Krieg ausgetragen werden können.
Neulich titelte „Die Welt“: „Niedergang der Wirtschaft“. Was hältst du von diesen bedrohlichen Szenarien?
Man darf sich von der Niedergangspropaganda der Monopole nicht ins Bockshorn jagen lassen. Klappern gehört bei denen zum Handwerk, erst recht in Zeiten von Tarifrunden. Es ist zwar Fakt, dass die deutsche Industrieproduktion seit 2018 um 15 Prozent zurückgegangen ist. In den Medien geistert aber die Zweckpropaganda von der „Deindustriealisierung“ umher. In Deutschland ist der Anteil der Industrie an der Bruttowertschöpfung mit mehr als 20 Prozent noch weit höher als in allen anderen größeren EU-Volkswirtschaften. Der Konkurrenzkampf um die Industrieproduktion tobt weltweit besonders scharf, da hier die Arbeiterklasse hochproduktiv den meisten Mehrwert und damit Profit schafft. Die deutsche Wirtschaft ist auch immerhin noch die drittstärkste der Welt. Militärisch und politisch hat sie ihre Führungsrolle in der EU sogar ausgebaut.
Die Propagandaschlacht der deutschen Monopole ist die Begleitmusik, um sich Vorteile zu verschaffen. Auch VW-Chef Blume drückt auf die Tränendrüse, „dass VW kräftig sparen muss, ist klar!“ Man könnte fast Mitleid mit dem größten deutschen Konzern bekommen. Tatsächlich macht VW bis heute Milliardengewinne. Immerhin waren es 1,58 Milliarden Euro allein im dritten Quartal 2024. Nur reicht ihnen das nicht aus. Sie können im heutigen Kapitalismus nur bestehen, wenn sie ihre beherrschende Stellung auf dem Weltmarkt verteidigen, ausbauen bzw. zurückerobern.
Die AfD erzählt, die Krise gäbe es, weil die Ampel „schlechte Politik“ macht. Ihr Nationalismus macht blind für jedweden ökonomischen Sachverstand! Erstens geht es um eine Weltwirtschafts- und Finanzkrise. Und zweitens rührt die aus der chronischen Überakkumulation des Kapitals und ist eine im Kapitalismus gesetzmäßige Überproduktionskrise. Sie hält jetzt schon das sechste Jahr an und wird sich weiter vertiefen. Das hat es in der Geschichte des Kapitalismus noch nicht gegeben! Sie ist verbunden mit den Strukturkrisen im Zusammenhang mit der Elektrifizierung der Antriebstechniken, der Digitalisierung und der Energiewende. Allein durch die Einführung der E-Mobilität in der Autoindustrie in Deutschland geht man davon aus, dass bis zu 40 Prozent der Arbeitsplätze in der Auto- und Zuliefererindustrie vernichtet werden. Die Monopole sind in diesem Umfeld immer weniger bereit, sich im Sinne der Klassenzusammenarbeitspolitik gegenüber den Arbeitern zurückzuhalten. Das zeigt den Irrsinn des Kapitalismus: Die Menschheit wird immer produktiver, die Krisen aber immer schlimmer. Wir brauchen eine weltweite hochdynamische und flexible Planwirtschaft zum Wohle der Menschheit und der Natur in vereinigten sozialistischen Staaten der Welt.
Warum tritt die MLPD als revolutionäre Partei bundesweit bei den Neuwahlen an?
In einer solch tiefen offenen politischen Krise sind wir es als Marxisten-Leninisten den Massen schuldig, eine revolutionäre und sozialistische Alternative aufzuzeigen. Wahlkämpfe in solch aufgewühlten Zeiten sind für uns eine außerordentlich gute Möglichkeit, Kräfte für den revolutionären Klassenkampf zu sammeln und die marxistisch-leninistischen Positionen bekannt zu machen.
Der Unmut über die Krisenerscheinungen und das Desaster der Ampel ist groß. Unsere Aufgabe ist es, von den Erscheinungen zum Wesen des Problems vorzudringen. Hinter allen gesellschaftlichen Problemen gilt es, die Gesetzmäßigkeiten des Kapitalismus herauszuarbeiten und eine angriffslustige Kapitalismuskritik zu entwickeln. Nur dann können die Leute verstehen, warum die Wahl egal welcher bürgerlichen Partei kein Problem löst. Nur dann können die Leute verstehen, dass es eine prinzipiell andere Gesellschaftsordnung braucht: den echten Sozialismus auf Grundlage der proletarischen Denkweise. Und nur dann wird der Sozialismus nicht als utopische Träumerei, sondern als notwendiger, aber auch wissenschaftlich möglicher nächster Schritt für die Menschheit klar. Denn im Problem lässt sich auch die Lösung auffinden. Es muss uns gelingen, in diesem Wahlkampf sehr grundsätzlich, tiefgehend und zugleich populär für den echten Sozialismus zu argumentieren.
Wir haben ein Programm, wie alle scheinbar unlösbaren Krisen gelöst werden können. Es gibt zu der vermeintlichen Alternativlosigkeit sehr wohl Alternativen! Diese müssen allerdings erkämpft werden und erfordern in der Gänze ein anderes Gesellschaftssystem.
Über die bürgerlichen Medien sind die Wahlen heute manipuliert wie selten in der Geschichte: Die MLPD kommt überhaupt nicht in den bürgerlichen Medien vor, während das BSW nur in den Medien existiert. In den Social Media entscheidet längst die Finanzkraft über die Reichweite einer Partei. Doch es wäre eine sektiererische Dummheit, die erweiterten demokratischen Rechte und Freiheiten im Vorfeld von Wahlen nicht zu nutzen.
Haben SPD und sogar CDU und AfD ihr Herz für die Arbeiterklasse entdeckt? Sie alle beziehen sich derzeit verstärkt auf die „arbeitende Bevölkerung“ und loben harte Arbeit, Fleiß und Leistungsbereitschaft.
Kein bisschen. Es sind Monopolparteien, die die Arbeiter nur als Teil ihrer Massenbasis benötigen. Natürlich weiß die herrschende Klasse, dass sie bei ihren imperialistischen Plänen auf die Arbeiter angewiesen ist. Zudem kriegen sie es mit der Angst zu tun angesichts der überdurchschnittlichen Abwendung der Arbeiter vom Kapitalismus. Wenn diese Herrschaften die hart arbeitende Klasse loben, dann nur, um zu erreichen, dass sie sich möglichst bis in alle Ewigkeit ausbeuten lassen soll. Von einer kämpfenden Arbeiterklasse halten sie natürlich allesamt überhaupt nichts.
Die faschistische AfD konnte unter Arbeitern Einfluss gewinnen und zersetzt ihr Klassenbewusstsein. Es lohnt sich, bei diesen Demagogen genauer hinzuhören: Wenn die Faschisten die „deutsche Wirtschaft“ zu einem neuen Aufschwung bringen wollen, sprechen sie von der kapitalistischen Wirtschaft. Sie propagieren eine völkische Klassenzusammenarbeit. Die gescheiterte Klassenzusammenarbeit soll in der deutsch-nationalen Variante wieder aufgewärmt werden. Die meisten Arbeiter sind unzufrieden mit der heute herrschenden Klasse. Und nun will die AfD ihnen weismachen, sie sollen sich mit den deutschen Wirtschaftsbossen verbünden? Aber auch die AfD kann die Tendenz der Abnutzung der Klassenzusammenarbeitspolitik nicht willkürlich aufheben.
Die MLPD verfolgt mit ihren Betriebsgruppen einen anderen Kurs. Denn in den Betrieben verschärfen sich die Klassenwidersprüche erheblich. Immer mehr Konzerne kündigen Massenentlassungen und Werksschließungen an. Der Pilotabschluss in der Metalltarifrunde ist ein oberfauler Kompromiss. 2,3 Prozent Lohnerhöhung im Jahr – das bedeutet Reallohnverlust. Immerhin sind seit September über 700 000 Industriearbeiter in den Protest getreten. Das war meist sehr kämpferisch. Oft verbanden sich gewerkschaftliche Aktionen mit selbstständigen Elementen, bis zu selbstständigen Warnstreiks.
Das internationale Industrieproletariat greift stärker in den politischen Gärungsprozess ein. Sicher werden Monopole, Reformisten und Regierung versuchen, Arbeiterkämpfe im Wahlkampf auszubremsen beziehungsweise möglichst ganz zu vermeiden.
Bei den bisherigen Kämpfen stehen unsere Betriebsgruppen vornedran. Sie stehen vor einer Bewährungsprobe. Es gilt, in Krisenzeiten Kämpfe vorzubereiten, auszulösen, zu führen und höherzuentwickeln. Mit der offenen Krise der Klassenzusammenarbeit geht die Zeit schwanger mit selbständigen Streiks und Massenkämpfen. Wichtig ist, eine positive Gewerkschaftsarbeit zu machen, ohne sich auf gewerkschaftliche Kämpfe zu beschränken.
Wir werden also den Wahlkampf besonders auf die Industriearbeiterschaft ausrichten, ohne die sozialen Fragen und die Kämpfe der breiten Massen zu vernachlässigen.
Welche Rolle wird die antifaschistische Arbeit im Wahlkampf der MLPD spielen?
Im antifaschistischen Kampf ist die Schmiedung einer breiten Einheitsfront an der Tagesordnung mit den Arbeitern an der Spitze. Das hat strategische Bedeutung – und damit auch das Internationalistische Bündnis. Ebenso, dass wir unsere Bündnisarbeit deutlich verbreitern. Die MLPD hat hier ein besonderes Profil. Wir sind die einzige Partei in Deutschland, die einen klaren Kurs gegen die globale faschistische Gefahr fährt. Der antifaschistische Kampf muss alle Felder der Kleinarbeit durchdringen. Zum Beispiel kann man heute keine Umweltpolitik machen, ohne die faschistischen Klimaleugner zu attackieren.
Wir werden dabei auch argumentieren gegen die chauvinistische Losung „Deutschland zuerst“. Die Internationalisierung der Produktion ist ein Fortschritt. Das Problem liegt im imperialistischen Konkurrenzprinzip. „Deutschland zuerst“ bedeutet nur, dass das deutsche Kapital den meisten Honig daraus ziehen will. Wir kämpfen für den proletarischen Internationalismus. Im Sozialismus arbeiten die Völker der Welt zum gegenseitigen Nutzen und in Einheit mit der Natur international zusammen. Ungerechte Kriege wird es dann nicht mehr geben. Dafür muss aber zunächst jede Arbeiterklasse mit dem allein herrschenden Finanzkapital fertig werden, das ihr als Ausbeuter und Unterdrücker gegenübersteht. Wir werden deshalb auch den engen Zusammenschluss der Arbeiter und Revolutionäre der Welt weiter forcieren. Diesbezüglich sind wir mit der 5. Weltkonferenz der ICOR und dem Lenin-Seminar deutlich vorangekommen.
Wenn in Deutschland Wahlen sind, wird stets das Märchen aufgewärmt, dass alle Macht vom Volke ausginge. Was habt ihr dem entgegenzusetzen?
Egal wen du wählst: Die Diktatur der Monopole bleibt bestehen. Wer ist überhaupt das Volk? Die Bevölkerung teilt sich in zwei Klassen. Und die arbeitende Klasse hat keinerlei politische Macht. Eine Mehrheit ist für das Neun-Euro-Ticket – es wurde dennoch abgeschafft. Eine Mehrheit kritisiert die Politik Israels in Gaza – und trotzdem unterstützt die Regierung den Völkermord. Eine Mehrheit ist gegen die Schere zwischen Arm und Reich – doch sie wird immer größer. Im Kapitalismus der BRD wird die Regierung immer Dienstleister der Monopole sein und der Staat immer Instrument zur Unterdrückung der Arbeiterklasse. Will die Arbeiterklasse das ändern, hilft kein Gang zur Wahlurne, sondern nur eine revolutionäre Umwälzung. Wir haben die wichtige Aufgabe, den Leuten zu helfen, mit kleinbürgerlich-parlamentarischen Illusionen fertigzuwerden. Wir werden hart um jede Stimme kämpfen, denn: Die Wahl der MLPD ist eine Entscheidung für eine revolutionäre Arbeiterpartei. Es stärkt die sozialistische Alternative in der Öffentlichkeit. Es ist ein Schritt zur Entscheidung, selbst aktiv an der sozialistischen Bewegung teilzunehmen. Am besten als Mitglied im Jugendverband REBELL oder in der MLPD.
Welche Rolle wird im Wahlkampf das neue Buch zur Krise der bürgerlichen Gesellschaftswissenschaften, der Religion und der Kultur spielen?
Die Arbeit mit dem REVOLUTIONÄREN WEG hat in der Partei einen deutlich höheren Stellenwert bekommen. Wir konnten die Verdrängung der weltanschaulichen Seite immer besser überwinden. Wir müssen es aber noch lernen, das in eine populäre Agitation und Propaganda zu transformieren. Mit der Behandlung von Religion über Pädagogik bis zur Kultur ist das Buch eine Anleitung, Alltagsfragen der Massen tiefgründig zu behandeln. Die Buchreihe zur Krise der bürgerlichen Ideologie wird uns weltanschaulich ein sicherer Kompass sein, die herausfordernde Zeit zu bewältigen. Deshalb nutzen wir die Wahlen für breite Werbung und Verkauf dieser Bücher.
Auf was dürfen wir uns beim Winterwahlkampf der MLPD einstellen?
Wir werden uns auf diesen bedeutenden Wahlkampf voll konzentrieren. Zunächst ist nun eine große Herausforderung, in kürzester Zeit die Wahlzulassung der Partei in allen 16 Bundesländern und von zahlreichen Direktkandidaten durchzukämpfen. Der Nachweis, dass die heutige Krise eine gesetzmäßige Folge des kapitalistischen Systems ist, wird in der Bewegung für ein neues Ansehen des echten Sozialismus auf Grundlage der proletarischen Denkweise münden. Das wird sich auch darin ausdrücken, die sozialistische Jugendbewegung zu fördern. Wir werden auch einen besonderen Jugendwahlkampf machen und der REBELL wird an Profil gewinnen. Wir werden revolutionäre Arbeiterpolitik als Gegenpol zu Ampel-Regierung, Rechtsentwicklung und Faschismus verfechten. Wir werden die existenziellen Menschheitsprobleme beim Namen nennen, sei es die Weltkriegsgefahr, die globale Umweltkatastrophe oder die faschistische Gefahr.
Wir werden die Monopole ins Visier nehmen. Wir werden uns nicht auf Öffentlichkeitsarbeit beschränken, sondern fördern selbstständige und gewerkschaftliche Kämpfe. In den Wohngebieten, an den Unis und in den Betrieben werden wir unseren Forderungskatalog zum Kampf gegen die Armut und für die sozialen Fragen der Massen vertreten. Nicht zuletzt werden wir uns als Partei der Befreiung der Frau verankern.
Die gesellschaftlichen Aufgaben, die vor uns stehen, können wir niemals allein bewältigen. Wir müssen deshalb viel mehr investieren in die Förderung überparteilicher Selbstorganisationen der Massen. Sie gewinnen an Bedeutung! Sie sind eine selbstständige Kraft für ihre selbst gesetzten Ziele im Kampf um die Befreiung der Frau, für die internationale Solidarität, die Interessen der Massen in den Kommunen oder für die Rettung der Umwelt und gegen die faschistischen Klimaleugner.
Am wichtigsten ist, wie gearbeitet wird. Die Ausbildung von immer mehr Leuten muss qualitativ besser werden! Wir müssen alles daran setzen, neue Kräfte zu gewinnen und immer neue Leute zur organisierten politischen Arbeit heranzuziehen. Im Februar werden wir in die Vollen gehen mit einem intensiven Straßenwahlkampf.
Ich bedanke mich jetzt schon bei allen für den außerordentlichen Einsatz in diesen Wochen und bin sicher, dass wir uns daran stärken werden!
Vielen Dank für das Interview und viel Erfolg!