Leserbrief

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"Man kann doch Pflegeheime nicht undifferenziert ablehnen"

Der folgende Leserbrief zu den Korrespondenzen zum Thema Pflege, "Das ist weder angemessen noch menschenwürdig" und "Altenpflege: Geschönte Werbebilder und die Realität", die in der "Roten Fahne" Nr. 22/2024 erschienen sind, erreichte die Redaktion:

Von einer Korrespondentin
"Man kann doch Pflegeheime nicht undifferenziert ablehnen"
(foto: Andreas Bohnenstengel (CC BY-SA 3.0.de))

Liebe Genossen, liest man die Artikel in der Roten Fahne 22 / 2024 zum Thema Altenpflege, dann hat man das Gefühl, dass das Pflegeheim so ziemlich das Schlimmste ist, was man seinen Eltern antun kann. Und tatsächlich müssen sich Pflegebedürftige und ihre Familien erst einmal durch das Gefühl durchkämpfen, dass der Umzug in ein Pflegeheim bedeutet, dass die betroffenen Eltern unsolidarisch „abgeschoben“ werden. 

 

Es ist schon nötig, mithilfe der dialektischen Methode eine differenzierte Position zum Thema Altenpflege einzunehmen. Zunächst einmal ist es ein gesellschaftlicher Fortschritt, dass es Pflegeheime gibt, ein Zugeständnis an die Arbeiter- und Volksbewegung in ihrem Kampf um soziale Rechte innerhalb des kapitalistischen Gesellschaftssystems. 

 

Nicht jedes Pflegeheim ist so, wie es in dem Artikel „Das ist weder angemessen noch menschenwürdig …“ beschrieben ist. Meine Schwiegermutter, die schwer krank ist, ist letzte Woche in ein Pflegeheim in Gelsenkirchen gezogen. Es war ein schwerer Schritt für sie und für uns, weil damit ja wirklich auch große Einschnitte in ein selbständiges Leben stattfinden. Bereits nach fünf Tagen konnten wir feststellen, dass es ihr im Heim viel besser geht als zu Hause: die geordnete Struktur, das regelmäßige Essen, sehr nette Mitarbeiter, andere Leute um sich herum zu haben, ein Programm mit gemeinsamem Lesen der Zeitung, Lieder singen, Gedächtnisübungen. Hausarzt und Friseur kamen schon in der ersten Woche vorbei. Vor allem nicht mehr die Last zu haben, alles organisieren zu müssen und einen Haushalt zu verwalten. Sich konzentrieren können auf seine Gesundheit und auf das, was Wesentlich ist.

 

Die andere Seite ist, dass die Pflegeheime im Kapitalismus, genauso wie das ganze Gesundheitssystem, der Profitwirtschaft des Industrie- und Finanzkapitals, sowie ihrem Staat unterworfen sind. In den Heimen wird die Ausbeutungsschraube genauso wie in den Industriebetrieben immer stärker angezogen. Leidtragende sind die Pflegekräfte und die Masse der Patienten, und tatsächlich gibt es auch solche Auswüchse, wie sie in dem Artikel aus Tübingen beschrieben sind. Staat und Pflegekonzerne nutzen die Pflegeheime, um werktätige Menschen regelrecht zu enteignen. Alles, was sich jemand ein Leben lang erarbeitet und erspart hat, wird bei sehr vielen durch die teuren Kosten in kurzer Zeit aufgefressen. In NRW kostet ein Platz im Pflegeheim bei Pflegestufe 2 die Patienten 3580 Euro Eigenleistung. Wer hat schon so eine hohe Rente? In kürzester Zeit ist das Sparbuch futsch, kommen ganze Häuser unter den Hammer. Das ist entwürdigend und unverschämt. Das hindert manche Familien vor dem nötigen Schritt ins Heim.

 

Doch was ist jetzt die Lösung dieses Widerspruchs? Zurück zur bäuerlichen Großfamilie – wo sich die Frau im Haus aufopfert, um die Kinder und die Großeltern zu versorgen und zu pflegen? Das wäre Unterordnung unter die bürgerliche Familienordnung des Kapitalismus, der die Verantwortung für die Reproduktion des menschlichen Lebens auf die Familien und besonders die Frauen abwälzt. Die Lösung des Widerspruchs liegt in einer neuen, höheren, sozialistischen Familienordnung, in der die Gesellschaft voll die Verantwortung für die Kinder und die Alten und Pflegebedürftigen übernimmt. Wo das gesamte Gesundheitssystem für die Betroffenen kostenlos ist – also auch die Pflege. Wo Pflegekräfte, Familie und Gesellschaft zusammenarbeiten, um den alten Menschen ein menschenwürdiges Leben und soweit es ihre Kräfte erlauben, ein Mitgestalten der Gesellschaft zu ermöglichen. 

 

Im Sozialismus würden unsere Pflegeheime auch nochmal ganz anders aussehen als die guten Pflegeheime, die es auch heute schon gibt. Mehr Platz und Möglichkeit, seine Sachen mitzunehmen und seine Persönlichkeit zu wahren. Förderung der gesundheitlichen, kulturellen, sportlichen und geistigen Fähigkeiten. Einbeziehung von Kindern und Jugendlichen unter der Leitlinie: „Dem Volke dienen“ und die Möglichkeit, dass die „Alten“ all ihre Erfahrungen und ihr Können an die Jugend weitergeben können. 

 

Wir wollen das Rad der Geschichte nach vorne drehen – also kämpfen wir für bessere soziale Rechte und für die Befreiung des Pflegewesens von der Profitwirtschaft! Für pflegebedürftige Revolutionäre ist es deshalb ein Grundanliegen, dass sich ihre Kinder nicht in einer privaten Pflege aufreiben, sondern dass sie am Klassenkampf teilnehmen und alles dafür tun, dass der Traum vom Sozialismus Wirklichkeit wird.

Antwort der Redaktion:

... Vielen Dank für die brechtigte Kritik. Bei aller notwendigen Kritik am heutigen kapitalistisch organisierten Pflegesystem müssen wir uns vor Schwarzmalerei hüten. Stattdessen legten Artikel nahe, dass es generell falsch wäre, heute in ein Pflegeheim zu gehen. Das gibt der bürgerlichen Vorstellung Spielraum, das müsse und könne alles in der Familie gelöst werden.