Frauenpolitischer Ratschlag
Kämpferische Demo, streitbarer Diskurs, praktische Solidarität und Organisiertheit!
Der zweite Tag des 13. Frauenpolitischen Ratschlags begann mit einer Demonstration voller internationaler Frauenpower durch die Kassler Innenstadt.
"Nur organisiert sind wir stärker als die Kapitalisten"
Unter dem Motto "Kämpferisch, solidarisch, international - Frauenpower von Religion bis Revolution" ziehen am 2. November 500 Frauen und etliche Männer durch die Kasseler Innenstadt, begleitet von einer lautstarken Trommlergruppe. Frauen und Mädchen werden herzlich zum 13. Frauenpolitischen Ratschlag eingeladen - viele nehmen interessiert den Flyer. Bei der Auftaktkundgebung begrüßen Vertreterinnen des Kämpferischen Frauenrats und des Bundesvorstands von Courage die teilnehmenden Frauen aus vielen Ländern von Afghanistan bis Westsahara. Ver.di-Frauen, darunter Erzieherinnen, Krankenschwestern und Standesbeamtinnen, überbringen das Grußwort der stellvertretenden Vorsitzenden des DGB, Elke Hannack. Darin heißt es: "Patriarchale Denkmuster sind mit voller Wucht zurückgekehrt. Rechte Parteien gewinnen an Zuspruch und Zulauf, stellen frauenpolitische Errungenschaften ...offen zur Disposition und treiben antifeministisches Gedankengut als eine Konstante rechter Ideologien über digitale Kanäle massiv voran. Wir Gewerkschaftsfrauen stehen für das genaue Gegenteil!"
"Free, Free Palästine" schallte immer wieder durch die Straßen Kassels. Beiträge vom Jugendverband REBELL und von Frauen aus Palästina verurteilen den Völkermord in Gaza und die zunehmend reaktionäre Flüchtlingspolitik der deutschen Bundesregierung. Frauen aus dem Iran sprechen über die zunehmende Unterdrückung der Frauen dort. Trotz Repression weichen sie keinen Schritt zurück. Eine Vertreterin des Frauenhauses Kassel ruft zur Solidarität mit den Frauen in Afghanistan auf. Arbeiterinnen von VW prangern die geplante massenhafte Arbeitsplatzvernichtung und Lohnkürzungen an und fordern: "Wir müssen kämpfen - alle zusammen!""
Zum Schluss kommen die Co-Präsidentinnen der United Front zu Wort, Edith Luz und Monika Gärtner-Engel. Sie fordern dazu auf, sich zu organisieren. "Um dauerhaft und nachhaltig die Welt zu verändern, brauchen wir dauerhafte Organisationsformen der verschiedenen Kräfte in der kämpferischen Frauenbewegung. Das ist der überparteiliche Gedanke - denn nur gemeinsam sind wir stärker als die Kapitalisten."
Der Knaller: Der Spendenstand "Gaza muss leben"
In der Pause zwischen Demo und Foren gibt es Gelegenheit, mit einigen Teilnehmerinnen und Aktivistinnen zu sprechen. Eine der Moderatorinnen der gestrigen "Reise zu den Frauen der Welt" fasst ihre Eindrücke und Überlegungen zusammen: "Am Ende haben sich alle Anstrengungen gelohnt. Die der Partnerinnen der Gastfrauen, die Gastfrauen selbst, die Frauen, die beim Schreiben und Gestalten der Länderberichte geholfen haben und schließlich die Frauen, die alles lebendig vorgetragen haben - es kam ein total beeindruckendes Bild vom Leben und den Kämpfen der Frauen in den 17 Brennpunktländern zustande." Siehe auch: Reise zu den Frauen der Welt mit Tief- und Weitblick
"Wir mussten schon neue Tische organisieren, weil unser Spendenstand aus allen Nähten platzt", so eine der Aktivistinnen der Courage-Gruppe Gelsenkirchen, die den Spendenstand "Gaza muss leben" organisieren. Unentwegt geben Teilnehmerinnen des Ratschlags neue Sachspenden ab, die am Stand verkauft bzw. gegen Spenden abgegeben werden. "Wir haben schon Berge von selbstgestrickten Socken verkauft, Olivenöle, Marmeladen, Postkarten ... Die notwendige Soforthilfe für die Menschen in Gaza bewegt alle Teilnehmerinnen des Ratschlags. Eine hervorragende Initiative der praktischen Solidarität - ein Markenzeichen des Frauenpolitischen Ratschlags."
Ab 13 Uhr fanden zehn Foren zu brennenden gesellschaftlichen Fragen statt, mit denen die kämpferische Frauenbewegung sich auseinandersetzt.
Forum "Frauen, Flucht, Freiheit - ein Traum?"
Über 50 Teilnehmerinnen besuchten dieses Forum, das von Zaman Masudi und Frauen aus Hamburg geleitet wurde. Es richtete den Blick auf die Gesamtsituation der durch die Konflikte in der Welt steigenden Flüchtlingszahlen und die zunehmende Entrechtung der Flüchtlinge in Deutschland. Frauen kommen oft aus frauenspezifischen Fluchtgründen: Drohende Ehrenmorde, Zwangsheirat, Genitalverstümmelung, häusliche Gewalt und ähnliches. In der Flucht nach Deutschland sehen sie eine Chance, sich aus der traditionellen Geschlechterrolle zu befreien. 30 bis 40 Prozent der Asylbewerberinnen haben Arbeit. Aber viele durchlaufen das Hin und Her des Prozesses für Aufenthalt und Anerkennung, und scheitern am Ende doch. Besonders aufwühlend waren persönliche Berichte von Frauen aus Iran und Afghanistan. Darunter eine der ersten Fußballspielerinnen der afghanischen Frauenfußballmannschaft. Sie deckte sexuellen Missbrauch und Korruption im afghanischen Fußballverband auf, wurde als Profispielerin entlassen und floh nach Deutschland. In diesem Kampf war sie mehrfach in Lebensgefahr und musste erleben, wie eine Freundin und Mitspielerin durch "Ehrenmord" bestialisch hingerichtet wurde.
Forum " Befreiung der Frau in einer befreiten Gesellschaft - Perspektive Sozialismus?"
Nach einem Film über die Entwicklung der weltweiten kämpferischen Frauenbewegung halten drei Frauen Impulsbeiträge: Selma von der Plattform internationaler Arbeiterinnen, Gabi Fechtner, die Vorsitzende der MLPD und eine junge Industriearbeiterin und Rebellin. Sie legen dar, wie im Kapitalismus die bürgerliche Staats- und Familienordnung und die Profitwirtschaft zwei Seiten einer Medaille bilden. Aufgaben, die ganz klar gesellschaftlich gelöst werden müssten wie Kindererziehung, tägliche Wiederherstellung der Arbeitskraft, Pflege von Kranken ... werden im Kapitalismus auf die private Einzelfamilie abgewälzt. Bereits in der sozialistischen Sowjetunion und im sozialistischen China wurden in dieser Hinsicht gewaltige Fortschritte erreicht. Was wäre da erst mit den heute entwickelten Produktivkräften in einer sozialistischen Gesellschaft möglich! Gabi Fechtner zeichnet ein lebendiges Bild vom Leben im Sozialismus: Da wird z. B. Kochen zum schönen Hobby, weil alle Familienmitglieder gutes kostenloses Kantinen- und Schulessen bekommen. Es entfaltet sich eine lebhafte Diskussion. Offensichtlich brennt den Teilnehmerinnen auf den Nägeln, sich über die Vision einer sozialistischen Gesellschaft und wie sie erkämpft werden kann, auszutauschen. Besonders wichtig war den Teilnehmerinnen des Forums, dass im Sozialismus der Kampf fortgesetzt werden muss, der Kampf gegen überkommene Traditionen, der Kampf in den Köpfen. Auf einem "heißen Stuhl" konnten Einwände und Bedenken zum Sozialismus vorgebrahct werden, die dann sachlich im Plenum diskutiert wurden. Eine Frau kritisierte, dass man nicht so schwierige Begriffe wie Sozialismus und Kommunismus verwenden soll. Gutes Argument: Beim Arztbesuch sagt man sicher erstmal: "Mir tut das Bein weh". Dann aber bedarf es einer Diagnose und die Krankheit auf den Begriff zu bringen, um sie behandeln zu können.
Forum "Du bist queer? - na und! Über die Diskriminierung von Frauen aus einer anderen Perspektive"
Zwei absolute Fachfrauen, Rita Nowak aus Recklinghausen und die Berliner Transsexuellenbeauftragte führten in das Thema ein. Wichtige Fragen waren: Was macht eine Frau überhaupt aus? Sind es die biologischen Voraussetzungen, die Hormone oder die gesellschaftlichen Prägungen? Darüber entfaltete sich eine sehr interessante Diskussion. Die Teilnehmerinnen begrüßten sehr, dass ein Teil der queeren Community Teil der kämpferischen Frauenbewegung ist anstatt sich separatistisch nur mit den eigenen Problemen zu beschäftigen. Es ist auch eine Frage der Solidarität in der Frauenbewegung, die Unterdrückung der Transfrauen gemeinsam zu bekämpfen. Im zweiten Teil des Forums diskutieren wir jetzt, wie eine Gesellschaft aussehen muss, in der die Diskriminierung und sexuelle Unterdrückung der Frauen und besonders der Transfrauen überwunden werden.
Forum "Mutig, selbstbewusst, organisiert - mach mit im Forum der jungen Frauen und Mädchen!"
Dabei waren bis zu 28 Teilnehmerinnen, vor allem aus Deutschland, Polen und Nepal. Zora sprach über die zunehmenden Feminizide in Deutschland. In Polen haben sich viele Frauen an der Massenbewegung gegen das Abtreibungsverbot geführt. Aber weil diese bisher nicht erfolgreich war, haben sich viele enttäuscht zurückgezogen. Eine Auszubildende berichtete von der doppelten Ausbeutung und Unterdrückung im Betrieb und dass es unter den Azubis eine große Bereitschaft gibt, in der Tarifrunde zu kämpfen. Anna Schmit von der Verbandsleitung des REBELL sprach zur Perspektive des Sozialismus und zur Notwendigkeit, sich zu organisieren. In der Diskussion berieten die Teilnehmerinnen vor allem, wie man junge Frauen mobilisiert, sich genau für diesen Schritt zu entscheiden. Zur Frage, was dieser Organisierung entgegensteht, berichtete Durga Paudel aus Nepal, dass die Frauen und Mädchen dort oft noch einen individuellen Ausweg suchen, unter anderem, um ihr Glück im Ausland zu finden. In Polen hat die katholische Kirche einen großen Einfluss. Eine wichtige Schlussfolgerung war, dass sich die Frauen- und die Jugendbewegung mehr gegenseitig unterstützen müssen.
Forum Frauen für Frieden, gegen Faschismus und Krieg
Das Forum ist mit fast 80 Teilnehmerinnen sehr gut besucht, unter anderem jüngere Frauen und sehr viele Migrantinnen. Es wurde vom Bundesvorstand von Courage und der Courage-Gruppe Hannover geleitet. Es gab Impulsbeiträge unter anderem von einer Frau aus der kirchlichen Friedensbewegung aus Magdeburg sowie einer Migrantin zu Palästina. Die Diskussion war sehr lebhaft, mit bewegenden Beiträgen zu Erfahrungen in Kriegsgebieten, zur Unterdrückung von Frauen und zu sexistischer Diskriminierung. Weiter beraten werden soll insbesondere auch der breite Zusammenschluss verschiedener Kräfte im Kampf für Frieden, Faschismus und Krieg.
Forum "Die Rolle der Bergarbeiterfrauen als Teil der internationalen Frauen- und Umweltbewegung"
Hier ging es vor allem um die nicht zu unterschätzende Bedeutung der Bergarbeiterfrauenbewegung in Deutschland und auf der ganzen Welt. Nach einem richtungsweisenden Einleitungsbeitrag erarbeiteten sich die Teilnehmerinnen in der Diskussion die verschiedenen Seiten dieser Bedeutung. Sie steht dafür ein, dass der Kampf um Arbeitsplätze, Arbeits- und Lebensbedingungen Hand in Hand mit dem Kampf um den Schutz der Lebensgrundlagen gehen muss. Die Bergarbeiterfrauen, und überhaupt die Arbeiterfrauen spüren im Alltag immer mehr, dass es so nicht weitergehen kann. Ein Highlight war die Videogrußbotschaft von Heather, einer Bergarbeiterfrau aus Großbritannien. Sie schilderte, wie sie selbst mit der solidarischen Tradition und Kultur der Bergleute in ihrer Kohleregion aufwuchs. Im ein Jahr lang dauernden Bergarbeiterstreik 1984 organisierten die Bergarbeiterfrauen federführend die Solidarität. Dabei wuchsen sie über sich hinaus und veränderten sich nicht selten für ihr ganzes Leben. Heather hat es sich zur Lebensaufgabe gemacht, die Bergarbeiterbewegung lebendig zu erhalten und den internationalen Zusammenschluss der Bergarbeiterfrauen voranzubringen. Dem soll unter anderem das Projekt eines länderübergreifend gemeinsam erstellten Transparents für die nächste Internationale Bergarbeiterkonferenz und Weltfrauenkonferenz dienen. Leider kann sie aus gesundheitlichen Gründen nicht selbst am Frauenpolitischen Ratschlag teilnehmen.
Morgen berichten wir über die weiteren Foren. Heute Abend feiert der Ratschlag, u.a. mit einem tollen Mitbringbüffet und dem Songcontest, vorbereitet vom REBELL. Und hier geht es zum Programm vom morgigen Sonntag. Interessierte können jederzeit noch dazukommen!