Wie ist diese Wahl einzuschätzen?

Wie ist diese Wahl einzuschätzen?

Präsidentschaftswahlen in Tunesien

Am 7. Oktober 2024 waren Präsidentschaftswahlen in Tunesien. Qais Saeed ist alter und neuer Präsident. Mit 2,4 Mio Stimmen hat er 90,69% der Stimmen erhalten.

Korrespondenz
  1. Die Wahlbeteiligung lag bei nur 29%. Die Wahlbehörde analysierte, dass nur 6% der Wähler unter 35 Jahren überhaupt ihre Stimme abgegeben haben. Das ist Ausdruck eines Vertrauensverlustes in den bürgerlichen Parlamentarismus unter Tunesiens Bevölkerung, besonders der Jugend. Außerdem riefen revisionistische und islamistische Kräfte zum Wahlboykott auf.
  2. Die Rolle Saeeds ist differenziert zu beurteilen. In der bürgerlichen Berichterstattung in Deutschland wird lediglich von „der Opposition“ gegen ihn berichtet, wie bspw. die Tagesschau, die Yusra Ghannouchi zitiert. Was ist das aber für eine Opposition? Es ist die „Opposition“ der islamistischen Ennahda-Partei, tunesischer Ableger der reaktionären islamistischen Muslimbruderschaft (die ihren Ursprung in Ägypten hat und auch die Hamas fördert). Saeed hat seine Präsidentschaft genutzt, um gegen die Islamisten und besonders die ultrareaktionäre Ennahda-Partei vorzugehen, was ihm viel Sympathie unter der Bevölkerung eingebracht hat.
  3. Die FAZ vom 9.10. beschwert sich: „(Saeed) wettert gegen Korruption und das „Diktat“ internationaler Geldgeber. Der IWF sei zu einem Schimpfwort (…) geworden. (…) Vor schmerzhaften Reformen schreckt der Präsident jedoch zurück.“ Langsam wird deutlich, woher der Wind weht! Die europäischen Imperialisten stört es, dass Saeed Tunesien nicht ohne zu Zögern den Unterdrückungsmechanismen des internationalen Finanzkapitals unterwirft. Das muss man würdigen. Er steht für eine „Diversifizierung“ der Beziehungen, was de facto eine tendenzielle Abwendung von den europäischen Imperialisten hin zu neuimperialistischen Kräften ist. So waren zur Präsidentschaftswahl russische Wahlbeobachter eingeladen, denen aus der EU wurde die Einreise verwehrt. Er reiste nach China und Iran, empfing Putin in Tunesien. Die EU hat (begründete) Angst, dass ihnen in Tunesien die Felle davon schwimmen.
  4. Trotzdem darf man sich natürlich keine falschen Hoffnungen machen, auch, wenn Saeed von der „Vollendung der Revolution“ spricht. Er bleibt ein Vertreter des bürgerlichen Parlamentarismus. Seine rassistischen Äußerungen und Hetze gegen schwarzen Flüchtlingen gegenüber haben zurecht Empörung in Tunesien hervorgebracht. Die Arbeiter und breiten Massen in Tunesien müssen auf ihre eigene Kraft vertrauen und das Heft in ihre Hand nehmen.