Gelsenkirchen

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„Heute trifft Wissenschaft auf Alltagstauglichkeit und Lebensfragen“

So umriss Gabi Fechtner, Parteivorsitzende der MLPD, am 13. Oktober in Gelsenkirchen eine wichtige Seite der Vorstellung des neuen Buchs „Die Krise der bürgerlichen Gesellschaftswissenschaften, der Religion und der Kultur“. Es ist der vierte Band der Buchreihe "Die Krise der bürgerlichen Ideologie und die Lehre von der Denkweise". Vorgestellt wurde es kompetent von den beiden Autoren Stefan Engel und Monika Gärtner-Engel – umrahmt von Liedern der Band „Gehörwäsche“ und leckerem Sonntagsessen.

Von RF-Redaktion
„Heute trifft Wissenschaft auf Alltagstauglichkeit und Lebensfragen“
Vollbesetzter Saal in der "Horster Mitte" (Foto: RF)

Fast 400 Teilnehmerinnen und Teilnehmer lauschten gespannt ihrem Vortrag. Über 20 von ihnen beteiligten sich an der anschließenden vielseitigen Diskussion. Nach dem Lied „Lob des Lernens“ von Bertolt Brecht ging es los mit der Frage, warum jetzt gerade dieses Buch erscheint.

Befreiung von geistigen Fesseln

Dazu führte Monika Gärtner-Engel aus: „Auch ohne dass wir geschwollene Texte bürgerlicher Philosophen lesen, werden wir unweigerlich auf Schritt und Tritt mit der bürgerlichen Weltanschauung konfrontiert und von ihr beeinflusst. Eine ideologiefreie Gesellschaft gibt es nicht – das haben wir bereits im Band I unserer Buchreihe geklärt. Es gibt keine erfolgreiche Revolution ohne einen Sieg im weltanschaulichen Kampf, der jeder Revolution voraus geht. Deshalb widmen wir uns mit der Buchreihe ‚Die Krise der bürgerlichen Ideologie und die Lehre von der Denkweise‘ seit nunmehr vier Jahren wesentlichen Seiten der bürgerlichen Ideologie.“


Dass das neue Buch gerade mit der dialektisch-materialistischen Religionskritik beginnt, erläuterte sie so: „Dieser Teil bedeutet keineswegs eine Attacke gegen gläubige Menschen. Im Gegenteil zielt seit Karl Marx jede dialektische Religionskritik auf die Befreiung von geistigen Fesseln; von religiös begründeten Ängsten und jedem Versuch, den Ausgebeuteten und Unterdrückten mithilfe von Religion Ohnmachtsgefühle und Selbstzweifel einzuimpfen.“

 

Die monotheistischen Religionen mit nur einem Gott wurden zur religiösen Grundlage der feudalen und dann der bürgerlichen Klassengesellschaften. Monika Gärtner-Engel zitierte dazu aus dem Buch: "Die Religion verkörpert in ihren verschiedenen Ausprägungen bis heute wesentlich weltanschaulichen Idealismus, nach dem Ideen die Geschichte schreiben würden." Wenn aber Ideen die Geschichte schreiben, dann braucht es auch keine kämpfenden Sklaven, Bauern oder Arbeiter. Es folgte eine kurze Darlegung der Entstehung der Religionen und der Ursachen ihrer heutigen Krise mit der Entstehung der Arbeiterbewegung und ihrer dialektisch-materialistischen Weltanschauung.


Dass das alles andere als eine Diskussion im Elfenbeinturm ist, zeigt die heutige Renaissance des religiösen Fundamentalismus, der als Rechtfertigung für Donald Trumps faschistische Pläne in den USA, islamistisch-faschistische Anschläge und den Völkermord in Gaza herhalten muss. Ihre Renaissance zementiert wie die Religion insgesamt die bürgerliche Herrschaft.

Wie erziehen wir unsere Jugend?

Spannend und lebensnah wurde es auch bei der Vorstellung der Auseinandersetzung mit der bürgerlichen Sozialpädagogik. Nahm sie bei ihrer Entstehung noch eine fortschrittliche Rolle gegenüber dem Feudalismus ein, wurde sie in der Reaktion auf die entstandene revolutionäre Bewegung zu einer „wesentlichen Stütze der bürgerlichen und kleinbürgerlichen Prägung der Jugend“.


Dazu Monika Gärtner-Engel: „Ich beobachte auch, dass Genossinnen und Genossen oft - auch aus schlechtem Gewissen – ihre Kinder verwöhnen oder Kollegen unter dem Motto ‚Mein Kind soll es besser haben‘ sie unbedingt auf die Uni schicken wollen. Aber warum soll denn Studieren ‚etwas Besseres‘ sein? Und warum soll es nur das eigene Kind ‚besser haben’ anstatt zu lernen, sich selbstlos dafür einzusetzen, dass es allen Kindern besser geht?“

 

Auf die Spitze getrieben wird der moderne Antiautoritarismus der bürgerlichen Sozialpädagogik in einem regelrechten Laissez-faire-Kult. Dieser ebnet auch den Zugang zur ganzen Bandbreite des dekadenten Milieus von Sexismus, Drogen oder Faschismus.


Unter den heutigen Bedingungen müsse „die proletarische Pädagogik wesentlich als allseitige Lebensschule der proletarischen Denkweise der Masse der Jugend verwirklicht“ werden, so Monika Gärtner-Engel. "Das ist natürlich eine Herausforderung für uns alle, den Auftrag der Gewinnung der Jugend für den echten Sozialismus auf der Grundlage der proletarischen Denkweise noch entschiedener zu unserer Sache zu machen."

Was ist überhaupt Kultur?

Stefan Engel widmete sich anschließend der Frage der Krise der bürgerlichen Kultur. Bei der Erarbeitung des Buchs habe es die heißeste Diskussion darüber gegeben, was eigentlich unter Kultur verstanden wird: „Die Autoren dieses Abschnitts waren zunächst einmal geneigt, dem bürgerlichen Sprachgebrauch zu folgen. Demnach beschränkt sich Kultur auf Kulturschaffende, die Musik, Theater, Tanz, Literatur, Malerei, Film oder Fotografie.“


Demgegenüber wird in dem Buch der von Marx entwickelte Kulturbegriff vorgestellt. Er „berührt … alle Seiten des Lebens: die Arbeitsproduktivität, die Formen von Erholung und Freizeit, die Ess- und die Wohnkultur, die Streitkultur, die Sprache … Ereignisse im Leben wie Geburt, Tod, Geburtstage zu begehen, die zwischenmenschlichen Umgangsformen, … die Kleidung und die äußere Erscheinung der Menschen und vieles mehr".


Eine weitere fruchtbare Diskussion in der Erstellung gab es darum, dass bürgerliche und proletarische Kultur nicht getrennt voneinander existieren: „Die heutige bürgerliche Kultur dient zweifellos der Rechtfertigung und allenfalls angenehmen Ausgestaltung der kapitalistischen Gesellschaft, der Ausbeutung des Menschen durch den Menschen. Die proletarische Kultur dient der Überwindung dieser Ausbeutung und Unterdrückung und dem Aufbau einer Gesellschaft mit einer kulturvollen Denk-, Arbeits- und Lebensweise."

 

Das Verhältnis von bürgerlicher und proletarischer Kultur werde durch das dialektische Gesetz von Einheit und Kampf der Gegensätze geprägt: "Die bürgerliche Kultur hat viele fortschrittliche Entwicklungen hervorgebracht in der Musik, in der Sprache oder auch der modernen Naturwissenschaft, die allesamt verteidigt werden müssen. Die bürgerliche Kultur kann auch nur so großen Einfluss nehmen, weil sie an den Bedürfnissen der Massen ansetzt und Bestandteile der proletarischen Kultur aufgreift. Und die proletarische Kultur nimmt sämtliche fortschrittliche und aufklärerische Errungenschaften aus allen Kulturen der Menschheit in sich auf, verarbeitet sie kritisch und selbstkritisch und entwickelt sie weiter.“

 

Diese Dialektik anzuwenden verhilft auch zur überzeugenden Kritik an der imperialistischen Sportkultur, der profitorientierten Sportindustrie, der zunehmenden Dekadenz in der bürgerlichen Massenkultur wie Sexismus, Pornografie, Prostitution, Drogenkonsum und so weiter..


Stefan Engel ging dabei auch auf die Rolle der Sprache ein und warum er gerade jungen Genossinnen und Genossen nahelegt, sich um eine gute Sprache zu bemühen. Die Kenntnis der Grammatik und der Rechtschreibung sei notwendig, um die Dialektik und Differenziertheit der Dinge besser zu verstehen. Auch die Frage des Sports und der kapitalistischen Lebenslüge der „freien Medien“ behandelte Stefan Engel mit erfrischender Polemik.

Wie immer große Teamleistung

Er betonte die wie immer große Teamleistung bei der Erarbeitung des Buchs. Nur dadurch sei es möglich gewesen, es in so kurzer Zeit fertigzustellen. Insgesamt 140 Personen seien daran beteiligt gewesen – von der Ausarbeitung einzelner Abschnitte bis zu Anträgen und Verbesserungsvorschlägen. Die kollektive Weisheit stehe immer höher als die individuelle.

 

Zahlreiche Teilnehmer ergriffen anschließend die Gelegenheit zur Diskussion. Da kamen viele Facetten der Erwartungen an das Buch, der Erfahrung mit der Bedeutung der darin behandelten Fragen und der Diskussion unter den Massen darüber zusammen. Eine Teilnehmerin berichtete von ihren Erlebnissen mit sexistischen Verhaltensweisen im Betrieb. Das Buch gebe auch eine Anleitung für die offensive weltanschauliche Auseinandersetzung damit bei gleichzeitiger Null-Toleranz-Haltung dazu. Ein Mitglied der Verbandsleitung des REBELL setzte sich mit Erscheinungen der Kulturarmut im Jugendverband auseinander, die der notwendigen Anziehungskraft auf die Masse der Jugend entgegensteht.

Jetzt gründlich aneignen, studieren, diskutieren und verbreiten

Monika Gärtner-Engel würdigte, dass die Diskussion zeige, wie alltagstauglich das Buch ist. Es gehe jetzt vor allem auch darum, das Buch anzueignen, zu studieren, zu diskutieren und zu verbreiten. Stefan Engel hob die große und aktive Beteiligung an der Buchvorstellung hervor. Das zeige, dass man auf einem guten Weg sei, die vom letzten Parteitag der MLPD festgestellte Verdrängung der weltanschaulichen Seite in der Parteiarbeit zu überwinden. Das Buch werde noch besser helfen, mit der Beeinflussung durch die bürgerliche Ideologie fertig zu werden.


Nach dem Abschluss der Diskussion packten alle mit an, um den Saal für das Sonntagsessen umzubauen. An den Tischen wurde nach dem Genuss verschiedenster leckerer Gerichte noch lange diskutiert und gemütlich zusammengesessen.

"Ich bin schon gespannt auf das Buch"

Ein junger Teilnehmer im Gespräch mit "Rote Fahne News": "Ich bin schon gespannt auf das Buch, ich hatte mir das gleich bestellt. Besonders interessiert haben mich die Aussagen im Vortrag zur bürgerlichen Pädagogik – wie man mit Kindern und Jugendlichen umgeht. Meine eigene Kindheit war nicht besonders schön. Ich denke mal, dass das heute an den Schulen noch schlimmer ist."

 

Eine Teilnehmerin aus Hagen: "Das muss ich mir erst mal durch den Kopf gehen lassen, wie wir bei uns am Ort das mit der Kultur verändern können. Es ist nicht richtig, die Kultur und die politische Arbeit zu trennen nach dem Motto: Da ist die Kultur und dort ist das, was man sonst noch macht. Das muss eine Einheit sein."

 

Auch aus Ludwigshafen waren Besucher da. Einer war beeindruckt: "Es hat mir sehr sehr gut gefallen, auch was Gabi Fechtner gesagt hat. Und diese Warmherzigkeit, die man auf der Veranstaltung gespürt hat. Ich komme aus der Ukraine und stamme eigentlich aus Tadschikistan.  Ich habe lange gesucht nach einer echten linken Partei. Jetzt bin ich sehr froh, dass ich die MLPD gefunden habe."