Nobelpreise für Physik
Geoffrey Hinton: Vom KI-Pionier zum Kritiker der Entwicklung
In der Vergaberunde der diesjährigen Nobelpreise bekamen Geoffrey Hinton und John Hopfield die Nobelpreise für Physik. Dabei ist der aus England stammende Hinton eigentlich gar kein Physiker, sondern Kognitionswissenschaftler. Beide waren Pioniere der KI, als sie in den 1980-er Jahren die Grundlagen der sogenannten Künstlichen Neuronalen Netze entwickelten.
Schon in den 1960er und 1970er Jahren fanden erste Entwicklungen auf diesem Gebiet statt. Man hatte festgestellt, dass die Arbeitsweise des menschlichen Gehirns darin besteht, dass die Nervenzellen (Neuronen) so untereinander verbunden sind, dass die Verbindungen (sogenannte Synapsen) beim Lernen verschiedene Stärken entwickeln, über die sie die Weitergabe von Signalen zwischen den Neuronen verstärken oder abschwächen.
Das kann man mit mathematischen Methoden auf dem Computer simulieren. Allerdings war die damals mögliche Rechenleistung noch beschränkt. Während ein Mensch Milliarden von Neuronen hat und die Synapsen ein vielfaches davon bilden, konnte man zunächst nur mit ein paar Hundert Neuronen rechnen. Aber man konnte es anhand von Beispielen trainieren und somit eine Art Erfahrungswissen automatisieren.
Erste künstliche Neuronale Netze hatten nur eine Eingabeschicht von Neuronen und eine Ausgabeschicht, die in einer Richtung über die Synapsen verbunden waren (sogenannte Feed Forward Netze). Damit konnte man aber nur relativ einfache Probleme lösen (sogenannte Linear Separable Problems). Man wusste, das man für komplexe Probleme weitere, verborgene, Schichten von Neuronen brauchte. Dafür gab es zunächst keinen Trainingsalgorithmus.
John Hopfield ging den Weg, Neuronale Netze zu entwickeln, die auch eine Rückwärtsverbindung der Neuronen haben, die dann Hopfield-Netz genannt wurden. Damit konnte man sogenannte Assoziativ-Speicher erstellen. Zum Beispiel konnte man Bilder eintrainieren. Wenn man dem Netzwerk dann nur Teilbilder zeigte, konnte es das ganze Bild ergänzen.
Geoffrey Hinton schaffte es, gemeinsam mit dem leider zu früh verstorbenen Amerikaner David Rummelhart stattdessen, einen Trainingsalgorithmus für mehrlagige Feed Forward Netze zu entwickeln. Mit dem sogenannten Backpropagation Algorithmus mussten sie sich gegen eine falsche Vorstellung in der damaligen KI-Szene durchsetzen, da der reaktionäre KI-Vordenker Marvin Minsky einen sogenannten “Beweis“ veröffentlicht hatte, wonach eine Trainingsalgorithmus für mehrlagige Netze nicht möglich sei. Da ich damals als Softwareentwickler für einen Computerkonzern arbeitete, der sich an der KI-Entwicklung beteiligen wollte, hatte ich 1989 die Gelegenheit, den Vortrag von Hinton und Rummelhart auf einer KI-Konferenz in Detroit/USA persönlich zu verfolgen.
Damit schafften sie die Grundlage für den heutigen KI-Boom, nachdem die heutigen Rechenleistungen riesige Mengen von Künstlichen Neuronen und Trainingsdaten möglich machen. Inzwischen kritisiert Hinton die Entwicklung, wie die KI angewendet wird. Er hat dafür einen gut bezahlten Job bei Google gekündigt, wo er an deren KI-Suchmaschine beteiligt war. Allerdings bleibt seine Kritik im kapitalistischen Rahmen, wenn er befürchtet, dass die KI bald nicht mehr kontrollierbar sei.
Die KI ist aber nicht unkontrollierbar. Das Problem ist, dass das allein herrschende internationale Finanzkapital die Kontrolle hat und deshalb die KI zur Verschärfung der Ausbeutung von Mensch und Natur, zur Meinungsmanipulation und zur Massenüberwachung genutzt wird, anstatt zum Wohl der Menschen. Nicht zufällig hatte Ilya Sutskever, einer der Gründer der Firma OpenAI, die ChatGPT zunächst als Non-Profit Produkt entwickelt hatte, seine Doktorarbeit bei Geoffrey Hinton geschrieben.
Eine grundsätzliche Kritik entwickelt die MLPD in dem Buch "Die Krise der bürgerlichen Ideologie und der Opportunismus" im Kapitel "Der Hype um die 'Künstliche Intelligenz": Der übermütige Begriff 'Künstliche Intelligenz' (KI) fasst Computertechniken zusammen, mit denen Elemente und Prozesse logischen Denkens automatisiert werden, die über einfache kausale Beziehungen hinausgehen. Sie können auf empirischem Niveau für begrenzte Aufgabenfelder Lösungen finden und sich innerhalb der von Menschen vorgegebenen Regeln selbst optimieren. Aus dieser Fähigkeit entwarfen viele Computerspezialisten ein Traumbild, wonach KI künftig menschliche Intelligenz ersetzen oder gar übertreffen könne. Bei aller Schnelligkeit und der unglaublichen Menge verarbeiteter Daten ist das keiner KI möglich. Solche Rechenkapazitäten mit dialektischem Denken gleichzusetzen, ist der blanke Positivismus." (Seite 90 f)