Neue Studie
Die Wiederentdeckung der Arbeiterklasse
Erschrocken darüber, dass bei den letzten Wahlen die faschistische AfD gerade auch unter Arbeiterinnen und Arbeitern große Stimmenzuwächse verzeichnen konnte, veröffentlichte die eng mit Gewerkschaftsspitzen und der SPD verbundene Friedrich Ebert-Stiftung eine Studie „Klassenbewusstsein und Wahlentscheidung. Klasse als politischer Kompass?“ [1]
Richtig stellen die Autoren Linus Westheuser und Thomas Lux eine „Legitimationskrise“ des herrschenden Parteiensystems fest. Danach „brach unter Arbeiter:innen seit den 1990er Jahren die Bindung an Parteien noch viel stärker ein als im Rest der Bevölkerung.“ Dramatisch betroffen: das Ansehen der SPD, die zuletzt bei den Europawahlen in der Arbeiterklasse nur noch 12 Prozent der Stimmen verbuchen konnte, während die AFD auf 33 Prozent kam.
Mit den Ursachen der Empörung und tiefen Enttäuschung angesichts der arbeiter- und massenfeindlichen Politik gerade der SPD halten sich die Autoren nicht lange auf.
Immerhin entdecken sie - entgegen all der postmodernen Erzählungen vom „Verschwinden der Arbeiterklasse“ - diese als wesentliche gesellschaftliche Kraft. Richtigerweise zählen sie dazu nicht nur die Arbeiterinnen und Arbeiter in der industriellen Produktion, sondern auch einen großen Teil der im so genannten Dienstleistungsbereich Beschäftigten, im Bildungs- und Gesundheitswesen, der Logistik usw.
Ihr Versuch einer neuen Klassenanalyse scheitert aber an den selbst gesteckten Aufgaben. Danach gibt es beim Klassenbewusstsein Abstufungen von „Klassenidentität, Klasseninteresse und Unten-Bewusstsein“. Dafür werden nicht nur Unmengen von unterschiedlichsten Quellen herangezogen. Sogar Karl Marx darf sich einmal zur Rolle des Proletariats äußern.
Ohne den gesellschaftlichen Vorgaben in der Denkweise nachzugehen, der Geringschätzung der körperlichen gegenüber der geistigen Arbeit, können auch die eigenen Umfragen, wer sich selbst als Arbeiter oder gar Angehöriger der Arbeiterklasse sieht, nur wenig Aufschluss bringen.
All die detaillierten Grafiken und Tabellen fragen immer nur nach dem Bezug zum Wahlverhalten. Unter „linken“ Parteien werden SPD, Grüne, BSW und Linkspartei aufgeführt. Darüber ließe sich trefflich streiten – zumal es links davon für die Autoren in Deutschland nichts zu geben scheint. In anderen europäischen Ländern tauchen immerhin noch Sozialisten und Kommunisten auf.
Ausführlichst wird über Klassenanalysen und Klassenbewusstsein gesprochen – aber der Begriff des Klassenkampfs taucht in dem 32 Seiten langen Text nicht ein einziges Mal auf. Schon gar nicht sein Ziel in einer sozialistisch/kommunistischen Gesellschaft! So wird aus dem hochtrabenden Anspruch von den Herren Autoren die wieder entdeckte Arbeiterklasse doch wieder zum Stimmvieh für die unterschiedlichen verbürgerlichten oder dem Monopolkapitial dienenden Parteien degradiert.
Dabei hatte schon Friedrich Engels, der erste Soziologe der Arbeiterbewegung, den Zusammenhang zwischen der objektiven Lage der Arbeiterklasse und dem Bewusstsein untersucht. In einem Brief vom März 1881 schrieb er: „Und um die besitzenden Klassen vom Ruder zu verdrängen, brauchen wir zuerst eine Umwälzung in den Köpfen der Arbeitermassen … wirklich befreiende Schritte werden erst dann möglich, wenn die ökonomische Umwälzung die große Masse der Arbeiter zum Bewusstsein ihrer Lage gebracht und damit den Weg zur Befreiung gebahnt hat. Die anderen Klassen können nur Flickwerk oder Scheinwerk machen.“ [2]