20 Jahre Opelstreik

20 Jahre Opelstreik

1000 Fackeln weitertragen ...

Das politische und kulturelle Fest „20 Jahre Opelstreik – wie die Arbeiter das Heft in die Hand nahmen“ übertraf alle Erwartungen. 1000 Menschen aus Bochum, dem Ruhrpott, ganz Deutschland und mehreren Ländern Europas kamen. Um eines ruhmreichen Streiks von vor 20 Jahren nachzutrauern? Nein! Um diese unschätzbare Erfahrung noch weiter in die Zukunft zu tragen. „Kämpfen wie bei Opel – feiern wie bei den Opelanern“ hieß gestern von 14 Uhr bis weit in den Abend hinein die Devise auf dem Willy-Brandt-Platz in Bochum.

Von gp
1000 Fackeln weitertragen ...
Originaldokumente und -transparente von 2004 schmücken die Zeltwände (rf-foto)

Einzigartige, von Arbeitern geprägte Kampf- und Festveranstaltung

Mitten in der Bochumer Innenstadt waren zahlreiche große Zelte und Bänke vor einer großen Bühne aufgebaut. Ringsum schlossen sich Informationsstände an. Auch für das leibliche Wohl war bestens mit Pizza, Crepes, Linsensuppe, Sucuc und natürlich Kaffee und Kuchen reichlich gesorgt. Ein Getränkewagen durfte selbstverständlich nicht fehlen. Und für die unzähligen Kinder gab es eine Hüpfburg und Spielangebote. Top organisiert war das Ganze von mehreren Teams:  für Aufbau/ Abbau, Programm, Rede, Verpflegung und nicht zuletzt Finanzen. Geführt von aktiven und ehemaligen Opelarbeitern, gemeinsam verwirklicht mit Aktivistinnenen und Aktivisten aus dem damaligen Streik bis heute. 

 

Das Hauptaugenmerk galt dem bunt gemischten  abwechslungsreichen Programm. Die kollektiv erstellte und gemeinsam vorgetragene spannenden Hauptrede ließ die ganzen Erfahrungen der 7 Tage im Oktober Revue passieren: so, dass heute jede und jeder daraus lernen kann. Es folgten spannende Berichte von Zeitzeugen – von Streikaktivisten, Azubis, Kindern der damals Streikenden, zahlreiche Solidaritätsadressen aus dem In- und Ausland und Grußworte. Originalbild- und Filmdokumente ließen die Berichte umso lebendiger werden.  Natürlich durften Lieder nicht fehlen, ein mitreißendes Konzert mit Los Pueblos und Gehörwäsche und nicht zuletzt eine Feuershow. Beim Schlusstanz zu Grönemeyers Bochum-Hymne gab es kein Halten mehr ...

 

Die Losung „Kämpfen wie bei Opel“ hat sich fest in das kollektive Bewusstsein der Arbeiterbewegung eingeprägt. Wie weit die Fackel schon weitergetragen wurde, brachten eindrucksvoll die zahlreichen Delegationen und Vertreter aus Betrieben in ganz Deutschland zum Ausdruck. Vertreten waren Arbeiterinnen und Arbeiter von fünf ThyssenKrupp- Standorten, vier VW-Betrieben, sämtlichen Opelwerken (aus Rüsselsheim kam ein ganzer Bus!), vertreten waren mehrere Standorte von Bergbaubetrieben, von  Daimler, ebenso wie von Airbus, ZF, Siemens und, und, und ... Eine einzigartige, von Arbeitern geprägte Kampf- und Festveranstaltung, wie sie in den letzten Jahrzehnten ihresgleichen sucht.

Kämpfen wie bei Opel

„Der Zeitpunkt für dieses Jubiläum jedenfalls könnte kaum aktueller sein angesichts der Herausforderungen, vor denen unsere Kollegen bei VW, Ford, bei ThyssenKrupp oder ZF stehen,“ sagte Steffen Reichelt von „Offensiv“ für eine kämpferische Gewerkschafts- und Betriebs(rats)arbeit. Rainer Weimann, Betriebsrat bei Opel Eisenach: „Die Bochumer haben einen Maßstab gesetzt. Immer wenn die Geschäftsführung uns angreift, stehen wir vor der Entscheidung: Gehen wir den Weg der Bochumer Opelaner und entwickeln ihn sogar höher oder gehen wir den Weg der Kapitulation vor den Profitinteressen.“

 

Sechs Streikaktivisten von Offensiv legten in einer spannenden Rede die Vorgeschichte, den Streik, die Torblockaden und die Werksbesetzung ebenso wie das Abwürgen des Streiks und die brennenden Lehren dar. Dabei wurde deutlich: Dieser Streik ist nicht vom Himmel gefallen! Er erwuchs aus der Verarbeitung der Erfahrungen von zuvor mehr als 20 gewerkschaftlichen und selbständigen Kämpfen der Belegschaft, doch ebenso auch der Kämpfe der Stahlarbeiter wie in Rheinhausen oder dem großen Bergarbeiterstreik 1997. 

 

Die Streikvorbereitung war jahrelange Kleinarbeit, Überzeugungsarbeit, Kampf um die Meinungsführerschaft, für das Vertrauen auf die eigene Kraft. Und dies natürlich stets im heftigen Gegenwind! So in heuchlerischen Versprechungen, aber auch Repressalien der Geschäftsführung; durch die Vertreter des Co-Managments im Betriebsrat und der IG-Metall-Spitze. Nicht einknicken, nicht nur dagegen halten - selbstbewusst und offensiv den eigenen Weg gehen setzte sich mit wachsendem Klassenbewusstsein durch.

 

Doch nicht nur das: Unverzichtbar war über die Jahre das Entstehen verlässlicher und nachhaltiger selbständiger Organisationsformen: Redaktionen für die Kollegenzeitung BLITZ die Offensiv-Geburtstagskasse, der Solidaritätskreis und das Frauenkomitee BASTA! Kein Geheimnis ist auch, dass es eine feste freundschaftliche Achse von der Belegschaft zur revolutionären Arbeiterpartei MLPD gab.

 

Der BLITZ war es schließlich, der zum selbständigen Streik aufrief und später die Streikorganisation vorschlug. Das überzeugte! Eine Top-Streikorganisation wurde auf die Beine gestellt, die von Tag zu Tag besser wurde. Streikzeit war Arbeitszeit! Jede Abteilung bekam bestimmte Aufgaben zugewiesen, so dass immer mehr Kollegen eine aktive Rolle im Streik einnahmen. Zu jedem Schichtwechsel wurde am offenen Mikrophon informiert und über die Fortsetzung des Streiks abgestimmt. Unzählige Solidaritätsdelegationen kamen, Spenden vom Metzger, vom Bäcker … Schulklassen … Die Medien berichteten wie über einen Krimi rund um die Uhr. „Wir haben gelernt, dass wir gemeinsam stark sind und kämpfen müssen. Das gilt nicht nur für den Betrieb,“ fasste ein ehemaliger Opelaner seine Erfahrungen zusammen.

 

Der Streik musste gegen ständige Versuche, ihn abzuwürgen, verteidigt und gefestigt werden. Bürgerliche Politiker wie der damalige Landes-Wirtschaftsminister Wolfgang Clement (SPD), aber auch der IG Metall Vorsitzende und der IG Metall Bezirksleiter forderten wie GM die Kollegen wieder und wieder auf, die Arbeit wieder aufzunehmen – jammerten, drohten, versuchten zu mit leeren Versprechungen die Kampfmoral zu zersetzen.  Doch es half alles nichts: die Streikfront stand. Höhepunkt war die Großdemonstration in Bochum und bundesweite und internationale Solidaritätsstreiks.

 

Annegret Gärtner-Leymann arbeitet als größte Schwäche des Streiks heraus, dass es zwar viele Aktivisten gab, aber keine gewählte Streikleitung. "Das gab dem Betriebsrat Spielraum, auf einer infam organisierten Versammlung mit einer manipulierten Fragestellung den Streik abzuwürgen.“ Es gab Wut, Enttäuschung und auch Tränen.

 

Doch vor allem die Entscheidung, die Fackel des Streiks und seiner Erfahrungen weiterzutragen. Deutschlandweit, quer durch alle Branchen und sogar international wurden und werden die Lehren und Erfahrungen beraten und verbreitet.

 

Stefan Engel, langjähriger Vorsitzender der MLPD und Berater vieler Arbeiterstreiks erklärte: "Dieser Streik ist in die Geschichte eingegangen und zu einem festen Bestandteil der Arbeiterbewegung geworden. Darauf könnt ihr stolz sein. Heute geht die Situation wieder schwanger mit selbständigen Streiks.“ Er führe weiter aus, dass eine wesentliche Voraussetzung für einen selbständigen Streik das Scheitern der Politik der Klassenzusammenarbeit ist - wie jetzt bei ThyssenKrupp und VW.

Arbeiter nehmen das Heft in die Hand

Wie ein roten Faden zog sich in den Redebeiträgen der Gedanke durch: Im selbständigen Streik haben die Arbeiter gelernt, wer die wahren Herren sind. Das hat ihren Blick geweitet. Sie haben selber demokratisch entschieden, was passiert, niemand hat ihnen gesagt, was sie zu machen haben. Treffend fasste ein Opelarbeiter zusammen: „Wir haben gute Autos gebaut. Wer solche Autos bauen, solch einen Streik organisieren kann, warum soll der nicht auch einen Staat regieren können?“

 

In einer flammenden Rede führte Gabi Fechtner,  Aktivistin des Streiks, Zeitzeugin und heutige Vorsitzende der MLPD, am Schluss des Hauptprogramms aus: „Das Wichtigste ist, dass sich die proletarische Denkweise durchsetzt, die Denkweise der Arbeiterklasse: die Solidarität, Opferbereitschaft, gegenseitige Hilfe, kollektives Handeln, demokratische Gepflogenheiten und tiefer Gerechtigkeitssinn. Wir müssen uns Gedanken machen, über eine andere Gesellschaft. Dafür hat die MLPD einen gesellschaftlichen Plan, den echten Sozialismus. Zu diesem Plan gehört auch, Schlussfolgerungen aus Fehlern in den ehemals sozialistischen Ländern zu ziehen. … Die Zeit für selbständige Streiks ist gekommen. Dazu gilt es mit Selbstzweifeln fertig zu werden, das Selbstbewusstsein zu stärken, klare Signale zu setzten. Das ist der einzige Weg in die Zukunft. Dieser Weg ist nicht der einfachste, aber der beste, konsequenteste, der einzige, der in die Zukunft führt!“