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Machtprobe der faschistischen AfD im Thüringer Landtag löst offene Parlamentskrise in Thüringen aus

Der Thüringer Landtag trat heute zu seiner ersten Sitzung zusammen, die zeitweise tumultartig verlief. Eine solche erste Sitzung ist in der Regel eine Formalie. Der älteste gewählte Abgeordnete eröffnet die Sitzung und leitet die Wahl des Landtagspräsidenten und übergibt dann an ihn/sie.

Von Tassilo Timm
Machtprobe der faschistischen AfD im Thüringer Landtag löst offene Parlamentskrise in Thüringen aus
Erste Sitzung des neuen Thüringer Landtags verlief tumultartig

Der älteste gewählte Abgeordnete ist Jürgen Treutler von der faschistischen AfD und die stärkste Fraktion, die traditionell das Vorschlagsrecht für die Wahl des Landtagspräsidenten hat, ist die AfD. Die Fraktionen von CDU, SPD, Linkspartei und BSW einigten sich darauf, einen Landtagspräsidenten der AfD zu verhindern. Die grüne Fraktion hatte bereits vor einem halben Jahr in Erwartung einer solchen Situation eine Initiative für die Änderung der Geschäftsordnung gestartet, nach der auch andere Fraktionen direkt zu Beginn der Sitzung eigene Vorschläge einbringen dürfen. Das wurde damals vor allem von der CDU abgeschmettert.

 

Die Sitzung begann 12 Uhr. Direkt zu Beginn stellte die CDU-Fraktion einen Antrag zur Geschäftsordnung, nämlich die Beschlussfähigkeit des Landtags festzustellen. Anschließend hätten weitere Geschäftsordnungsanträge gestellt werden können.

 

Jürgen Treutler behandelte diesen Antrag – entgegen der üblichen Gepflogenheiten - jedoch nicht, sondern fuhr mit seiner Rede fort. Zu Recht unterbrachen mehrere Abgeordnete ihn und forderten die Behandlung von Anträgen zur Geschäftsordnung, was laut Geschäftsordnung auch jederzeit möglich ist. Aber was interessiert Faschisten Recht und Gesetz.

 

Die Sitzung wurde insgesamt fünf Mal unterbrochen und immer wieder begann das selbe Spiel: Jürgen Treutler setzte seine Rede fort, ignorierte die immer lauter werdenden Proteste der Abgeordneten sämtlicher anderer Fraktionen. Er erteilte sogar Ordnungsrufe, wozu eigentlich nur ein gewählter Landtagspräsident berechtigt ist und kein qua Lebensalter berufener Sitzungsleiter. Schließlich ging sogar der Direktor der Landesverwaltung Hoppe zu Jürgen Treutler, um ihm Einhalt zu gebieten. Er wies ihn barsch ab: "Unterbrechen Sie mich nicht!" Hoppe wandte zwar noch ein: "Das ist rechtswidrig!" - zog dann aber ab.

 

Immer wieder wird er – auch während der Sitzung – von Thorben Braga (parlamentarischer Geschäftsführer der AfD-Landtagsfraktion) und auch Stefan Möller (stellv. Landesvorsitzender AfD Thüringen) direkt, manchmal „heimlich“ ins Ohr, beraten, was zeigt, dass die faschistische AfD-Fraktion hier gezielt konzertiert diese Sitzung nach ihrem Willen durchziehen wollte. Er ignoriert die von der alten gewählten Landtagspräsidentin Birgit Pommer (Linkspartei) in der Einladung zur Sitzung festgelegte Tagesordnung und spricht ihr das Recht ab, eine solche Tagesordnung festzulegen. Das Verhalten der AfD heute zeigt auch, wie gefährlich die Meinung ist: "Lass sie erst mal machen." Das dachten sich 1933 auch zu viele Menschen.

 

Zwischenzeitlich verlässt Jürgen Treutler seinen Platz. Die Mehrheit der Abgeordneten verlangt, dass die Sitzung vom zweitältesten Abgeordneten fortgesetzt wird. Jürgen Treutler leitet die Sitzung weiter und gibt den Abgeordneten weiter zu verstehen, dass er keine anderen Regeln gelten lasse werde, außer die der AfD. Andreas Bühl (CDU) rief: "Was Sie hier tun, ist Machtergreifung".

 

Die Sitzung endet nach fast 4,5 Stunden ergebnislos. Die CDU-Fraktion klagt nun vor dem Thüringer Verfassungsgerichtshof und will feststellen lassen, dass sie zu Beginn Anträge zur Geschäftsordnung stellen dürfen, um die Wahl eines AfD-Kandidaten zu verhindern.

 

Es ist in erster Linie dem öffentlichen Druck zu verdanken, dass von CDU bis zur Linkspartei heute klare Front gegen die AfD gemacht wurde. Doch diese Brandmauer wird nicht lange halten. Einzelne Abgeordnete von CDU und BSW kündigten bereits an, der AfD einen Stellvertreterposten zuzugestehen. Die CDU inszeniert sich also zu Unrecht als konsequenter Gegner der AfD, das hat sie in der Vergangenheit oft genug gezeigt. Zudem schürte sie heute kräftig Illusionen in den Parlamentarismus, als sei „das hohe Haus“ der Hüter der Demokratie in Thüringen sein. Auch in Thüringen regiert – wie im Rest von Deutschland und der Welt – immernoch das internationale Finanzkapital, von denen die gegenwärtige faschistische Gefahr mit ausgeht. Auch die nicht-monopolisierte Bourgeoisie denkt immer lauter über eine AfD-Regierung nach, um ihre kapitalistischen Interessen rigoroser durchzusetzen. So sprachen sich in Südthüringen bei einer von der dortigen IHK durchgeführten Umfrage 48 Prozent der 1300 befragten (Klein)Kapitalisten für eine Regierungsbeteiligung der AfD aus.

 

Der heutige Tag zeigt: Wenn Faschisten einmal machtvolle Positionen haben, nutzen sie diese aus, um demokratische Rechte mit Füßen zu treten und ihren faschistischen Willen durchzusetzen. Die von den bürgerlichen Parteien betriebene Relativierung und Verharmlosung der AfD als „Rechtspopulisten“ o.ä. fällt ihnen nun selbst auf die Füße. Ihre Rechtsentwicklung hat der AfD vor den Wahlen einen Aufwind beschert und sie nun in Thüringen zur stärksten Kraft gemacht. Die MLPD hat von Anfang an offen und klar gesagt und gewarnt: „Wer AfD wählt, wählt Faschismus".

 

Der heutige Tag ist auch ein Schlaglicht auf die offene politische Krise in Deutschland und dass die Herrschenden immer weniger in der alten Weise regieren können. Er setzt umso mehr die Frage nach einer echten gesellschaftlichen Alternative auf die Tagesordnung.

 

Gestern demonstrierten vor dem Thüringer Landtag 300 Antifaschisten, darunter die Omas gegen Rechts und Mitglieder von DGB-Gewerkschaften. Das ist genau das richtige Zeichen: breiter antifaschistischer Widerstand gegen die akute faschistische Gefahr!

 

Wehret den Anfängen! Keinen Fußbreit den Faschisten!

 

Für Samstag (übermorgen) ist eine neue "erste Sitzung" des Thüringer Landtags anberaumt.