Wahlauswertung Thüringen
“Man kann in die ernste faschistische Gefahr eine Bresche schlagen!“
Die akute Gefahr, dass erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg eine faschistische Partei bei einer Landtagswahl stärkste Partei wird, ist in Thüringen eingetreten.
Von pw
- Die AfD erreichte 32,8 Prozent und gewann gegenüber der letzten Landtagswahl 2019 9,4 Prozentpunkte dazu. Sie gewann auch gegenüber der Europawahl in Thüringen ca. 77.000 Wähler dazu. Unter Arbeitern mit niedrigem Klassenbewusstsein kam sie sogar auf 48 Prozent (plus 9 Prozentpunkte) und unter 18-24 Jährigen auf 38 Prozent (plus 15 Prozentpunkte). In Sachsen kam die AfD mit 30,6 Prozent nur knapp hinter der CDU auf Platz zwei, die 31,9 Prozent erzielte und selbst einen extrem reaktionären Kurs fährt. Das ist eine Zäsur in der politischen Entwicklung und sehr ernst zu nehmen.
Der MLPD ist es gelungen, in Thüringen eine Bresche in diese Entwicklung der akuten faschistischen Gefahr zu schlagen (siehe gestriger Artikel). Die Losung „Wer AfD wählt, wählt Faschismus!“ wurde Gegenstand einer Massendiskussion. Der engagierte, überzeugende und furchtlose Auftritt der MLPD ermutigte antifaschistisch eingestellte Menschen, brachte die AfD ins Reagieren und trug dazu bei, dass eine ganze Reihe von der AfD beeinflusste Menschen umdachten. Eine Regierungsbeteiligung der AfD wird bislang von allen anderen in den Landesparlamenten vertretenen bürgerlichen Parteien abgelehnt, obwohl es hier früher schon andere Töne gab.
Die AfD liegt mit dem Wahlergebnis in Thüringen hinter den Umfragewerten am Jahresanfang von bis zu 35 Prozent. Vor der rassistischen Hetzkampagne nach dem islamistisch-faschistischen Attentat in Solingen lag sie in Umfragen bei 30 Prozent. Die rechte Kampagne der meisten bürgerlichen Parteien und Medien unterstützte den Anstieg der AfD, der aber nicht so deutlich ausfiel wie am Ende des Europawahlkampfs. Der Weg der MLPD gegen die faschistische Gefahr hat sich als einzig wirksamer Weg erwiesen, auch wenn die MLPD mit ihren bisherigen Kräften in solchen Auseinandersetzungen noch nicht umfassend auf das gesamtgesellschaftliche Klima einwirken kann. - Die Parteien der Ampel-Regierung erlitten eine historische Niederlage. Gemeinsam bekamen SPD, Grüne und FDP in Thüringen nur noch 10,4 Prozent der abgegebenen gültigen Stimmen, verloren zwei Drittel ihrer Mandate. Das gab es noch nie bei Regierungsparteien. Die SPD verliert 2,1 Prozentpunkte auf 6,1 Prozent. Mit den Grünen (3,2 Prozent) und FDP (1,1 Prozent) flogen zwei von drei Bundesregierungsparteien aus dem Landtag. Die FDP taucht bei beiden Landtagswahlen nur noch unter „Sonstige“ auf. Die Stimmenrückgänge bei der Ampel waren auch Ergebnis einer von der MLPD kritisierten faschistischen Meinungsmache. Die MLPD war die einzige Partei, die die Ampel genau wie alle anderen bürgerlichen Parteien und die Monopole konsequent von links und vom Standpunkt der Arbeiterinteressen aus kritisierte.
Die Vertrauenskrise in die Regierungen und die alten bürgerlichen Parteien hat auf Bundes- und Landesebene einen neuen Höchststand erreicht. Nach bürgerlichen Umfragen sind 82 Prozent der Thüringer unzufrieden mit der Bundesregierung. Die Ablösung alter politischer Bindungen hat sich verstärkt. Auch deshalb wurden bei den Landtagswahlen medial Pseudo-Alternativen wie das BSW gehypt. - Die latente politische Krise verschärft sich. Kein Mensch kann vorhersagen, ob die Ampel-Regierung die nächsten Tage und Wochen überstehen wird. Weder in Sachsen noch in Thüringen sind stabile Regierungen zu erwarten. Nach dem vorläufigen amtlichen Endergebnis kommt die CDU in Thüringen selbst zusammen mit BSW und SPD nicht auf eine Mehrheit (eine solche Koalition hätte 44 von 88 Stimmen im Landtag). Auch wenn sich der bisherige Ministerpräsident Ramelow in Thüringen bereits als Mehrheitbeschaffer der CDU anbietet, würde die offene Zusammenarbeit mit der CDU die existenzielle Krise der Linkspartei verschärfen. Erstmals kam die LINKE mit Sachsen in einem ostdeutschen Bundesland auf unter 5 Prozent. In der Union würde eine Zusammenarbeit mit der Linkspartei bundesweit zu heftigen Widersprüchen führen. In Sachsen müsste die CDU neben BSW auch noch die SPD ins Boot einer neuen Regierung holen. Eventuelle Minderheitsregierungen wären besonders instabil. Und die AfD lauert weiter auf Regierungsübernahme oder -beteiligung.
- Sowohl in Sachsen als auch in Thüringen sind die Regierungsoptionen ultrarechts oder faschistisch. Das bringt die neue Qualität der Rechtsentwicklung zum Ausdruck. Immer mehr Kräfte der herrschenden Monopole setzen auf einen offener reaktionären Kurs. Sie haben momentan nicht unmittelbaren Kurs auf eine faschistische Diktatur genommen. Aber sie benötigen die AfD unter anderem als neue völkische Stütze ihrer Klassenzusammenarbeitspolitik, während die hergebrachte reformistische Klassenzusammenarbeitspolitik immer tiefer in die Krise gerät.
- Die Landtagswahlen zeigen eine verstärkte Politisierung der Massen und eine verschärfte gesellschaftliche Polarisierung. Die Wahlbeteiligung ist auf den hohen Wert von 73,5 Prozent gestiegen (gegenüber 69,4 Prozent 2019). In Sachsen stieg sie sogar auf 75,3 Prozent. In den Wahlergebnissen kommt v.a. ein deutlicher Rechtstrend zum Ausdruck. Die Landtagswahlen waren wie noch nie manipulierte Wahlen. Die AfD hat wesentliche Stützen der bürgerliche Meinungsmanipulation in den Massenmedien und im Internet, besonders den sozialen Medien, auf ihrer Seite.
Auf den Straßen und dort insbesondere in den größeren Städten dominierte dagegen eindeutig der fortschrittliche Stimmungsumschwung. Während vor ein bis zwei Jahren sogenannte rechte Montagsspaziergänge, oft in direkter Hand von offenen Faschisten, dort das Bild teils prägten, waren seit Jahresbeginn die antifaschistischen Proteste in Thüringen jeweils größer als die AfD-Veranstaltungen mit Höcke. Auch gestern direkt nach der Wahl demonstrierten in Erfurt oder Dresden Hunderte Menschen. In der Arbeiterbewegung nehmen gewerkschaftliche und selbständige Kämpfe zu. An all dem hat die MLPD einen wichtigen Anteil, und brachte den Faschisten beim Wahlkampfauftakt in Gera die erste herbe Niederlage im Wahlkampf bei. - Die MLPD hat 1.342 Zweitstimmen bekommen. Gegenüber der Europawahl im Juni 2024 ist das mit plus 647 Stimmen fast eine Verdoppelung (bei der Europawahl waren es 659 Stimmen). Bei der letzten Landtagswahl 2019 kam die MLPD auf 3.707 Zweitstimmen, aber unter ganz anderen politischen Vorzeichen.
Dafür, dass wir unseren Wahlkampf, wie wir es uns vorgenommen hatten, offensiv, überzeugend und mit Freude durchgeführt haben, uns nicht einschüchtern ließen, bekamen wir Achtung. Wir ließen uns durch nichts aufhalten – weder durch Polizeieinsätze in großem Stil noch durch „Gefährderansprachen“ gegen unsere Wahlkämpfer, rechtswidriges Lautsprecher-Verbot bis hin zur Untersagung von Klingeln an Haustüren als angeblichem „Hausfriedensbruch“. Teilweise war der faschistische Einfluss im Staatsapparat erheblich. Die MLPD ist als der Gegenpol zur AfD, zu Faschisten und Rechtsentwicklung in Erscheinung getreten und hat sich großen Respekt verschafft. - Jede Stimme für die Internationalistische Liste/MLPD wurde im Gegenwind erkämpft. Der Kampf um die Denkweise im Massenumfang war unser Markenzeichen. Wir sprachen jeden an, gingen mit unseren Straßenumzügen in die Wohngebiete mit hohem AfD-Anteil, gingen in Kleinstädte und Dörfer. Das persönliche Gespräch war unsere Hauptmethode. Wir übergaben 65.000 Wahlzeitungen und 19.000 Kandidatenflyer persönlich. Im Ensemble mit dem Wahlkampfauftakt in Gera und dem Abschluss in Erfurt, der flächendeckenden Plakatierung von 19.000 Plakaten erreichten wir einen Großteil der Thüringer.
Die höchsten Steigerungen gegenüber der Europawahl haben wir im Landkreis Saalfeld-Rudolstadt (+192 Prozent) und in der Stadt Erfurt (+145 Prozent). Der Spitzenkandidat und Landesvorsitzende Tassilo Timm bekam 1,1 Prozent oder 359 Erststimmen in seinem Wahlkreis. Er hat in sieben Wahllokalen mehr als zwei Prozent bekommen, die meisten davon liegen genau in den Gebieten unserer intensivsten Kleinarbeit um Berliner Platz, Johannesplatz und Ilversgehofen. Das ist ein Achtungserfolg und auch nach Zweitstimmen war es mit 75 Stimmen unser bester Wahlkreis.
Stefan Engel, Direktkandidat im Wartburgkreis I erhielt 0,4 Prozent oder 136 Stimmen. Stefan Engel prägte besonders den Wahlkampf mit Straßenumzügen und richtete sich besonders an die Kali-Bergarbeiter und ihre Familien. Er bekam in Gegenden mit Straßenumzügen in Bad Salzungen zwischen 2,0 und 2,7 Prozent.
Andreas Eifler hat als Direktkandidat im Wahlkreis Sonneberg I mit 122 oder 0,5 Prozent auch gegenüber der letzten Landtagswahl 2019 deutlich dazu gewonnen. In der Stadt Schalkau erreichte er 1,4 Prozent, das ist eine Steigerung um 0,6 Prozentpunkte.
Überhaupt ist auffallend, dass wir diesmal teils das Sechsfache an Erststimmen im Vergleich zu den Zweitstimmen bekamen. Unter dem Eindruck der Kampagne, man müsse „taktisch“ gegen die AfD andere bürgerliche Parteien wählen, gaben nicht wenige von uns überzeugte Menschen besonders ihre Zweitstimme zähneknirschend anderweitig ab.
In Eisenach hat neben der systematischen Kleinarbeit, den vielen Einsätzen vor Betrieben und den Straßenumzügen, die Bundesweite Montagsdemo und Bergarbeiter-Demonstration am 17. August bleibenden Eindruck hinterlassen. In der Stadt kam die Internationalistische Liste/MLPD überdurchschnittlich auf 0,3 Prozent. Der Wahlkreis hat mit 63 Stimmen die zweit höchsten Landesstimmen der MLPD. Im Wohngebiet des Kandidaten Fritz Hofmann in Eisenach konnte die MLPD sich auch gegenüber der letzten Landtagswahl noch um 40 Prozent steigern. - Unsere ganze Arbeit war auf Nachhaltigkeit ausgerichtet. Die zehntausenden Gespräche und das ganze Ensemble des Wahlkampfs werden weiter wirken. Das gilt nicht nur für die Kritik an AfD und Ampel, sondern vielleicht noch mehr für unsere Propagierung des echten Sozialismus als gesellschaftlicher Alternative.
Wir machten über 100 Einsätze vor Thüringer Betrieben und investierten viel in Einsätze vor neuen Betrieben, wo die Kolleginnen und Kollegen erstmals mit der MLPD in Berührung kamen. Das hat angesichts der sich ankündigenden Angriffe der Monopole auf die Arbeiterklasse besondere Bedeutung.
In der Jugendarbeit haben wir Fortschritte gemacht unter anderem mit der Stärkung der REBELL-Gruppe in Erfurt und dem Aufbau einer neuen Gruppe in Gera. Am Nachmittag des 15. September findet eine sozialistischen Jugenddemonstration ausgehend von sechs revolutionären Jugendorganisationen, die auf dem Lenin-Seminar vertreten sind, statt. Wir werden das nutzen, um den REBELL-Aufbau weiter voranzubringen. - Die MLPD und ihr Jugendverband REBELL müssen erheblich stärker werden. Wer den Faschismus der AfD bekämpfen will, der muss die MLPD unterstützen. Das gilt umso mehr nach der Wahl. Die MLPD hat über 350 neue Kontakte gewonnen. Jetzt ist die richtige Zeit für die Mitgliedschaft und alle Fragen dazu zu thematisieren. Dazu ist es wichtig, die Tiefenarbeit zu verstärken, was im Wahlkampf nicht überall gelang. Dazu legt die MLPD aktuell ihren Schwerpunkt auf die Mobilisierung zum ICOR-Seminar „Lenins Lehren sind lebendig“ vom 13.-15. September in Truckenthal/Thüringen.
Gegen die faschistische Gefahr ist ein breites antifaschistisches Bündnis notwendig. Hierfür brauchen wir eine neue Qualität einer prinzipienfesten und äußerst flexiblen Bündnisarbeit, wofür wir im Wahlkampf viel gelernt haben. Die MLPD wird auch ihre Aktivitäten zum Aufbau des Internationalistischen Bündnis gegen Rechtsentwicklung, Faschismus und Krieg verstärken.
Die MLPD wird hierbei auch besonders den überparteilichen Frauenpolitischen Ratschlag vom 1.-3. November in Kassel fördern. Unter Frauen schnitt die AfD noch mit am schlechtesten ab und kam auf 29 Prozent, wobei sie auch 9 Prozentpunkte zulegte. Schon der letzte Ratschlag hatte die bedeutende Initiative einer Erklärung gegen Rechtsentwicklung und Faschismus gestartet „Es ist der kleinste, aber ein dringend notwendiger gemeinsamer Nenner!“
Die MLPD wird gemeinsam mit vielen Kolleginnen und Kollegen jetzt alle Erfahrungen des Wahlkampfs als Training der systematischen Kleinarbeit systematisch auswerten. Das Zentralkomitee der MLPD bedankt sich bei allen Wahlkämpferinnen und Wahlkämpfern und allen Unterstützerinnen und Unterstützern für das große Engagement und den großen selbstlosen Einsatz, mit dem wir Zeichen gesetzt haben.