Interview mit Rechtsanwalt Peter Weispfenning

Interview mit Rechtsanwalt Peter Weispfenning

Zur Rechtslage im Straßenwahlkampf in Thüringen

"Rote Fahne News" berichtet am 22. August über verschiedenste Behinderungen und Attacken auf den Straßenwahlkampf der Internationalistischen Liste/MLPD.¹ Die Rote Fahne Redaktion konnte heute mit Rechtsanwalt Peter Weispfenning aus der Kanzlei Meister & Partner in Gelsenkirchen zu einigen rechtlichen Fragen des Straßenwahlkampfs sprechen.

Zur Rechtslage im Straßenwahlkampf in Thüringen
Rechtsanwalt Peter Weispfenning (rechts) sprach mit der Redaktion über die Rechtslage bei Straßenumzügen in Thüringen (rf-foto, Collage: rf)

Hat die Polizei in Thüringen das Recht, bei Straßenumzügen den Einsatz von Lautsprechern im Wahlkampf zu verbieten?

Nein, eindeutig nicht. In Wahlkampfzeiten ist in Thüringen Lautsprecherwerbung für Parteien erlaubnisfrei. Das ist im Runderlass des Innenministeriums vom 15. März 1999 (Aktenzeichen 20-136), veröffentlicht im Thüringer Staatsanzeiger 16/1999 vom 30. März 1999, S. 931-932, klar geregelt. (Mehr dazu hier.)


Straßenumzüge, wie sie momentan von der MLPD in Thüringen durchgeführt werden, müssen auch nicht angemeldet werden.

 

Es gab eine ganze Reihe Strafanzeigen wegen Hausfriedensbruchs gegen Wahlkämpferinnen und Wahlkämpfer … .

Immer wieder gibt es Strafanzeigen wegen Hausfriedensbruch, wenn man sich zum Beispiel auf Supermarktparkplätzen aufhält und Wahlkampf macht, teils sogar, wenn man an Türen klingelt. Das ist in aller Regel offensichtlich rechtswidrig. Ein Hausfriedensbruch nach Paragraf 123 Strafgesetzbuch setzt ein „befriedetes Besitztum“ voraus. Das könnte höchstens beispielsweise bei einem eingezäunten Supermarkt der Fall sein, aber nicht, wenn die Zugänge offen sind oder die Abgrenzung aus Grünstreifen besteht. Auch nicht eingezäunte Betriebsparkplätze sind kein „befriedetes Besitztum“. (Amtsgericht Nürtingen, Urteil vom 27.09.2010, Az. 12 Cs 1 Js 83223/09 - (mehr dazu hier) Amtsgericht Erfurt, Urteil vom 12.10.2022, Az. 50 Cs 373 Js 11963/22. (Mehr dazu hier.)

 

Die Polizei argumentiert gerne, man dürfte ja auch nicht in den nicht befriedeten Vorgarten des Nachbarn gehen. Das machen die Wahlkämpfer auch nicht, aber es wäre natürlich genauso wenig strafbar.


Aber wie sieht es mit dem Hausrecht aus?

Verstöße gegen das Hausrecht sind zivilrechtlich nicht erlaubt, aber deshalb noch lange nicht strafbar. Die Polizei kann höchstens Platzverweise erteilen, um solche Ansprüche durchzusetzen. Aber sehr häufig ist auch ein zivilrechtliches Hausrecht nicht einschlägig. Das gilt zum Beispiel dann, wenn bestimmte Flächen dem öffentlichen Verkehr gewidmet sind. Unsere Kanzlei vertritt hierzu die Ansicht, dass auch nicht eingezäunte Betriebsparkplätze dem öffentlichen Verkehr dienen (für Besucher, Lieferanten) oder manchmal als Abkürzung genutzt werden usw.


Außerdem ist immer die Frage, wer überhaupt Hausrecht hat. So gibt es bei Einkaufszentren mit mehreren Geschäften manchmal einzelne Geschäftsinhaber, die Wahlkampfauftritte untersagen wollen. Das Landgericht Darmstadt hat aber zu Recht festgestellt, dass ein solches Hausrecht bei mehreren Ladeninhabern nur gemeinsam ausgeübt werden kann (Landgericht Darmstadt, Urteil vom 13.08.2013, Az. 24 Cs 5 Ns 500 Js 15.837/13. (Mehr dazu hier).


Besonders grotesk ist es, wenn teils Lehrer oder Schulleiter meinen, sie hätten auf dem Bürgersteig vor den Schulen Hausrecht. Die Bürgersteige gehören aber zum öffentlichen Verkehrsraum. Im Rahmen des Gemeingebrauchs, also wenn man Flugblätter verteilt oder das Rote-Fahne-Magazin verkauft, kann ein Bürgersteig von jedermann genutzt werden.


Was tun, wenn doch gegen einen Wahlkampfeinsatz vorgegangen wird?

Weder Betriebsleiter, Ladeninhaber noch eine private Security sind befugt, Leute unter Anwendung von Gewalt von Parkplätzen oder Ähnlichem zu drängen. Wenn die Polizei gerufen wird, muss man sie eindringlich auf die Rechtslage hinweisen, aber auch politisch argumentieren, dass es hier um eine klare Kante gegen die faschistische AfD geht. Außerdem muss man immer auch deutlich machen, dass wir solche Wahlbehinderungen nicht akzeptieren. Natürlich provozieren wir nicht und lassen die Lage auch nicht eskalieren. Gegen Wahlbehinderungen sollte man politisch in die Offensive gehen und sich rechtlich gegebenenfalls durch unsere Kanzlei beraten lassen.

 

Hier gibt es die Infos zum Rechtshilfefonds der MLPD