Arbeitslosigkeit

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Steigende Arbeitslosenzahlen – kein großes Problem?

„Ungünstig“, so verniedlicht Andrea Nahles, Chefin der Bundesagentur für Arbeit (BA), die Entwicklung auf dem sogenannten „Arbeitsmarkt“. Steigende Arbeitslosenzahlen stünden einer Schrumpfung der Zahl offener Stellen gegenüber. Dabei ist die Arbeitslosigkeit inzwischen so stark angestiegen wie seit 2015 nicht mehr. Rund 2,8 Millionen Menschen waren im Juli offiziell arbeitslos, 192.000 mehr als im Vorjahr und 600.000 mehr als zum Beginn der Weltwirtschafts- und Finanzkrise Mitte 2018.

Von ba
Steigende Arbeitslosenzahlen – kein großes Problem?
(rf-foto)

In der industriellen Produktion ging die Beschäftigtenzahl allein im zweiten Quartal 2024 gegenüber dem Vorjahresquartal um 44.000 zurück. Die offizielle Arbeitslosenquote stieg auf sechs Prozent.

 

„Die schwache Wirtschaftsentwicklung belastet den Arbeitsmarkt“, verharmlost BA-Vorstand Daniel Terzenbach die tatsächliche Entwicklung. Eine Frechheit, denn immerhin stehen hinter den Zahlen Zehntausende menschliche Existenzen. Das verschwindet hinter dieser Worthülse völlig. Außerdem wird hier von Terzenbach so getan, als sei das der natürliche Gang der Dinge. Es handelt sich dabei aber um kapitalistische Logik. Die steigenden offiziellen Arbeitslosenzahlen wären demnach kein ernst zu nehmendes Problem? Tatsächlich werden aber die Lasten der seit Mitte 2018 währenden Weltwirtschafts- und Finanzkrise jetzt immer stärker auf die arbeitende Bevölkerung abgewälzt.

 

Zum einen vernichten die international aufgestellten deutschen Übermonopole¹ massiv Arbeitsplätze, weil sie sich im gegenseitigen Vernichtungskampf mit den Übermonopolen anderer Länder durchsetzen wollen. Die Arbeitsplatzvernichtung wird also weiter forciert. So will der Autozulieferer ZF Friedrichshafen bis zu 14.000 Arbeitsplätze vernichten, bei Continental sollen 7000 Leute gehen etc.

 

In der Autoindustrie spitzt sich die Lage für die Arbeiter und Angestellten besonders zu. Zwischen 2008 und 2017 stieg die Zahl der PKWs weltweit von 53 auf 74 Millionen. Das führte zu einer Überproduktionskrise. Produktion und Absatz sanken. Mit Beginn der allgemeinen Weltwirtschafts- und Finanzkrise Mitte 2018 vertiefte sich die Krise erheblich. 2021 wurden weltweit nur noch 55 Millionen PKWs produziert. In Deutschland wurden 2017 5,7 Millionen PKW gebaut, Ende 2023 waren es nur 4,1 Millionen.² Diese Krise war zugleich mit einer Strukturkrise durch die Umstellung auf E-Mobilität verbunden. Die Zahl der Beschäftigten in der deutschen Autoindustrie sank von offiziell 842.000 im Juli 2018 auf aktuell offiziell 780.000.³ Außerdem sind in der Autozulieferindustrie zwischen 2018 und 2023 über 37.000 Arbeitsplätze vernichtet worden - mehr als 12 Prozent aller dort Beschäftigten waren betroffen.

 

Eine weitere Folge der Weltwirtschafts- und Finanzkrise ist der Anstieg der Zahl der Insolvenzen und die damit verbundene Vernichtung von Arbeitsplätzen. Nach Berechnungen des Wirtschaftsforschungsinstituts IWH stieg die Zahl der Unternehmensinsolvenzen im Juli auf 1406. Laut IWH liegen die Zahlen damit so hoch wie „seit etwa zehn Jahren nicht mehr“. Sie sind um 20 Prozent höher als im Vormonat Juni und „46 Prozent über dem Juli-Durchschnitt der Jahre 2016 bis 2019.“

 

Durch die zehn größten Unternehmensinsolvenzen im Februar und im März waren schon jeweils etwa 11.000 Kolleginnen und Kollegen betroffen. Diese Zahl liegt um ca. 42 Prozent über den Vergleichsmonaten vor 2020. Die Insolvenzwelle erfasst also immer größere Firmen auch in der Produktion und ist verstärkt mit Massenentlassungen verbunden.

 

Bei Beginn der Neuorganisation der internationalen Produktion Anfang der 1990er-Jahre lag die Investitionsquote der Unternehmen bei über 9 Prozent. Besonders nach der Krise 2008 sank sie bis 2018 kontinuierlich ab auf 2,7 Prozent. Seitdem gehen die Investitionen ständig weiter zurück. Und das seit 2019 relativ konstant, wie Daten des Statistischen Bundesamtes zeigen. Das ist eine Folge der Weltwirtschafts- und Finanzkrise, die zu einem Rückgang der Produktion führte. Die erwirtschafteten Profite finden kaum noch maximalen Profit versprechende Anlagemöglichkeiten. Nach einer Umfrage des Ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung berichteten im Juli fast 40 Prozent der Unternehmen von fehlenden Aufträgen. Das verschärft die Lage.

 

Wir befinden uns also in einem Übergang zu massiver Arbeitsplatzvernichtung und zunehmender Massenarbeitslosigkeit. Das fordert die Arbeiterbewegung dazu heraus, einen konsequenten Kampf um jeden Arbeitsplatz über Betriebs-, Konzern- und Ländergrenzen hinweg zu führen. Eine Kernforderung ist die Verkürzung der Arbeitszeit auf eine 30-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich auf Kosten der Profite. Dadurch könnten z.B. in der Auto- und ihrer Zulieferindustrie rein rechnerisch über 91.000 Arbeitsplätze erhalten werden. Eine wichtige Erfahrung ist der selbständige Streik der Belegschaft von Opel Bochum 2004. Die Kolleginnen und Kollegen hatten auf ihre eigene Kraft vertraut, selbständig gestreikt und jahrelang ihre Arbeitsplätze verteidigt. Unter Umständen müssen auch Ersatzarbeitsplätze in anderen Bereichen wie z.B. dem Umweltschutz gefordert werden. Arbeiterbewegung und Erwerbslosenbewegung müssen zudem einen gemeinsamen Kampf führen. Der sichtbare Ausdruck davon sind die Montagsdemos, die seit 20 Jahren deutschlandweit auf der Straße sind und die zusammen mit Bergleuten am vergangenen Samstag ein eindrucksvolles Jubiläum in Eisenach begangen haben (mehr dazu hier).