Türkei nicht faschistisch?"

Türkei nicht faschistisch?"

Autorin antwortet den Kritikern

"Türkei nicht faschistisch?" So fragten Kritiker eines Artikels auf "Rote Fahne News" in Leserbriefen an die Redaktion vom 18. Juli.¹ Die Redaktion veröffentlicht jetzt die Antwort der Autorin auf die Kritiken.

Liebe Leser von Rote Fahne News, liebe Redaktion, völlig zu Recht wurde mein Artikel vom 17. Juli kritisiert, weil er die faschistische Diktatur in der Türkei und damit den Faschismus verharmlost. Eine verwirrende und falsche Einschätzung auf Rote Fahne News ist ein Fehler, der nicht hätte passieren dürfen. Das hat mich sehr zum Nachdenken gebracht.

Was sind die Ursachen für den groben Fehler?

  1. Eine kleinbürgerlich-dogmatische Starrheit. So heißt es im RW 18 auf Seite 241: „Der Machtantritt des Faschismus vollzieht sich nicht automatisch durch einen Regierungswechsel, er 'ist nicht die einfache Ersetzung einer bürgerlichen Regierung durch eine andere, sondern die Ablösung einer Staatsform der Klassenherrschaft der Bourgeoisie, der bürgerlichen Demokratie, durch eine andere, durch die offene terroristische Diktatur.' (G. Dimitroff, VII. Weltkongress, Ausgewählte Schriften, Bd. 2, S. 527)“ Das Zitat habe ich willkürlich verdreht und daraus gemacht „solange es noch Wahlen gibt, ist die Hauptseite Betrug und die Staatsform bürgerliche Demokratie“. Das ist falsch. Es ist ein Verstoß gegen die dialektische Einheit von Betrug und Gewalt – in der faschistischen Diktatur ist die Hauptseite die Gewalt, der Betrug wird zur Nebenseite – aber er existiert weiterhin. In der Türkei z.B. in Form der Durchführung von Wahlen, die aber auch unter massiver Meinungsmanipulation, Repression, Verhaftungen und brutalen Gewalttaten stattfanden. 
  2. Es ist ein Einfluss aus den bürgerlichen Massenmedien auf mich selbst, wenn ich den Charakter der Türkei als faschistische Diktatur verharmlose. Die Bundesregierung behandelt den Faschisten Erdogan als „normalen Politiker“, mit dem sie reaktionäre Flüchtlingsdeals aushandelt und die politische Verfolgung der Opposition in Deutschland selbst vorantreibt, mit dem §129a und b (z.B. „Münchner Kommunistenprozesse“). Die deutsche Bundesregierung will ihre eigene Rechtsentwicklung als „Normalzustand“ rechtfertigen. Dass ich die von der MLPD seit 2016 getroffene Qualifizierung der faschistischen Diktatur mit dem gescheiterten Putschversuch Erdoğans und seither immer weiter konkret untersuchte Entwicklung verdrängte, zeigt eine erschreckende Gewöhnung an Rechtsentwicklung, faschistische Tendenzen und Faschismus. 
  3. Die in meinem Artikel geschilderten Probleme, dass bei Diskussionen unter türkischen Kollegen eine Gleichsetzung von Erdoğan und Hitler nicht überzeugte, habe ich nicht bis auf den Grund der Denkweise untersucht. Durch diese Oberflächlichkeit habe ich mit den genannten Einflüssen der Verharmlosung des Faschismus in meinen Argumenten, also meiner Denkweise, nicht „aufgeräumt“, sondern nur scheinbar korrigiert. Natürlich ist der Erdoğan-Faschismus keine Kopie des Hitler-Faschismus, aber deshalb trotzdem eben Faschismus.

 

Erdoğan hatte Anfang 2016 Hitler-Deutschland als "gutes Beispiel für ein effektives Regierungssystem" hervorgehoben (www. Spiegel.de, 1. 1. 2016). Er errichtete eine Präsidialherrschaft, die deutlich an die Ermächtigungsgesetze 1933 erinnert, die Hitler zum faschistischen Alleinherrscher im Auftrag der Monopole machten. 2016 verhaftete und suspendierte Erdoğan mindestens 130 000 Staatsbediensteten der Türkei. Erdoğans Aufbau einer Massenbasis mittels von sozialfaschistischer Demagogie begleiteten zeitweisen "Wohltaten" an die Massen ging zugleich mit Verhaftungen und Verfolgung seiner Gegner einher: Hunderte Oppositionelle, Revolutionäre, Arbeiter und Marxisten-Leninisten sitzen oftmals zunächst ohne Anklage teils Jahre in Untersuchungshaft, Politiker wie der frühere Vorsitzende der fortschrittlichen HDP-Partei, Selahattin Demirtas wurden zu mehr als 40 Jahren Gefängnis verurteilt, die Co-Vorsitzende Figen Yüksekdag zu mehr als 30 Jahren, den kurdische Befreiungskampf und Rojava / Nordsyrien bekämpft Erdoğan mit Panzern – das ist faschistischer Terror.

 

Über diese zutiefst arbeiter- und massenfeindliche faschistische Diktatur in der Türkei müssen wir Bewusstsein bilden, den aktiven Widerstand und Aufbau einer starken antifaschistischen Volksfront unter Führung der Arbeiterklasse unterstützen.

Herzliche Grüße