Talfahrt an den Börsen

Talfahrt an den Börsen

Ein Vorbeben für einen Börsencrash

Anfang der Woche herrschte helle Aufregung in der deutschen Medienlandschaft. Anscheinend aus heiterem Himmel rutschten die Kurse von weltweit fast allen großen Börsen-Indizes¹ deutlich nach unten. Die Furcht vor einem massiven Absturz breitete sich aus. Alle großen Börsen-Indizes hatten ihre Werte seit Mitte 2020 verdoppelt. So stieg der DAX von März 2020 bis Mai 2024 von 9800 auf 18900 Indexpunkte und der weltweit größte Börsen-Index, der S&P 500, im gleichen Zeitraum von 2500 auf 5500 Indexpunkte. Angefeuert wurde dieser Aktien-Hype durch die Geldpolitik der Zentralbanken.

Von ba
Ein Vorbeben für einen Börsencrash
Bulle und Bär vor der Frankfurter Börse (Eva K. (CC BY-SA 2.5))

2009 lag die Bilanzsumme der Europäischen Zentralbank (EZB) bei 1,8 Billionen Euro, 2018 schon bei 4,7 Billionen, 2021 dann bei fast 9 Billionen. Das waren Gelder für Billigstkredite an Banken und Unternehmen, bzw. für den Aufkauf von Staatsanleihen.² Diese Kredite sollten die Produktion ankurbeln. Aufgrund stagnierender Absatzmärkte winkten hier aber geringere Profite. Deshalb landete der Großteil der Gelder in immer stärker ausufernder Spekulation mit Aktien und anderen Geldanlagen. Damit ließen sich Höchstprofite einfahren. 2009 betrug der Wert des weltweiten Aktienbestands nur 35,8 Billionen, Ende 2023 waren es 113,9 Billionen.³  

 

Tatsächlich fuhren die großen internationalen Monopole trotz Stagnation bzw. Rückgang der Industrieproduktion seit 2018 weiter hohe Gewinne ein. Die 40 DAX-Konzerne haben im Vorjahr mind. 117 Milliarden Euro an Gewinnen ausgewiesen.

 

Digitalisierung und sog. Künstliche Intelligenz (KI) waren in letzter Zeit die großen Kurstreiber. Innerhalb von rund einem halben Jahr hat sich z.B. der Preis der Aktien von Nvidia, Chipproduzent und Marktführer bei KI, verdreifacht. Der Konzern wurde mit rund 3 Billionen Euro Marktkapitalisierung⁴ zum wertvollsten Unternehmen der Welt. Die Erwartung ständig steigender Profite wurde jedoch zunehmend erschüttert. Die Hoffnungen auf Investitionen in „Künstliche Intelligenz“ wichen Ernüchterung angesichts der anhaltenden Krise der Weltwirtschaft. Und bei Nvidia stieg der Gewinn deutlich langsamer als der Aktienkurs.

 

Dazu kam die Angst vor einem Wirtschaftseinbruch in den USA und eine wachsende Unsicherheit, dass sich die zunehmenden Kriege auf die wirtschaftliche Entwicklung negativ auswirken könnten.

 

Daher gerieten die Aktienkurse vor allem der sieben größten Tech-Konzerne unter Druck. Das führte zu einem sich verstärkenden Verkauf von Aktien, um noch Gewinne zu realisieren bzw. Verluste möglichst zu vermeiden, bevor der Wert der Aktien tief abstürzt. Aber genau das war die Folge dieser Verkäufe. Eine Billion Dollar an Börsenwert wurde in drei Tagen vernichtet – die sogenannten "Magnificent Seven"-Tech-Aktien büßten allein 650 Milliarden Dollar an Wert ein. Der größte Abstand von ihren Allzeithochs betrug bei den sechs wertvollsten Technologiekonzernen: Meta: – 9 %, Apple: – 13 %, Microsoft: – 15 %, Alphabet: – 18 %, Amazon: – 19 %, Nvidia: – 26 %.⁵  

 

Der Nikkei in Japan rauschte innerhalb von drei Tagen um über 15 Prozent abwärts, der Technologieindex Nasdaq um 13 Prozent, der DAX in Deutschland und der weltweit aufgestellte MSCI um 7 Prozent, der EURO STOXX 50 um 8 Prozent, und die amerikanischen Indizes S&P 500 um 7 und der Dow Jones um 6 Prozent. Schon länger auf dem Weg nach unten waren der Hang Seng aus Hongkong und der FTSE China A50, die in den letzten drei Wochen 9 bzw. 6 Prozent einbüßten.  

 

Die Kurseinbrüche waren trotz allem relativ gering gegenüber den vorher hochgepushten Kursen. Der DAX liegt heute z.B. immer noch etwa 75 Prozent höher als im März 2020; der S&P 500 ist immer noch doppelt so hoch wie damals, und der Nikkei ebenfalls.  

 

Die Aktienkurse erholten sich auch relativ schnell wieder etwas und stabilisierten sich auf einem Niveau deutlich oberhalb des Tiefpunktes. Die Nerven der Spekulanten beruhigten sich, weil die Tech-Konzerne nach wie vor hohe Gewinne ausweisen – anders als bei dem Crash der Dotcom-Blase im Jahr 2000.  

 

Deshalb war der Kurseinbruch noch kein tiefgehender Börsencrash. Er war eher eine Art „Vorbeben“ vor einem noch zu erwartenden tiefen Börsencrash. Denn die grundlegenden Probleme der Weltwirtschaft verschärfen sich tendenziell. Das Auseinanderklaffen der Entwicklungen der Aktienkurse und der Industrieproduktion ist nach wie vor riesig. Ein Aufschwung ist weder mit noch ohne Zinssenkungen zu erwarten. Stattdessen deuten viele Anzeichen auf eine Vertiefung der Weltwirtschafts- und Finanzkrise hin. Der Welthandel stagniert, grenzüberschreitende Investitionen sind stark eingebrochen, ebenso länderübergreifende Fusionen und Übernahmen. Hochrüstung und KI können sicher noch eine Zeit lang für hohe Profite sorgen. Aber ein Ende der Fahnenstange ist abzusehen.