Interview mit Meik Schöpping

Interview mit Meik Schöpping

Später Freispruch für Seenotretter

Fast sieben Jahre nach der Beschlagnahmung des Seenotrettungsschiffs „Iuventa“ durch italienische Behörden ist das Verfahren gegen die damalige Crew eingestellt worden. Die Rote Fahne sprach mit dem Seenotretter Meik Schöpping. Hier die ausführliche Version des Interviews; die kürzere ist im Rote-Fahne-Magazin 16/2024 auf Seite 10 abgedruckt.

Herzliche Glückwünsche zum juristischen Erfolg der Juventa-Crew! Kannst du bitte kurz die Vorgeschichte schildern?

Vielen Dank auch für diese seltene Möglichkeit, in der aktuellen Medienwelt die Wahrheit zu Gunsten von humanitärer Hilfe und Menschlichkeit gegenüber Menschen in Not und auf der Flucht zu beleuchten! Nach all der Diffamierung und Hetze in Medien, Politik und Gesellschaft gegenüber zivilen Seenotrettern auf Basis falscher Fakten tut das not.

 

Die Vorgeschichte hierzu bildet der erfolgreiche Abschluss meiner wohl zahlenmäßig größten Rettungsmission M7/ “Donald Tusk” am 29.06.2017. Mit einer Massenrettung bei der zivilen deutschen Seenotrettungsorganisation “Jugend Rettet” auf Ihrem Rettungsschiff “Iuventa” konnten 3.773 Menschen aus Seenot vor der libyschen Küste gerettet werden. Zuvor wurden sämtliche operierende zivile Seenotrettungsorganisationen von der EU per schriftlicher Selbstverpflichtung angewiesen, ihre Seenotrettungsaktivitäten in Richtung EU zu unterlassen und nach den Vorgaben der EU entsprechend einzustellen. Alle NGO´s, die diese sog. “freiwillige” Selbstverpflichtung nicht unterschrieben, erlebten unmittelbar darauf die wiederholte Festsetzung ihrer Rettungsschiffe, und anschließende Strafverfolgung.

 

So auch Jugend Rettet in ihrer bis heute letzten Rettungsmission M8 im Juli 2017, die kurz nach Auslaufen aus Malta mit der Beschlagnahmung ihres Rettungsschiffes “Iuventa” durch die italienischen Polizeibehörden in Lampedusa endete.

 

Teile meiner damaligen Crew und weitere Seenotretter anderer NGO´s wurden mit dem Vorwurf der Beihilfe zur illegalen Migration durch die Staatsanwaltschaft Trapani in Italien angeklagt. Die “Iuventa” wurde bis heute beschlagnahmt und in staatlicher Obhut verwüstet und zerstört. Die Ermittlungen zogen sich unzulässig über mehr als 6 Jahre hin und voller medialer Propaganda bis zur Anklage und dem letztendlichen Freispruch aller angeklagten Iuventa-Crew-Mitglieder am 19.04.2024. Über den Freispruch, den politischen und juristischen Skandal hierzu, die persönlichen Schicksale der betroffenen Crew sowie der staatlichen Behinderung tausender Seenotrettungen gab es nach eigener intensiver Recherche leider kaum mediale Berichterstattung sowie keine journalistisch professionelle Richtigstellung vorhergehender Falschdarstellungen unter Verwendung manipulierter Bildmaterialien, wie z. B. zuletzt durch die sog. “Schlepperakten” von Focus online im letzten Jahr.

Wie bewertest du die aktuelle Gerichtsentscheidung? Inwiefern hat internationale Solidarität dazu beigetragen?

Sea rescue is not a crime – but the laws of Cutro!

 

Auch wenn die Rechtsentscheidung zum Freispruch natürlich auf den ersten Blick sehr erfreulich erscheint, besonders persönlich für die betroffenen Crews, ist es doch ganz offensichtlich eine wiederholte altbewährte rechtsstaatliche EU-Strategie historischer Abschreckung sowie Bekämpfung von humanitärer Hilfe, Seenotrettung und somit von zuvor selbstverursachten internationalen Fluchtbewegungen in die EU! Der aktuelle Fall “Iuventa” ist - neben den bereits oben genannten und anderen zahllosen rechtsstaatlichen Verfolgungen humanitärer Helfer jeglicher Art - die exakte Wiederholung des damaligen Falls “Cap Anamur” und von Kapitän Stefan Schmidt von 2004! Kapitän Schmidt wurde so wie die Iuventa Crew unter gleichem Vorwand in Vertretung der EU durch Italien festgesetzt und angeklagt, das Rettungsschiff “Cap Anamur” beschlagnahmt, nach 6 Jahren Ermittlung erfolgte Schmidts Freispruch und 9 Jahre später die Freigabe der “Cap Anamur” – 9 Jahre rechtsstaatliche Aussetzung ziviler humanitärer Seenotrettung im Mittelmeer mit tausenden Toten bis 2014, so wie in 2017 neben Jugend Rettet auch gegen MSF, Safe the Children, Mission Lifeline, Sea Eye, Sea Watch, SOS Meditaranee , Pro Activa Open Arms uvm..

 

Des Weiteren wurde hier durch staatliche Gewalt, ein weiteres Rettungsschiff in Beschlagnahmung verwüstet, zerstört und tausende Seenotrettungen, nachweislich staatlich verhindert! (Iuventa destroyed in Italian custody)

 

Inwiefern internationale Solidarität zu der Gerichtsentscheidung zum Fall “Iuventa” beigetragen hat, lässt sich exakt schwer einschätzen. Die europäische Medienberichterstattung hat hierzu jedoch maßgeblich gegenteilig beigetragen, sowie zu einer erschreckenden politischen und gesellschaftlichen Rechtsentwicklung in der EU. Angesichts der Tatsache, dass selbst Amnesty International eigene globale Kampagnen für den Fall Iuventa veranlassten, lassen jedoch neben RF- News und der Band “Feine Sahne Fischfilet” auch eine entscheidende Solidarität hierzu erkennen. Feine Sahne Fischfilet - Wenn wir uns sehen

Mit der immer weiter nach rechts gerückten Flüchtlingspolitik der EU und der Bundesregierung und mit jüngsten Wahlergebnissen faschistischer oder faschistoider Parteien wird die Situation von Geflüchteten noch schwieriger. Worin siehst du die Aufgaben der Solidaritätsbewegung und des politischen Kampfs gegen die Gefahr des Faschismus?

So kurz wie präzise, sehe ich die Hauptaufgabe jeder solidarischen Bewegung hierzu ideal nach Fromm und Gandhi im friedlichen passiven Boykott eines zutiefst unsoli-darischen, menschenverachtenden und radikalen Gesellschaftssystems, bei gleichzeitiger aktiver Humanität und Nächstenliebe! Alles Übrige, so verständlich es auch sein mag, ist wie die Grundlage unserer modernen Gesellschaft und auch der unzähligen NGO´s, letztlich bloß eine akzeptierte Form von Schizophrenie mit modernem Ablasshandel.