Wie der Kohleausstieg unterlaufen wird

Wie der Kohleausstieg unterlaufen wird

Ein Sack Reis, Pampal und das Weltklima

Noch 2008 erklärte Matthias Platzek, seinerzeit Vorsitzender der SPD und Ministerpräsident von Brandenburg [1]: „Ob wir in Brandenburg unsere beiden Kraftwerke Jänschwalde und Schwarze Pumpe schließen, hat auf das Weltklima ungefähr soviel Auswirkungen, als ob in China ein Sack Reis umfällt.“ Dabei gehörten 2021 beide zu den zehn größten CO2-Emittenten Europas. Und Deutschland und Polen bestritten allein 53% der Emissionen aller Kraftwerke Europas.

Von kw
Ein Sack Reis, Pampal und das Weltklima
Kraftwerk Schwarze Pumpe in der Lausitz bei Nacht (foto: I, SPBer (CC BY-SA 3.0))

Inzwischen ist das Ende beider Kraftwerke besiegelt. Als Vorsitzender der „Kohlekommission“ [2] unterzeichnete Platzeck am 16.1.2020 selbst den Ausstieg aus der Kohleverbrennung bis spätestens 2038. Doch der Glaube an einen späten Sinneswandel will einfach nicht gelingen.

 

Im April setzte der G7-Gipfel der Umwelt-, Klimaschutz- und Energieministerinnen und -minister noch einen drauf: Er einigte sich „erstmalig auf einen konkreten Zeithorizont für den Kohleausstieg“. Der ist so konkret,  dass alles offen bleibt: „in der ersten Hälfte der 2030er Jahre oder auf einem Zeitpfad, der erlaubt, die 1,5°C-Grenze in Reichweite zu halten.“ Fragt sich allerdings, ob die Reichweite unterhalb oder jenseits der 1,5°-Grenze gemeint ist.

 

Von diesem wackligen Sockel aus beanspruchen sie eine „Führungsrolle“ als „starkes Signale an die G20 und den Rest der Welt“ .[3] Das richtet sich gegen die Hauptkonkurrenten China und Indien. Diese sind Hauptländer in dem weiteren Ausbau neuer Kohlekraftwerke. Weltweit im Bau bzw. geplant sind Kraftwerke, die eine Erhöhung der heutigen Leistung um 30% bis 2030 mit einer durchschnittlichen Laufzeit von 35 Jahren bedeuten. Die Reichweite der Profite einmal errichteter Kohlekraftwerke ist natürlich sehr konkret bestimmbar!

 

Was die G7-Länder dabei stört, sind weniger die Folgen für das Weltklima als vielmehr die Konkurrenzvorteile dieser neuimperialistischen Länder im Kampf um die Weltmarktanteile. Und dabei mischen deutsche Konzerne munter mit. Wenn schon nicht in der „sauberen“ EU, dann gerne unter dem Radar der „Energiewende“ im Ausland.

 

Auf der Suche nach neuen Märkten sind sie dabei ausgerechnet auf Bangladesch gestoßen, das beste Voraussetzungen für Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien hat. Da es kaum eigenen Kohlebergbau hat, muss eben mit dem Bau neuer Kraftwerke auch die Kohle dorthin geschafft werden. Und so wurde Ende 2022 das Kohlekraftwerk Rampal, ein Symbol des jahrelangen Widerstandes der Umweltbewegung, in Betrieb genommen. Gebaut und betrieben von der Bangladesh India Friendship Power Company (BIFPC), konstruiert von dem Stuttgarter Ingenieurbüro Fichtner Group (Partner der Agora Energiewende!) [4] und finanziert durch Kredite in Höhe von 1,6 Mrd $ von Indien. Es folgt dem 2020 mit Krediten aus China errichteten Kohlekraftwerk im 50 km entfernten Payra. Mit langfristigen Lieferverträgen hat sich die Lübecker Containerreederei Oldendorff den Transport von Kohle aus Indonesien dorthin gesichert. Mit 4.500 Beschäftigten und 700 Schiffen ist Oldendorff eine der weltgrößten Reedereien für Schüttgüter wie Kohle und Massenstückgüter wie Stahl. Allein 95 Mio t Kohle transportiert sie jährlich rund um den Globus.

 

Statt Solar- und Windenergie zu fördern wird der ungebremste CO2-Anstieg ausgerechnet in einem Land beschleunigt, für das bereits das Absaufen in der globalen Umweltkatastrophe erwartet wird. Rampal liegt im Unterschied zu den an der Küste gelegenen Kraftwerken direkt nördlich angrenzend an die weltgrößten Mangrovenwälder „Sundarbans“. Zur Lieferung der täglich benötigten 10.000 t müssen die Kohlefrachter die Kohle quer durch die Sundarbans 70 km landeinwärts zum Hafen Mongla schippern.

 

Die Folgen sind unabsehbar: Mit der Zerstörung der Sundarbans wird unwiederbringlich der natürliche Schutz vor den tropischen Wirbelstürmen genommen. Statt eigener sicherer Versorgung mit erneuerbaren Energien neue Stromabschaltungen und wachsende Abhängigkeit von China und Indien. Als Bangladesch im Januar und April 2023 keine Devisen hatte, um auf dem Weltmarkt Kohle aus Indonesien zu kaufen, war Rampal außer Betrieb. Ähnlich Payra: Als die Energiebehörde die Zahlungen an die China National Machinery Import und Export Company (CMC) nicht leisten konnte, verhängte diese ein Verbot der Kohlelieferungen. [5]

 

Aber Bangladesch ist auch das Land, das durch den Sieg des Kampfes der Arbeiter und Bauern 2006 über den britischen Kohlekonzern Asia Energy in Phulbari Geschichte geschrieben hat. Dieser wollte mit der Kohleförderung im Tagebau die Lebensgrundlagen von 50.000 Bauern und ihrer Familien in der Kornkammer Bangladeschs zerstören. Wenn im März 2024 ein chinesischer Konzern („Power China“) in Phulbari nicht nur ein Kohlekraftwerk plant, sondern auch einen erneuten Antrag auf Genehmigung des Tagebaus an die Regierung gestellt hat, werden die Lehren aus Phulbari nicht vergessen sein.