Vor 40 Jahren

Vor 40 Jahren

Gewerkschaftlicher Kampf um die 35-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich

Willi Dickhut qualifizierte in seinem Buch „Gewerkschaften und Klassenkampf“ den gewerkschaftlichen Kampf um die 35-Stunden-Woche vor vierzig Jahre so: Er war „wohl mit über 500 000 Streikenden und Ausgesperrten der größte und mit fast sieben Wochen der längste, aber auch der härteste Streik der Nachkriegszeit.“ [1]

Von gp
Gewerkschaftlicher Kampf um die 35-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich
Hier ein Foto vom Kampf um die 35-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich in Ostdeutschland für die Angleichung Ost-West - vor 50 Jahren stellte der KABD (Vorläuferorganisation der MLPD) die Forderung erstmals auf (rf-foto)

Rote Fahne News behandelt in drei Folgen die Vorgeschichte, den Streik selber und die Schlussfolgerungen für den heutigen Kampf um  die 30-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich. Berichte und eigene Erfahrungen von Zeitzeugen sind erwünscht. Hier der erste Teil: "Die Bedeutung des Kampfs für die Arbeitszeitverkürzung für die Herausbildung der internationalen Arbeitereinheit und der Stahlarbeiterstreik 1978/79".

 

Der Kampf um die Verkürzung der Arbeitszeit spielte und spielt in der Arbeiterbewegung seit jeher eine große Rolle. In der Frühzeit des Kapitalismus der freien Konkurrenz waren Arbeitszeiten von 10 Stunden, ja manchmal sogar bis zu 16 Stunden am Tag normal. Der Kampf um eine Arbeitszeitverkürzung richtete sich nicht nur gegen die fast grenzenlose Ausbeutung, sondern war auch eine Voraussetzung, dass die Arbeiter am gesellschaftlichen Leben teilnehmen und sich gewerkschaftlich und politisch organisieren konnten. Der II. Internationale Arbeiterkongress in Paris beschloss 1889  den 1. Mai als internationalen Kampf- und Feiertag der Arbeiterklasse zu  begehen. Im Mittelpunkt  stand dabei als Klammer der  weltweite Kampf für den 8-Stunden-Tag. Die Forderung und der 1. Mai trugen so wesentlich zur Herausbildung der internationalen Arbeitereinheit bei. Der 1. Mai und der Kampf um den 8-Stundentag waren von vorneherein mit dem Kampf zur Abschaffung der kapitalistischen Lohnarbeit, für den Sozialismus verbunden. 1918 erkämpften die Arbeiter in Deutschland mit der Novemberrevolution den 8-Stunden-Tag.

 

Die 1970er Jahre waren in Deutschland gekennzeichnet durch eine Offensive der Monopole, die sich gegen die Arbeiter und ihre Kämpfe richtete. Die Arbeiter und ihre Gewerkschaften antworteten darauf mit hart geführten, teilweise selbständigen Streiks. Vornedran die Drucker und Setzer, deren Arbeitsplätze durch die kapitalistische Rationalisierungsoffensive auf der Grundlage von Automatisierung und Elektronik massiv gefährdet waren.

 

Der KABD, die Vorläuferorganisation der MLPD, prognostizierte treffend, dass die Rationalisierung, der Konzentrationsprozess in der Industrie, sowie der Kapitalexport zu einer Massenarbeitslosigkeit führen wird. Das war der hauptsächliche Grund, dass der KABD am 1. Mai 1974 erstmals die Forderung nach der 35-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich aufstellte. Sie  wurde von vielen Kollegen in den Betrieben und Gewerkschaften aufgegriffen und auf dem Gewerkschaftstag der IG Metall 1977  gegen den Willen des Vorstandes beschlossen.

 

Als gewerkschaftliche Forderung wurde die nach der 35-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich zum ersten Mal in der Tarifrunde der Stahlarbeiter 1978/79 aufgestellt.  Der Streik dauerte sechs Wochen und wurde bei winterlichen Temperaturen mit aller Härte und Entschlossenheit geführt. Die Genossinnen und Genossen des KABD leisteten dabei einen wichtigen Beitrag. Als Antwort auf die provokative Aussperrung von 29 000 Kollegen halfen die Marxisten-Leninisten, die Forderung nach „Jetzt Vollstreik!“ zu verankern und den Kampf darum auszulösen und zu führen. Er hatte eine enorme Ausstrahlung und machte deutlich, welche Kraft von der Arbeiterklasse ausgeht. Während und nach dem Streik wurden neue Betriebsgruppen aufgebaut und bestehende gestärkt, bundesweit die Solidarität organisiert. Aus Angst, vor einer sich abzeichnenden selbständigen Ausdehnung des Streiks durch die Stahlarbeiter schloss der Unternehmerverband Eisen&Stahl mit der rechten IG-Metall-Führung nach 44 Tagen Streik über Nacht einen faulen Kompromiss ab.

 

Statt der 35-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich endete der Kampf mit einer Verlängerung des Urlaubs auf sechs Wochen. Trotzdem war der Streik nicht umsonst. Er hat vielmehr eine bedeutende Rolle  zur Verankerung der Forderung gespielt, war der erste Schritt, der den Boden für den Kampf zur Durchsetzung in den Gewerkschaften und der Öffentlichkeit  bereitete. Ohne den Streik der Stahlarbeiter und die Verarbeitung der Erfahrungen durch die Kollegen mit Hilfe des KABD und ab 1982 der MLPD, hätte der Kampf der Drucker und Metaller 1984 zur Durchsetzung der 35-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich in der Form nicht stattfinden können.